Sierens China: Der TikTok-Deal – Mehr Schein als Sein

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Auch wenn TikTok nun von US-Firmen übernommen wird – die Mutter Bytedance behält weiter die Kontrolle. Für chinesische Unternehmen in den USA ist dies jedoch ein alarmierender Präzedenzfall, meint Frank Sieren.

Die Übernahme der Erfolgsplattform TikTok durch US-Firmen könnte sich als halb so schlimm erweisen und Präsident Trump als Papiertiger: Wenn alles klappt, soll die chinesische Kurzvideo-Video-App bald in einem Unternehmen namens “TikTok Global” aufgehen, das mit Sitz in Texas sämtliche Aktivitäten der App außerhalb Chinas kontrolliert. Der Deal beinhaltet, dass der Einzelhandelsgigant Walmart und das US-Tech-Unternehmen Oracle jeweils 7,5 Prozent beziehungsweise 12,5 Prozent an dem neuen Konzern halten.

Ein amerikanisches Unternehmen ist TikTok damit aber noch lange nicht. In einem am Montag veröffentlichten Statement erklärt TikTok-Mutterkonzern Bytedance ausdrücklich, dass Tiktok Global dann eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Holding wäre, an der Bytedance weiter einen Anteil von 80 Prozent ält. Wenn Trump also behauptet, Tiktok Global werde “eine brandneue Firma”, die “nichts mit China zu tun” hat oder US-Außenminister Pompeo erklärt, Bytedance werde “keine Entscheidungsbefugnis” mehr haben, ist das schlicht falsch – zumindest nach jetzigem Kenntnisstand.

Wenig Social-Media-Expertise

Amerikanische Investoren wie Sequoia und General Atlantic sind wiederum mit rund 40 Prozent an Bytedance beteiligt. Doch wie man es auch dreht: Die Amerikaner haben weder an der Muttergesellschaft noch an der Tochtergesellschaft die Mehrheit. Man kann natürlich die Anteile einer Mutter- und einer Tochtergesellschaft nicht zusammenrechnen, wie das manche Medien tun, die Trump gewogen sind. Sie stimmen ja nie zusammen ab. Allerdings ist es auch schwierig für die Chinesen, sich komplett gegen ihre amerikanischen Investoren zu stellen. Die Amerikaner haben faktisch ein Vetorecht in ihrem Geschäft.

Die Unternehmenszentrale der TikTok-Mutter Bytedance in Peking

Allerdings haben weder das 1977 gegründete Hard- und Software-Unternehmen Oracle, noch die Supermarktkette Walmart viel Expertise im Bereich von boomenden Social-Media-Netzwerken. Dass sie den Deal bekommen haben, liegt wohl vor allem daran, dass Trump ihnen einen Gefallen tun wollte. Denn sie stärken Trump den Rücken. Larry Ellison, der Co-Gründer von Oracle und einer der reichsten Männer der Welt, gilt als offener Unterstützer und Helfer im Wahlkampf von Trump. Auch das Walmart-Management steht Trump nahe. Dass Microsoft leer ausging hat wohl auch damit zu tun, dass das Unternehmen eher auf Distanz zu Trump steht.

Dennoch ist Bytedance mit einem blauen Auge davongekommen. Sie sind gezwungen worden, gegen ihren Willen Anteile an die Amerikaner zu verkaufen – aber eben nicht die Mehrheit. Und auch das Bytedance-Knowhow wurde nicht angetastet.

Keine Algorithmen für die USA

Nach eigenen Angaben werden die Chinesen keinen ihrer Algorithmen mit den Amerikanern teilen. Diese Algorithmen sind jedoch der Grund, warum TikTok so erfolgreich ist. Sie bestimmen, welche Videos die User in welcher Reihenfolge angezeigt bekommen, und welche sang- und klanglos untergehen. Die gesamte Kurzweil und Reichweite der App basiert auf ihnen. Und sie lernen ständig dazu. Genauer: Oracle, das in Zukunft für den Datenschutz von TikTok Global verantwortlich sein soll, kann zwar auf den Programmier-Code der App zugreifen, aber nichts umschreiben, hinzufügen oder entfernen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking

Grund dafür ist auch eine neue Regel der chinesischen Regierung. Peking hatte Ende August bekanntgegeben, dass heimische Software-Algorithmen nur noch mit Zustimmung des chinesischen Handelsministeriums verkauft werden dürfen. Ein  geschickter Schachzug. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Peking das Gefühl hatte, dass das Maß nun voll ist. Eine schwarze Liste für ausländische Unternehmen hat Peking ebenfalls angekündigt. Nicht klar ist, ob diese Konstruktion tatsächlich mehr Datenschutz garantiert. Das war ja eigentlich der politische Ausgangspunkt des Vorstoßes von Trump.

Gesichtswahrende Lösung für alle

Es sieht es so aus, als ob die beteiligen Unternehmen eine Lösung gefunden haben, mit der alle Seiten leben können. Die chinesische und die amerikanische Politik haben jedoch ihre eigene Sichtweise. Trump verkauft den Kompromiss als einen Sieg über das immer mächtiger werdende China und Peking als neuen Beleg für die Unverschämtheit der Amerikaner.

Der Deal mit Oracle und Walmart “verletze Chinas nationale Sicherheit, Interessen und Würde”, schreibt dann auch die chinesische Staatszeitung Global Times. “Wenn dieser durch US-Manipulationen vorangetriebene Umbau von TikTok Schule macht, wird jedes erfolgreiche chinesische Unternehmen, sobald es sein Geschäft auf die USA ausdehnt und wettbewerbsfähig wird, von den USA ins Visier genommen”. Ähnlich wie in China eben, wo zum Beispiel den westlichen Autofirmen chinesische Partner für Gemeinschaftsunternehmen zugewiesen wurden und eine Mehrheit in den Joint-Venture-Firmen viele Jahre lang nicht möglich war. Inzwischen gibt es Ausnahmen.

Das WeChat-Verbot in den USA wurde bereits von einem Gericht untersagt

Unabhängige Gerichte gibt es in China nicht

Insofern hat der Vorstoß zwar nicht im Ton und im politischen Stil, dafür aber in der Sache eine gewisse Berechtigung. Der Unterschied: Die westlichen Autofirmen hatten Branchenerfahrung, bevor sie sich entschlossen, in China zu investieren. Sie wussten aber auch nicht, dass der chinesische Staat sie eines Tages zu E-Auto-Quoten zwingen würde und sie nur chinesische Batterien benutzen dürfen. 

Zudem sind in den USA die Gerichte unabhängiger als in China. Das ebenfalls von Trump angedrohte US-Verbot der chinesischen App WeChat wurde von einer Richterin in Kalifornien bereits abgeschmettert, da sie durch die Sperrung die Redefreiheit der Nutzer in den USA beschnitten sah. Dass sind vor allem Auslandschinesen oder chinesischstämmige Amerikaner. Einem ähnlichen Einspruch im Namen der in China gesperrten Plattformen Facebook, Google Snapchat oder Twitter würde ein chinesisches Gericht dagegen niemals stattgeben.