Nach dem Tod von George Floyd: Wenn Protest global wird

Der Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis bewegt inzwischen Menschen weltweit – auch in Deutschland. Selbst Aktivisten sind überrascht über diese globale Resonanz.

Black-Lives-Matter-Protest in München

George Floyd war nicht der erste Schwarze, den weiße US-Polizisten bei einem Einsatz töteten. Trotzdem ist die Reaktion darauf dieses Mal viel intensiver; in den Vereinigten Staaten wie auch im Rest der Welt. In ungezählten Städten auf allen Kontinenten kamen allein an diesem Wochenende insgesamt Hunderttausende zusammen, um gegen systemischen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren.

Neue Rassismus-Debatten

“Das hat mich wirklich überrascht”, sagt Tahir Della. Der 58-Jährige ist im Bundesvorstand der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) aktiv, einer der ältesten Interessengruppen des Landes. Ihn überrascht, “dass das jetzt so eine durchschlagende Öffentlichkeit erreicht, dass so viele Menschen sich weltweit solidarisieren”, und dass plötzlich über “systemischen Rassismus” in der breiten Öffentlichkeit debattiert wird.

Protestbanner am Berliner U-Bahnhof Mohrenstraße

So viele Medienanfragen wie in diesen Tagen habe die ISD noch nie gehabt, sagt Della. Aber insgesamt habe sich, seit er sich vor 33 Jahren in dem Bündnis zu engagieren begann, einiges getan: Schwarze Menschen forderten inzwischen aktiver ihr Mitspracherecht in der Gesellschaft ein, sagt Della. Es gibt nun afrodeutsche Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie Europa-Parlamentarierinnen. Doch angesichts der – Schätzungen zufolge – einer Million schwarzen Bürger in Deutschland – sind diese in der Öffentlichkeit offensichtlich immer noch unterrepräsentiert.

Wandel erhält Einzug

Andere Länder seien in ihrer Definition von Rassismus weiter als Deutschland, sagt Della: “Es gibt immer noch das Verständnis, dass Rassismus oder rassistisches Handeln erst dann auch so zu bezeichnen ist, wenn eine Intention nachweisbar ist.” Tatsächlich seien rassistische Handlungen jedoch auch ohne Absicht möglich, weil dies von Kindesbeinen anerzogen werde.

Tahir Della

Tahir Della arbeitet auch als Fachreferent eines öffentlich finanzierten Berliner Programms, wo er sich mit Antirassismus und Postkolonialismus beschäftigt. Als Fortschritt wertet er auch die Wortwahl nach dem Anschlag in der hessischen Stadt Hanau im Februar, bei dem ein Attentäter acht Menschen mit Migrationshintergrund ermordete: “Damals wurde zum ersten Mal von den Medien das Wort Rassismus in dem Kontext für den Täter verwendet”, früher sei in solchen Fällen von “Ausländer-” oder “Fremdenfeindlichkeit” gesprochen worden. Diesen Wandel führt Della auch auf die andauernde Lobbyarbeit verschiedener Verbände zurück.

Junge, politisierte Generation

Doch die größere Sensibilisierung erklärt nur zu einem Teil, warum der Tod George Floyds weltweit so starke Reaktionen hervorruft. Della vermutet, “dass da jetzt ganz viele Sachen zusammenkommen, die für ein internationales Echo sorgen”: Die heftige Reaktion in den Vereinigten Staaten, und auch die Corona-Pandemie, die den durchschnittlich ärmeren und schlechter mit Gesundheitsleistungen versorgten schwarzen Menschen in den USA besonders heftig zusetzt. Nicht zuletzt das Amateurvideo, auf dem festgehalten wurde, wie ein weißer Polizist minutenlang auf Floyds Hals kniet, dieser “I can’t breathe” röchelt, er könne nicht atmen, schließlich bewusstlos wird.

George-Floyd-Internetvideo

Das Video ist auch aus Sicht von Aladin El-Mafaalani ein wichtiger Faktor für die globalen Reaktionen. Der Dortmunder Soziologe hatte in seiner nordrhein-westfälischen Heimatstadt eine Demonstration besucht und sich daraufhin gefragt, wie es sein könne, dass ein geografisch so weit entferntes Ereignis mehr Menschen auf die Straße bringt als entsprechende Geschehnisse in Dortmund selbst. Dort erschoss im April 2006 die Neonazi-Terrorgruppe “NSU” den Kioskbetreiber Mehmet Kubaşık. Dass es sich dabei um einen Fall in einer rassistischen Mordserie handelt, wurde im November 2011 bekannt.

Die größere Anteilnahme im Fall George Floyd sei dadurch zu erklären, so Mafaalani, weil das Video insbesondere auf Instagram viele junge Menschen erreicht habe – “eine neue Generation, die auch durch Fridays for Future vernetzter ist und eine neue Kultur des Demonstrierens entwickelt hat”. Der Dortmunder Soziologe geht davon aus, dass die heutigen Schülerinnen und Schüler “täglich mit dem amerikanischen Präsidenten konfrontiert werden, mit Dingen, die im Zusammenhang mit AfD, Rechtspopulismus und Ähnlichem passieren, und die entsprechend auf eine ganz andere Art und Weise politisiert sind”.

Zustände in Europa

Die Proteste machten von Beginn an deutlich, dass rassistische Polizeigewalt kein alleiniges Problem der USA sind. Die Initiative Death in Custody recherchiert zu Fällen, bei denen schwarze Menschen und andere sogenannte People of Color in Deutschland in Gewahrsam ums Leben gekommen sind – seit 1990 sind es laut Angaben der Gruppe mindestens 159 gewesen.

Der sicherlich bekannteste Fall ist der von Oury Jalloh, der 2005 in Dessau in Sachsen-Anhalt bei einem Brand in seiner Gewahrsamszelle starb. Gutachten zufolge wurde er vor seinem Tod schwer misshandelt, beim Feuer kamen demnach Brandbeschleuniger zum Einsatz.

Das Vertrauen von Schwarzen und People of Color in die Polizei sei am Schwinden, glaubt Tahir Della, “weil bei den Menschen immer noch das Gefühl vorherrscht, die Polizei ist nicht umfassend für mich da. Ich kann mich nicht ohne Angst und Furcht beschweren oder um Hilfe bitten – und das muss wiederhergestellt werden.”


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Paris: Protest auf dem Champ de Mars

    Vor ein paar Tagen hatte die französische Polizei Demonstranten mit Tränengas auseinandergetrieben, und auch die für Samstag angekündigten Demos am Eiffelturm und vor der US-Botschaft waren zunächst untersagt worden. Zehntausende gingen trotzdem – auch über Paris hinaus – gegen Rassismus auf die Straße. In den Vorstädten ist Polizeigewalt gegen schwarze Menschen besonders verbreitet.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Liége: Demonstration trotz Verbot

    Belgien hat, wie die meisten europäischen Länder, einen Anteil an der kolonialen Ausbeutung und Unterwerfung anderer Erdteile: Die heutige Demokratische Republik Kongo stand einst im Privatbesitz von König Leopold II, in dessen Namen dort ein rassistisches Unrechtsregime aufgebaut wurde. In Brüssel, Antwerpen und Liége wurde – trotz Corona-bedingten Verboten – gegen Rassismus demonstriert.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    München: Buntes Bayern

    Eine der größten Kundgebungen Deutschlands fand in München statt, hier kamen 30.000 Menschen zusammen. Weitere große Demos gab es unter anderem in Köln, Frankfurt und Hamburg. In Berlin musste die Polizei zeitweise die Zufahrten zum Alexanderplatz abriegeln, weil zu viele Menschen zu der Kundgebung strömten.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Wien: 50.000 gegen Rassismus

    In der österreichischen Hauptstadt Wien kamen bereits am Freitag laut Polizei 50.000 Menschen zusammen. Damit war es eine der größten Demonstrationen der vergangenen Jahre, in die immerhin der Ibiza-Skandal und die spektakuläre Implosion der rechten Regierungskoalition 2019 fällt. Auch auf der Schrifttafel eines Polizeiautos stand Reportern zufolge der Schriftzug “Black Lives Matter”.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Sofia: Mehr als zehn Rassismus-Gegner

    Wie in vielen anderen europäischen Ländern auch untersagt Bulgarien derzeit Kundgebungen mit mehr als zehn Teilnehmenden. Trotzdem kamen Hunderte in der Hauptstadt Sofia zusammen. Sie riefen George Floyds offenbar letzte Worte “I can’t breathe” – machten aber auch aufmerksam auf Rassismus in der bulgarischen Gesellschaft.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Turin: Protest in Corona-Zeiten

    Diese Frau im Turin hat ihr politisches Anliegen kurzerhand auf die wegen Corona immer noch notwendige Atemschutzmaske getackert: “Schwarze Leben zählen auch in Italien”. Die Demonstrationen, darunter in Rom und Mailand, dürften die größten Zusammenkünfte seit Beginn der italienischen Corona-Maßnahmen sein. Italien ist in der EU eines der Hauptaufnahmeländer für afrikanische Migranten.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Lissabon: Handelt jetzt!

    “Handelt jetzt”, steht auf dem Transparent dieser Demonstranten in Portugals Hauptstadt Lissabon. Die Kundgebung war zwar nicht genehmigt worden, die Polizei ließ die Teilnehmer jedoch gewähren. Auch in Portugal kommt es immer zu Polizeigewalt gegen schwarze Menschen. Als im Januar 2019 nach einem solchen Vorfall spontan Hunderte demonstrierten, schoss die Polizei mit Gummigeschossen auf sie.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Mexico City: Floyd und Lopez

    In Mexiko wühlt nicht nur der Tod George Floyds das Land auf, sondern auch das ähnliche Schicksal des Maurers Giovanni Lopez: Er war im Mai im westlichen Bundesstaat Jalisco festgenommen worden, weil er keine Atemschutzmaske trug – und starb offenbar durch Polizeigewalt. Seit vor wenigen Tagen ein Video von dem Einsatz auftauchte, wächst die Wut mexikanischer Demonstranten.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Sydney: Rassismus gegen Aborigines

    Die Kundgebung in Sydney begann mit einer traditionellen Rauch-Zeremonie. Hier galt die Solidarität der mindestens 20.000 Teilnehmenden ausdrücklich nicht nur George Floyd, sondern auch den Australiern aus der Bevölkerungsgruppe der Aborigines, die ebenfalls Opfer rassistischer Polizeigewalt geworden sind. Die Demonstranten forderten, dass keiner von ihnen mehr in Polizeigewahrsam sterben darf.


  • Protest gegen Rassismus auf fünf Kontinenten

    Pretoria: Mit erhobener Faust

    Die in die Luft gereckte Faust ist ein Symbol der #BlackLivesMatter-Bewegung. Doch das Symbol ist weit älter: Als in Südafrika das Apartheidsregime im Februar 1990 den Freiheitskämpfer Nelson Mandela aus der Haft entließ, reckte er auf seinem Weg in die Freiheit die Faust empor, so wie jetzt dieser Demonstrant in Pretoria. Noch immer sind in Südafrika Weiße häufig bevorteilt.

    Autorin/Autor: David Ehl


Della steht im Austausch mit Initiativen in anderen europäischen Ländern, die alle einst Kolonialstaaten waren. Auch dort gebe es konkrete politische Kampagnen gegen rassistische Polizeiarbeit. “Es gibt da sehr viele Parallelen trotz der Tatsache, dass die Gesellschaften sehr sehr unterschiedlich sind.”

Proteste trotz Corona

Was in den USA unter dem Motto #BlackLivesMatter – “schwarze Leben zählen” – ausgetragen wird, ist in praktisch allen Ländern Thema, in denen schwarze Menschen diskriminiert werden. Tahir Della freut sich, dass sich auch Teile der Mehrheitsgesellschaft anschlössen, “aber nicht in paternalistischer Form, sondern in solidarischer Form”.

Nur der Zeitpunkt ausgerechnet während der Corona-Pandemie mache ihn “zwiegespalten”, sagt Della. Zwar tragen viele Demonstranten Mundschutz – in den großen Menschenmengen sind epidemiologisch sinnvolle Mindestabstände aber kaum einzuhalten. Della fordert deshalb von Organisatoren und Teilnehmer der Kundgebungen Besonnenheit: “Achtet bitte drauf, dass das mit im Blick bleibt, dass es hier nicht wieder zu einem Ansteigen der Infektionszahlen kommt.”


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