Es geht ein Flug nach nirgendwo

Die Corona-Krise macht die Luftfahrt erfinderisch. Sie bietet jetzt simulierte Flüge am Gate an und Flugzeugessen für Privatkunden.

Einsteigen, anschnallen – aber nicht losfliegen: “Fake Flight”-Teilnehmer in Taipeh

Auch wer bisher Vielflieger war, egal ob beruflich oder als privater Weltenbummler, sitzt zumeist seit März am Boden fest. Die Corona-Pandemie hat einen Großteil des üblichen Luftverkehrs überall auf dem Globus vorübergehend unmöglich gemacht.

Nach fast einem halben Jahr regen sich bei vielen Möchtegern-Passagieren nun deutliche Entzugserscheinungen. Gleichzeitig stehen viele Luftfahrt-Dienstleister, etwa für Bordverpflegung, vor dem Ruin, weil kaum Flugzeuge unterwegs sind. Aber wo ein Wille ist, dort finden sich plötzlich auch neue Wege, um der Sehnsucht ebenso abzuhelfen wie der wirtschaftlichen Not.

Ein Hot Spot dafür ist Taiwan, das wegen des Einspruchs der Volksrepublik China zwar nicht Mitglied der Weltgesundheitsorganisation WHO sein darf, aber trotzdem weltweit die Pandemie mit am besten bewältigt hat. Seit März gibt es keinen internationalen Flugverkehr mehr auf die Insel im Südchinesischen Meer, doch derzeit boomen Angebote, um die Sehnsucht nach Flugreisen dennoch zu erfüllen.

Im Juli bereits gab es drei ausgebuchte “Fake Flights” vom Stadtflughafen in der Hauptstadt Taipeh, bei denen jeweils 60 im Losverfahren aus insgesamt 7000 Bewerbern ausgewählte “Passagiere” an Bord eines am Boden stehenden Airbus A330 gehen durften. “Die Teilnehmer gingen durch die Sicherheitskontrolle, mussten sich ausweisen und durch den Zoll, und dann stiegen sie ins Flugzeug, um den Spaß des Einsteigens zu erleben”, erklärte Flughafensprecherin Ting Hsu lokalen Medien gegenüber. Die Teilnehmer waren begeistert.

Hauptsache Fliegen

Inzwischen erfüllen auch echte Flüge ins nirgendwo die Sehnsucht vieler Taiwanesen, wieder in die Luft zu gehen. So veranstaltete EVA Airways im August zum hiesigen Vatertag den Sonderflug mit der Flugnummer 5288, was sich auf Chinesisch anhören soll wie “Ich liebe Papa”. Alle 309 Sitze in dem Airbus A330-Großraumflugzeug in “Hello Kitty”-Sonderbemalung waren binnen Minuten ausverkauft.

Selfies zur Erinnerung an einen simulierten Flug in Taipeh im Juli 2020

Der Flug startete am internationalen Flughafen Taipeh-Taoyan, machte einen Rundflug über Taiwan sowie in den japanischen Luftraum hinein, bevor er nach knapp drei Stunden wieder zum Ausgangsort zurückkehrte. Für Flugpreise zwischen 150 und 180 Euro erhielten die Passagiere auch ein Bordmenü des Michelin-Dreisterne-Kochs Motoke Nakamura.

Am gleichen Tag bot die Konkurrenz von China Airlines ebenfalls ein ungewöhnliches Flugerlebnis: 50 Kinder mit je einem Elternteil durften zunächst am Flughafen üben, wie man an Bord serviert und erhielten echte Uniformen im Kleinformat, bevor es auf einen zweistündigen Rundflug ging. Anschließend gab es ein Essen in der Lounge. “Wir wollen das gute Gefühl des Reisens wieder erleben, wir haben uns zu lange gelangweilt”, sagte der Vater einer Sechsjährigen einem Reporter.

Der Flug war so erfolgreich, das ein zweiter aufgelegt wurde. Den darbenden Airlines sind alle Mittel recht, mit ihren ansonsten abgestellten Flugzeugen wenigstens etwas Umsatz zu generieren. Und die Kundschaft will unbedingt in die Luft, auch ohne Reiseziel.

Wohin mit den Bordessen?

Auch bei Betrieben für Bordverpflegung gibt es neue Geschäftsfelder, notgedrungen. Eins erfand Gate Gourmet, weltgrößter Hersteller für Flugzeugessen mit Hauptsitz in Zürich, in seinen Filialen in Australien, die seit Monaten weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten sind.

Im Juni hatte man die Idee: Einfach praktische Economy-Menüs an Endkunden verkaufen. Schnell war eine Verkaufsseite im Internet eingerichtet: Zehn Portionen verschiedene Frühstücksgerichte für umgerechnet 12 Euro, zehn Mittagessen für 15 Euro. Alles nur für Selbstabholer und gefroren, zum Aufwärmen in der heimischen Mikrowelle, und einmal quer die durch die Economy-Speisekarte: Beefcurry mit Jasminreis, Parmesan-Hühnchen mit Süßkartoffelfrites, alles das eben, was über den Wolken verspeist werden sollte, aber am Boden bleiben musste.

Air Asia in Malaysia serviert sein Bordessen jetzt im eigenen Restaurant

Es begann ein regelrechter Run auf das Angebot, das derzeit ausverkauft ist. Ob Gate Gourmet das auch an anderen Standorten außerhalb Australiens einführen will, dazu schweigt die Firma auf Nachfrage.

Ähnlich erfolgreich mit dem aus der Not geborenen Verkauf von Bordverpflegung an Endkunden ist die Firma Tamam Kitchen, die in Tel Aviv Menüs für die israelische Airline El Al liefert, die komplett am Boden steht. “Wir mussten neu denken, uns neu erfinden”, sagt Nimrod Damajo, Betriebsleiter bei Tamam. Heute bekommt die Firma etwa hundert Bestellungen am Tag für Menüs wie Süßkartoffelravioli mit grünen Bohnen und Linsen, pro Schale für nicht einmal drei Euro.

Tonnenweise Nüsse und eine Restaurant-Eröffnung

Ein Problem hatte auch die Firma GNS Foods in Texas, die normalerweise 6000 Tonnen Nüsse pro Jahr an American und United Airlines verkauft. Sie saß auf fast 43 Tonnen Nuss-Mischungen, verpackt in 70.000 Tüten. Auch hier schaffte ein Online-Verkauf an Privatkunden Abhilfe, Mindestabnahme zwei 500-Gramm-Beutel.

Ganz neue Wege, um Bordverpflegung regulär auf den Boden zu bringen, geht der größte fernöstliche Billigflieger Air Asia mit Hauptsitz Malaysia. In einer großen Shopping Mall in Kuala Lumpur wurde ein Restaurant eröffnet, wo es die beliebtesten Flugmenüs von Air Asia gibt.

“Wir beobachten einen spürbaren Appetit für unser Essens-Angebot über die Flüge hinaus, und dies ist unsere Antwort”, sagt Chefin Catherine Goh, die bald international weitere Filialen unter dem Namen Santan eröffnen will. Bestseller ist Pak Nasser’s Nasi Lemak, Kokosreis mit Chilipaste, Erdnüssen, Anchovis und harten Eiern, fast drei Millionen Portionen davon werden im Jahr an Bord verkauft. Statt in Alufolie am Boden appetitlicher in Pappschalen serviert sind die Menüs für umgerechnet 2,50 Euro ein Schnäppchen. Not macht tatsächlich erfinderisch.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Lufthansa

    Unter dem Strich brockte die Pandemie der Lufthansa im ersten Halbjahr rund drei Milliarden Euro Verlust ein. Die Airline geht von einem Personalüberhang weltweit von 22.000 Vollzeitstellen aus. Der Konzern müsse sich auf Dauer verschlanken, betonte Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Mindestens 100 von rund 760 Flugzeugen sollen abgeschafft werden. In Deutschland sind rund 11.000 Stellen gefährdet.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Ryanair

    Europas Marktführer verlor zwischen April bis Juni 95 Prozent des Vorjahresumsatzes. Der Billigflieger aus Irland machte erstmals in der Firmengeschichte einen Nettoverlust, der mit rund 185 Millionen Euro aber im Branchenvergleich niedrig ausfiel. Die Airline hatte im Frühjahr 3000 von rund 19.000 Stellen zur Disposition gestellt.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    IAG

    Der britisch-spanische Konzern wies bei halbiertem Umsatz von 5,3 Milliarden einen Betriebsverlust von 1,37 Milliarden Euro aus. Belastungen wie das Ausmustern von Jets erhöhten den Verlust auf 2,2 Milliarden Euro. Bei der Tochter British Airways sollen 12.000 Arbeitsplätze wegfallen, mehr als ein Viertel. Auch die Flotten und das Personal von Iberia, Vueling und Aer Lingus sollen kleiner werden.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Air France KLM

    Die französisch-niederländische Gruppe machte bei nur 1,18 Milliarden Euro Umsatz (minus 83 Prozent zum Vorjahr) einen Betriebsverlust von 1,55 Milliarden Euro. Air France und die jüngere Schwester Hop! wollen zusammen 7580 Arbeitsplätze streichen. Bei der niederländischen Tochter KLM sollen bis 2022 bis zu 5000 der insgesamt 33.000 auf Vollzeit umgerechneten Stellen verschwinden.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Easyjet

    Der britische Billigflieger schrieb in den drei Monaten bis Ende Juni umgerechnet knapp 360 Millionen Euro Verlust. Mit nur zehn ihrer 315 Flugzeuge im Einsatz kratzte die Airline sieben Millionen Pfund Umsatz zusammen (Vorjahresquartal: 1,76 Milliarden Pfund). Im Mai hatte Easyjet gewarnt, 4500 Jobs sollten verschwinden – das wären 30 Prozent.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Norwegian

    Der schon vor Corona angeschlagene Billigflieger aus Norwegen legt Ende August Zahlen vor. Im April wurden Tochterfirmen in Schweden und Dänemark geschlossen. Damit waren 4700 Stellen in Cockpit und Kabine bedroht.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    SAS

    Bei der schwedisch-dänischen Airline sind nach früheren Aussagen bis zu 5000 oder etwa die Hälfte der Stellen gefährdet. Inzwischen haben die Großaktionäre Dänemark, Schweden und die Wallenberg-Stiftung ein Rettungspaket geschnürt.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Wizz

    Der ungarische Billigflieger brachte schon ab Mai und damit früh sowie auch relativ mehr Angebot als alle anderen auf den Markt. Von April bis Juni erreichte Wizz damit operativ einen kleinen Gewinn von knapp neun Millionen Euro, machte unter dem Strich aber 57 Millionen Euro Miese. Jeder fünfte der rund 5000 Beschäftigten muss um seinen Job bangen.


  • Rote Zahlen, Jobabbau – Wie tief stecken Airlines in der Krise?

    Condor

    Der deutsche Ferienflieger will die Corona-Krise ohne Personalabbau meistern, nachdem er durch die Pleite des Mutterkonzerns Thomas Cook im vergangenen Jahr einige hundert Mitarbeiter entlassen musste. Krisenvereinbarungen mit den Gewerkschaften und Kurzarbeit sollen die Personalkosten der zuletzt knapp 4200 Beschäftigten ausreichend senken. Geschäftszahlen gibt Condor nicht bekannt.

    Autorin/Autor: Henrik Böhme, Ilona Wissenbach (Reuters)



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