Clemens Fuest: Mit Schulden durch die Krise

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Eine aktuelle Prognose des Münchner Ifo-Instituts sieht den Absturz der deutschen Wirtschaft wegen der Corona-Krise weniger schlimm als befürchtet. Warum, das erklärt Ifo-Chef Clemens Fuest im DW-Interview.

DW: Das Ifo-Institut hat seine Prognose für die deutsche Wirtschaft deutlich nach oben korrigiert. Ist der Schaden durch Corona also gar nicht so schlimm?

Clemens Fuest: Der Schaden ist schon erheblich. Wir erwarten ja derzeit immer noch eine Schrumpfung von etwas mehr als fünf Prozent in der Größenordnung dessen, was wir in der Finanzkrise 2009 hatten. Das ist ein historischer Einbruch, aber eben nicht ganz so groß wie das, was wir vor drei Monaten noch erwartet haben.

Was war der Hauptgrund für die doch deutliche Verbesserung der Prognose?

Es gab verschiedene Gründe. Erst einmal ist das zweite Quartal nicht ganz so schlimm gelaufen, wie wir erwartet hatten. Dann haben sich einige Handelspartner doch erstaunlich schnell erholt, insbesondere China. Im Juli waren die Exporte nach China schon wieder ungefähr so hoch wie im Vorjahr. Bei anderen Handelspartnern läuft es nicht ganz so gut, aber das Gesamtbild ist doch etwas freundlicher. Und dann hat die Politik sehr viel Geld in die Hand genommen und die Wirtschaft gestützt. All das führt dazu, dass wir die Prognose ein bisschen nach oben gesetzt haben.

Aus vielen Branchen kommen Hiobsbotschaften. Die Lufthansa liegt am Boden, Autozulieferer kündigen Stellenstreichungen an. Bei Handel und Gastgewerbe wird eine Pleitewelle befürchtet, wenn die Ausnahmen im Insolvenzrecht wegfallen. Wie passt das mit ihrem weniger pessimistischen Ausblick zusammen?

Die Probleme dieser Branchen sind natürlich in der Prognose eingepreist, und sie verschwinden auch nicht. Gastronomie, die Reisebranche, die Messewirtschaft haben Riesenprobleme. Wir haben sogar in manchen Bereichen der Industrie Schwierigkeiten: Maschinenbau, Autoindustrie, das läuft alles nicht so toll. Aber es gibt andere Bereiche der Wirtschaft, die sich doch recht gut entwickelt haben, etwa im Fahrradgeschäft oder der Möbelbranche, und das führt dann zu dieser insgesamt etwas nach oben gesetzten Prognose.

Während einige Branchen die Pandemie bislang gut überstanden haben, kämpfen Auto-Zulieferer mit den Auswirkungen

Nun sind Prognosen derzeit besonders schwierig, weil die Entwicklung der Pandemie noch unklar ist. Ebenso unklar ist aber die weitere Entwicklung beim Brexit und auch beim Handelskrieg USA-China. Ist eine halbwegs seriöse Vorhersage unter diesen Bedingungen überhaupt möglich?

Prognosen sind dann seriös, wenn man die Annahmen offenlegt. Prognosen sind Szenarien, die auf bestimmten Annahmen beruhen. Niemand kennt die Zukunft. Aber um planen zu können, muss man sich Szenarien ausdenken und überlegen: Was könnte passieren? Unsere Prognose beruht auf der Annahme, dass es nicht eine massive zweite Infektionswelle gibt im Herbst, dass es keinen harten Brexit gibt und auch kein Wiederaufflammen des Handelskrieges. Das kann natürlich alles anders kommen. Das ist im Moment in der Tat mit besonders hoher Unsicherheit behaftet. Aber eine seriöse Prognose kann man trotzdem machen, einfach indem man diese Annahmen offenlegt.

Deutschland wird immer wieder vorgeworfen, unanständig hohe Exportüberschüsse zu erzielen. Ändert sich durch die Krise daran etwas?

Nicht wirklich. Wir werden in diesem Jahr einen niedrigeren Exportüberschuss haben, aber der wird ein Jahr später dann wieder zunehmen. Es sind ganz fundamentale Muster, die das Ganze treiben, vor allem eine hohe Ersparnis in Deutschland und eine eher verhaltene Konsum- und Investitionsneigung. In Deutschland sparen sehr viele Leute, das hat mit unserer Demografie zu tun. Solche Ungleichgewichte kriegt man nicht so schnell weg, jedenfalls nicht durch eine solche Krise .

Sie haben es ja bereits erwähnt: Der deutsche Staat hat viel Geld in die Hand genommen, um der Wirtschaft durch die Krise zu helfen. Die Hilfspakete kosten Milliarden. Wenn die Krise nicht so heftig wird wie befürchtet, was heißt das dann für den deutschen Staatshaushalt?

Der Staatshaushalt wird nicht ganz so weit ins Defizit rutschen. Denn wenn die Wirtschaft besser läuft, dann gibt es ja doch mehr Steuereinnahmen und man muss nicht ganz so viel ausgeben, etwa für die Arbeitslosenunterstützung. Insofern wird das Defizit nicht ganz so groß sein. Wir müssen trotzdem davon ausgehen, dass wir jetzt für mehrere Jahre ein erhebliches Defizit im Staatshaushalt haben. Das wird im kommenden Jahr noch so sein und auch 2022.

Also keine schnelle Rückkehr zur sogenannten Schwarzen Null – also einem ausgeglichenen Haushalt?

Das wird dauern, bis wir zur Schwarzen Null zurückkommen. Nach unseren Einschätzungen mindestens bis zum Jahr 2023, vielleicht aber auch noch länger. Aber das ist nicht so schlimm. Wichtig ist die langfristige Verpflichtung auf Solidität. Und dafür ist die Schwarze Null oder auch die Schuldenbremse gut. Das sind wichtige politische Signale, dass die Investoren wissen: Deutschland verlässt den Kurs der soliden Finanzpolitik nicht. Aber jetzt in der Krise gehört es zu einer soliden Finanzpolitik, dass man auch Schulden macht, wenn es sein muss. Und wenn es wieder besser läuft, dann fahren wir die Defizite zurück.

 

 

Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.

Die Fragen stellte Andreas Becker.