Es war einmal: El Chapo

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Seit den 1980er Jahren gilt Joaquín Guzmán alias “El Chapo” als meistgefürchteter Drogenboss der Welt. Jetzt steht er in New York vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft hofft, ihn endgültig hinter Gitter bringen zu können.

Ein gefallener Drogenboss: El Chapo bei seiner Ankunft in New York im Januar 2017

El Chapo – der Kleine. Der Spitzname des legendären mexikanischen Ex-Drogenbosses Joaquín Guzmán klingt fast niedlich, zurückzuführen ist er auf die 1,64 Meter, die der 61-Jährige lediglich misst. Das Gegenteil von niedlich ist aber seine Geschichte, die nur so vor Superlativen strotzt. Seit heute wird El Chapo in New York der Prozess gemacht.

Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe für Verbrechen, die der Fiktion eines erstklassigen Kinokassenschlagers entstammen könnten. Die Staatsanwaltschaft in Manhattan will nun aber beweisen, dass sie brutale Realität sind: 300.000 Seiten Beweismittel sind die Vorbereitung dafür, El Chapo unter anderem für 33 Morde und den Schmuggel von mehr als 150 Tonnen Kokain in die USA hinter Gitter zu bringen. Und diesmal endgültig. Immerhin ist Guzmán in der Vergangenheit nicht nur einmal für seine spektakulären Fluchten aus Gefängnissen in den Schlagzeilen gewesen.

Die Eskorte von El Chapo, die ihn durch Manhattan kutschiert, ist schwer bewaffnet

Sein Aufstieg begann in den 1980er Jahren. Damals schaffte er es mit viel Geschick, aber auch mit brutalen Mitteln an die Spitze des Schmuggelgeschäfts von kolumbianischem Kokain, das er von Mexiko in die USA brachte. Inmitten verschiedener Kartelle machte sich El Chapo einen Namen. Es dauerte nicht lange, und die Kolumbianer verkauften ihre Ware direkt an den neuen Drogenboss. El Chapos Leute gruben dann auch einen der ersten Tunnel von Mexiko in die USA, um die heiße Ware an den Behörden auf beiden Seiten der Grenze vorbei zu schleusen. Einige dieser Narco-Tunnel (spanisch für “Dealer”) waren äußerst primitiv gebaut, andere wiederum mit Lampen, Ventilatoren oder gar Schienen ausgestattet. In den vergangenen 25 Jahren entdeckten die Behörden rund 180 dieser Schmuggelbauten.

Erste Fahndung 1993

1993 wollte Mexiko El Chapo dann das erste Mal das Handwerk legen: Die Regierung schrieb Guzmán zur Fahndung aus, er floh daraufhin nach Guatemala. Wenig später fassten ihn die Behörden aber dort und ein Gericht in Mexiko verurteilte ihn zu 20 Jahren Haft. Doch er hielt es nicht lange in seiner Zelle: 2001 floh El Chapo nämlich zum ersten Mal. In einem Wäschewagen entkam er dem Gefängnis in Puente Grande.

Beschützt von seiner Privatarmee versteckte sich Guzmán anschließend in seiner Heimat Sinaloa. Doch anstatt seine wieder erlangte Freiheit dort zu genießen, widmete er sich wieder seinem Geschäft und baute es zu ungeahnter Größe aus. So berichtete

Sean Penn traf El Chapo im Jahr 2015 für ein Interview

Schauspieler Sean Penn, der Guzmán 2015 zu einem umstrittenen Interview traf, von diesem florierenden illegalen Warenhandel. El Chapo habe geprahlt: “Ich liefere mehr Heroin, Methamphetamin, Kokain und Marihuana als irgendwer sonst in der Welt. Ich habe eine Flotte aus U-Booten, Flugzeugen, Lastwagen und Schiffen.”

Diese weltweit agierende Flotte brachte El Chapo ein Vermögen in Milliardenhöhe ein – und den Respekt seiner Landsleute. Viele Mexikaner verehren El Chapo, auch wenn er für den Drogenkrieg mitverantwortlich ist, der dem Land so viele Probleme bereitet. Doch er hat eben auch etwas, das viele Mexikaner sich wünschen: Geld und Macht.

Durch einen Tunnel in die Freiheit

13 Jahre nach seiner ersten Flucht wurde Guzmán in Mexiko aber erneut gefasst. Diesmal kam er in ein Hochsicherheitsgefängnis. Aber auch die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen halfen nicht: Knapp ein Jahr später entkam er wieder seiner Zelle – dank eines bewährten Mittels. Durch einen knapp 1,5 Kilometer langen Tunnel, der in einer der Gefängnisduschen begann, floh Guzmán – der in der Haftanstalt Hilfe aus den innersten Kreisen des Gefängnisses gehabt haben muss, um die Sicherheitsvorkehrungen umgehen zu können.

2016 wurde El Chapo erneut in Mexiko verhaftet

2016, kurz nach dem Treffen mit Sean Penn, gelang der mexikanischen Polizei aber erneut der Zugriff auf El Chapo. Im Januar 2017 wurde er in die USA überstellt: Rund um die Uhr sitzt er seitdem in Einzelhaft, in einer Zelle ohne Fenster. Nur eine Stunde am Tag darf er einen Heimtrainer benutzen oder fernsehen.

Deshalb klagt Guzmán über die Haftbedingungen in New York, über Depressionen und Halluzinationen. Lediglich seine Anwälte und seine beiden siebenjährigen Zwillingstöchter dürfen ihn besuchen. Der einstige Drogenboss scheint abgestürzt und auf dem harten Boden der Gefängnisrealität gelandet zu sein.

Prozess unter hohen Sicherheitsvorkehrungen

Jetzt soll ihm also endgültig der Prozess gemacht werden, obwohl dieser eigentlich schon im September hätte beginnen sollen. Damals argumentierten El Chapos Verteidiger noch erfolgreich, mehr Zeit für die Auswertung des Beweismaterials zu benötigen. Ähnliche Argumente zogen jetzt aber nicht mehr. 

Nun werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit zunächst die zwölf Geschworenen bestimmt. In vier Monaten sollen sie ein Urteil fällen – allerdings bleiben sie auf Anweisung des Richters anonym. Zu groß sei angesichts der Brutalität des Angeklagten die Gefahr, dass ihnen etwas passiere. Auch die 16 Zeugen, die aussagen sollen, stehen unter besonderem Schutz. El Chapos letzter Richter in Mexiko wurde 2016 auf offener Straße beim Joggen erschossen.