Wie eine kleine Airline aus dem Baltikum zum Vorreiter werden will

Die Luftfahrtbranche steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Air Baltic beweist als einer der Vorreiter in der europäischen Luftfahrt, dass zivilisiertes Fliegen trotz Pandemie funktionieren kann.

“Die Leute haben im Moment häufig immer noch Angst davor zu fliegen, aber das wird sich bald ändern”, weiß Martin Gauss. Der Deutsche, einst Pilot und Manager in Diensten der ehemaligen Deutschen BA, führt seit 2011 in Riga die Fluggesellschaft Air Baltic, die Marktführerin im Baltikum. Sie gilt vielen in der Branche als Vorbild.

In der Corona-Krise vollzog die lettische Airline eine Radikalkur. “Wir haben als erste in Europa einen heftigen Schnitt gemacht und am 17. März komplett aufgehört zu fliegen, dann haben wir die Firma sofort um 40 Prozent verkleinert, beim Personal und beim Flugzeugpark”, erzählt der gebürtige Pforzheimer. Fast 700 Mitarbeiter mussten gehen, alle haben eine Wiedereinstellungsgarantie, wenn das Geschäft wieder anzieht.

Neue Strategie für die Nach-Corona-Zeit

Während des Lockdowns schlossen sich die elf engsten Führungskräfte der Gesellschaft in der Hauptverwaltung am verwaisten Flughafen Riga quasi zusammen ein. Zwei Monate verbrachten sie fast jeden Tag dort, inklusive Corona-Tests für die gesamte Manager-Riege alle zwei Wochen, nur zum Schlafen ging es nach Hause. “Wir mussten in der Zeit eine neue Strategie und ein Produkt entwickeln, das nach der Krise für die Kunden akzeptabel sein würde”, erklärt Martin Gauss.

Hebt wieder ab: Ein Airbus A220 von Air Baltic

Seit dem 18. Mai startet die Airline wieder, inzwischen auch zu allen ihren fünf deutschen Zielorten. Anfangs nur mit vier der vorher 38 Flugzeugen, heute sind halb so viele Maschinen wie zuvor wieder in Betrieb. Einiges ist anders geworden, auch wurden alte Maschinen ausgemustert. Aber generell gelte: “Die größte Veränderung unseres Produktes ist, dass wir es unseren Kunden eigentlich genauso liefern wie vorher”, sagt Martin Gauss.

Dabei bleibt das Fliegen eine zivilisierte Erfahrung. Die Kabinenbesatzung trägt keine Ganzkörper-Schutzanzüge wie bei anderen Gesellschaften und keine Gesichtsvisiere, wie etwa Qatar Airways sie jetzt sogar Passagieren vorschreibt und austeilt. Die Flugbegleiter bei Air Baltic tragen Masken und Handschuhe, für Passagiere gilt Maskenpflicht an Bord. “Wir sind die erste europäische Gesellschaft, die jedem Kunden auf jedem Flug einen Umschlag mit einer frischen Maske und zwei Desinfektionstüchern gibt, diese Idee wurde hier geboren”, erklärt Martin Gauss.

Das Hygieneset gibt’s beim Einsteigen

Über den Sinn von Masken in der Kabine

Air Baltic hat in der Krisenzeit selbst mehrfach Airbus-Jets bis nach China geschickt, um eine Million Masken zu holen, “zwei Wochen bevor man sich in Deutschland dazu entschloss”, fügt Gauss hinzu. Und: “Wie sinnvoll die Maskenpflicht ist, das kann man diskutieren.” Im Moment seien die Leute wahrscheinlich glücklicher, wenn sie eine Maske aufhaben. “Medizinisch gibt es aber keinen Grund, warum im Flugzeug die Maske aufgesetzt werden muss – aber in einem Restaurant nicht.”

Air Baltic setzt seit der Krise nur noch ihre neuesten Airbus A220-Jets ein, auf die sie frühzeitig als eine der ersten Gesellschaften ihre Strategie aufgebaut hat. Damit betreibt man jetzt die jüngste Flotte der Welt mit einem Durchschnittsalter von nicht einmal zwei Jahren und ist daher besonders effizient. Bei jedem Stopp in Riga werden die Flugzeuge aufwändig gereinigt, jeder Fluggast kann mit den zwei ausgegebenen Desinfektionstüchern rund um den eigenen Platz zusätzlich selbst Hand anlegen.

Neuerdings sind auch die billigsten Tickets gegen Gebühr alle umbuchbar, das gab es früher nicht. “Aufgrund der Unsicherheit war das eine Notwendigkeit”, berichtet Martin Gauss. Die Mittelsitze an Bord sind im Moment meistens frei, glücklicherweise hat die A220 nur rechts vom Gang überhaupt Mittelsitze. “Aber die sind nur frei, wenn nicht mehr als 89 Passgiere gebucht sind”, so der Firmenchef, “medizinisch gibt es dafür keinen Grund.”

Top-Märkte noch verschlossen

In Riga führt der Flugbetriebschef Pauls Calaitis, selbst Flugkapitän, durch die Betriebszentrale von Air Baltic, wo auf riesigen Bildschirmen der gesamte Flugbetrieb der Gesellschaft in Echtzeit zu überblicken ist. Als nicht geflogen wurde, war das normalerweise 24 Stunden besetzte Herzstück der Airline komplett geschlossen. “Ein dramatischer Anblick”, erinnert sich der Betriebschef. Es ist bisher nur ein Bruchteil der hektischen Aktivität zu sehen, die normalerweise hier zur Hauptreisezeit herrscht.

Und das ist drin: Schutzmaske und Desinfektionstücher

Calaitis ist trotzdem zufrieden: “Wir haben in den ersten sieben Wochen des Flugbetriebs keinen einzigen Flug gestrichen, ein starkes Signal an unsere Gäste: Wer bucht, der fliegt auch.” Und er zeigt mit breitem Grinsen auf die 100-prozentige Pünktlichkeitsrate seiner Flüge. “Das sind Weltklassewerte, die es sonst nie im Sommer gibt, aber der Grund ist einfach: Es gibt viel weniger Verkehr am Himmel.” Jeden Mittwoch wird es ernst – dann entscheidet Air Baltic, welche weiteren Ziele aufgenommen werden können.

Bisher blieben Russland, die Ukraine und Schweden verschlossen, alles Top-Märkte sonst. Dafür liegen die Buchungszahlen schon wieder bei der Hälfte des vergleichbaren Vorjahreszeitraums, obwohl noch nicht einmal die Hälfte des üblichen Angebots verfügbar ist. “Für das, was wir an Kapazitäten anbieten, ist die Buchungssituation sehr stark”, freut sich Gauss. Im Juni lag die Auslastung bei 39 Prozent, normalerweise ein katastrophaler Wert, jetzt eher Hoffnungsschimmer.

Ein glücklicher Airline-Chef

In der ersten Juli-Woche absolvierte Air Baltic 369 Linienflüge, gegenüber 1346 in der Vorjahreswoche. Im September sollen wieder alle derzeit vorhandenen 22 Airbus A220 abheben, im kommenden Jahr ihre Zahl auf 32 anwachsen. “Wir werden überleben, auch wenn eine zweite Corona-Welle kommt”, versichert Martin Gauss, “aber natürlich hatten wir anfangs Zweifel, ob wir das überstehen.”

Derzeit schafft es die Gesellschaft immer noch, von ihren vor der Krise angehäuften Bargeld-Reserven zu zehren. Erst Anfang Juli hatte die EU-Kommission eine Kapitalerhöhung des Mehrheitseigners, der lettischen Regierung, in Höhe von 250 Millionen Euro genehmigt. Das Geld soll spätestens nach dem für Ende 2022 oder Anfang 2023 geplanten Börsengang zurückgezahlt werden. “Ich bin happy”, sagt Firmenchef Martin Gauss. So etwas dürfte derzeit kaum von einem Airline-Boss auf der Welt zu hören sein.


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