Terroristische Inhalte: EU-Parlament stimmt für 1-Stunden-Löschfrist

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Betreiber von Online-Plattformen in der Europäischen Union sollen in Zukunft Beiträge mit „terroristischen Inhalten“ binnen einer Stunde auf Anordnung und ohne richterlichen Beschluss löschen. Das sieht ein Entwurf einer Verordnung des EU-Parlaments vor.

Dem Entwurf ging eine längere Debatte im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres zwischen den Verhandlungsführern des Parlaments, des Ministerrats und der Kommission voraus, die schließlich im Dezember in einem Kompromiss mündete. Bei der nun erfolgten Abstimmung sprachen sich 54 Abgeordnete für die neue Verordnung aus, 13 votierten dagegen, 1 Abgeordneter enthielt sich.

Keine proaktive Überwachung

Die neue Verordnung sieht nicht explizit vor, dass Betreiber die auf ihren Plattformen veröffentlichten Inhalte ständig überwachen müssen, auch automatisierte Werkzeuge gehören nicht zu der Vorgabe – womit auch sogenannte „Uploadfilter“ nicht zum Einsatz kommen dürften. Sollten die Betreiber jedoch von entsprechenden Aktivitäten Kenntnis erhalten, währen sie ab sofort verpflichtet, Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung zu ergreifen. Welche Maßnahmen das am Ende sind, obliegt in der Entscheidung eines jeden Betreibers selbst. Darüber hinaus werden die Diensteanbieter verpflichtet, jährlich einen Transparenzbericht über die Maßnahmen, welche sie gegen die Verbreitung terroristischer Inhalte ergriffen haben, zu veröffentlichen. Ausnahmen soll es für kleine und mittlere Anbieter geben, welche beanstandete Inhalte ohne strikte Zeitvorgabe, aber dennoch zügig löschen sollen. Hierzu muss jedoch ein betrieblicher Grund vorgebracht werden.

Auch für Anbieter außerhalb der EU geltend

Die Löschanordnungen decken dabei ein weites Feld ab: So können diese nicht nur einfache Beiträge auf Webseiten, Sozialen Netzwerken oder Foren umfassen, auch Ton- oder Videoaufnahmen einschließlich Live-Übertragungen können beanstandet werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Anbieter seine Hauptniederlassung in der EU oder außerhalb hat. Damit sind Anbieter wie Facebook, YouTube oder Twitter ebenfalls von der neuen Vorgabe betroffen. Die Vorgehensweise unterscheidet sich bei diesen jedoch vom Prozedere für Anbieter in der EU: So soll das Land, in dem der Dienst ansässig ist, den Löschantrag aus dem jeweiligen EU-Land überprüfen und diesen binnen 24 Stunden bestätigen oder ablehnen, wobei hier der Betreiber lediglich den Zugang zu den beanstandeten Inhalten für das Land unterbinden muss, aus welchem die Löschaufforderung kam. Sanktionen bei Verstößen gegen die Verpflichtungen sollen von den Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung der Art des Verstoßes und der Größe des Unternehmens festgelegt werden.

Inhalte weit gefasst

Inhaltlich soll die neue Verordnung für Beiträge gelten, welche zu terroristischen Taten auffordern oder zu diesen beitragen sowie dazu aufrufen, sich entsprechenden Organisationen anzuschließen. Die Löschfrist gilt ebenso für Anleitungen für terroristische Aktivitäten wie dem Bau von Bomben oder Schusswaffen. Wird das Material jedoch zu erzieherischen, journalistischen, künstlerischen oder Forschungszwecken sowie Zwecken der Sensibilisierung zur Verhinderung oder Bekämpfung von Terrorismus verbreitet, sollen weitreichende Ausnahmen gelten. Dazu sollen auch Inhalte zählen, welche polemische oder kontroverse Ansichten in einer öffentlichen Debatte über sensible politische Fragen zum Ausdruck bringen.

Nicht abschwellende Kritik

Schwere Kritik zur neuen Verordnung kommt vor allem von verschiedenen Bürgerrechtsorganisationen. So sieht die französische Organisation „La Quadrature du Net“ die Ein-Stunden-Frist als unrealistisch an und warnt davor, dass nur große (wirtschaftliche) Plattformen in der Lage sein werden, solch strenge Auflagen zu erfüllen. Durch die Androhung hoher Geldstrafen werden Web-Akteure dazu gezwungen, alle potenziell illegalen Inhalte bereits proaktiv im Vorfeld zu löschen. Ein ähnliches nationales Vorhaben wurde in Frankreich im November des letzten Jahres vom dortigen Verfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft.

Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer, welcher zusammen mit der Grünen-Fraktion gegen das Vorhaben gestimmt hat, sieht trotz der Verhinderung von Uploadfiltern, dem Schutz von Journalismus, Kunst und Wissenschaft und der Ausnahme für kleine und nichtkommerzielle Plattformen ebenso deutliche Gefahren: Durch die ultraschnellen grenzüberschreitenden Löschanordnungen ohne Richtervorbehalt sei für ihn die Meinungs- und Pressefreiheit im Netz bedroht.

Noch nicht rechtskräftig

Damit die Verordnung Gültigkeit erreicht, muss diese noch der Rat und das Parlamentsplenum bestätigen. Sollte dies geschehen, wird die Verordnung nach 12 Monaten inkrafttreten.