Tour de France: Slowenien wegen Pogacar und Roglic im Gelbfieber

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Ein Land, zwei Millionen Einwohner und drei Wertungstrikots bei der Tour – darunter das Gelbe des Gesamtsiegers. Was verbirgt sich hinter dem Radsportwunder, dessen Gesichter Tadej Pogacar und Primoz Roglic sind?

Gelb ist in diesen Tagen die Nationalfarbe in Slowenien. Auf Straßen und Plätzen sieht man sie, in Tankstellen, Geschäften und Büros. Auch die Universitäten erobert diese Farbe, die den Gesamtsieger der Tour de France auszeichnet. “Wir bereiten gelbe Trikots für alle Angehörigen unserer Fakultät vor, etwa 200 Stück. Denn wir glauben, der Montag wird ein verrückter Tag”, erzählt Radoje Milic der DW am Telefon. Milic ist Chef des Labors für Leistungsdiagnostik am sportwissenschaftlichen Institut der Universität von Lubljana. Er ist auch eine Art Gottvater des slowenischen Radsports. 1988 begann er mit den Leistungstests, entwickelte Trainingspläne, schulte Jugendtrainer.

Was man jetzt auf Frankreichs Straßen sah, erst die dominierende Vorstellung von Primoz Roglic und danach den unglaublichen Überholvorgang des noch nicht einmal 22-jährigen Tadej Pogacar, ist für Milic der Höhepunkt von mehr als 30 Jahren Entwicklungsarbeit. “1990 holten wir mit Bogdan Fink die erste Bronzemedaille bei einer Junioren-WM. Fink ist heute Sportdirektor bei Adria Mobil. Ich war damals Mama und Papa für sie”, erinnert sich Milic lachend.

Nach Fink gab es weitere Medaillen für slowenische Nachwuchsradsportler. Janez Brajkovic wurde 2004 U23-Weltmeister im Einzelzeitfahren, Matej Mohoric 2013 U23-Weltmeister im Straßenrennen. Im Jahr zuvor glückte Mohoric der gleiche Coup eine Klasse tiefer, bei den Junioren. Medaillengewinner bei den Nachwuchs-WM 2004 war zudem Simon Spilak – eine beachtliche Bilanz für ein Land mit nur zwei Millionen Einwohnern.

Zu gut für seine Altersklasse

Zu gut für Nachwuchsweltmeisterschaften war ein anderer Slowene: Tadej Pogacar. Im letzten Herbst, er war gerade 21 Jahre alt geworden, verzichtete er auf die U23-WM und startete im Männerrennen. Er wurde 18. Eine Woche zuvor, als noch 20-Jähriger, holte er den dritten Gesamtrang bei der Vuelta in Spanien.

“Er ist ein Wunderkind”, meinte sein Jugendtrainer Miha Koncilija, als ihn die DW während des Tour-Zeitfahrens anrief. Da glaubte Koncilija noch, dass sein Schützling Zweiter bleiben würde hinter dem älteren Landsmann Roglic. Auf dem 36,2 Kilometer langen Zeitfahrkurs hoch zur Planche des Belles Filles übertraf Pogacar aber auch die Erwartungen derer, die ihn lange kennen.

Völlig ausgepumpt aber am (vorläufigen) Ziel der Träume: Tadej Pogacar nach der vorletzten Tour-Etappe

Kontinuitäten vermag Koncilija dennoch zu erkennen. Er trainiert Pogacar seit dessen zehnten Lebensjahr. “Damals war er zehn bis 20 Zentimeter kleiner. Das fehlende Gewicht machte sich vor allem bei Rennen gegen den Wind bemerkbar. Tadej musste kämpfen. Aber ich denke, das hat ihm geholfen, dass er sich immer gegen Größere durchsetzen musste”, meint Koncilija.

Milic: “Da war alles sauber”

Er sagt, dass Pogacar sich regelmäßig entwickelt habe, von Jahr zu Jahr besser geworden sei. Für ihn ist die Entwicklung seines Schützlings logisch. “Wir wussten zwar nicht, dass er so etwas erreichen wird wie jetzt in Frankreich. Aber wir wussten, dass er ein großes Talent ist. Und wir merkten, dass er hart an sich arbeitete.”

Eine ähnliche Haltung vertritt der Leistungsdiagnostiker Milic: “Von Pogacar haben wir jede Menge Daten, beginnend mit seinem 14. Lebensjahr. Jedes Jahr gab es mehrere Tests, denn er war schon früh als Talent erkannt”, sagt Milic der DW. Er traut sich zu, anhand der Entwicklung von Leistungsdaten zu erkennen, ob jemand dopt. Bei Pogacar sagt er: “Da war alles sauber.” Er führt dessen Entwicklung auf Talent und harte Arbeit zurück. Und auch auf Intelligenz auf dem Rad. “Wir hatten Sportler mit ähnlichen Werten wie er. Er aber bringt es auf die Straße. Er beherrscht es, sich gut zu positionieren und er erkennt seine Chancen. Er hat einen sehr hohen Radsport-IQ”. Die Performance auf der Planche des Belles Filles hat aber auch Milic überrascht. “Ich gab ihm zehn Prozent, dass er Roglic noch bezwingt”, sagt er. Viele andere gaben dem jungen Slowenen nicht einmal diese Chance.

Scouting-Netzwerk und Nachwuchsarbeit

Dass jetzt wahrscheinlich zwei Slowenen am Sonntagabend auf dem Podium in Paris stehen werden, hat mit einem dichten Netz von Rennen und auch der Rundumbetreuung durch das Sportinstitut in Ljubljana zu tun. “Wir haben eine Vereinbarung mit dem Radsportverband, auch die jungen Fahrer zu testen. Wir arbeiten mit ihnen zwei, drei manchmal vier Mal im Jahr zusammen, abhängig von bestimmten Programmen. Wir betreuen sie bis zur U23. Danach sind sie entweder Amateurfahrer auf sehr hohem Niveau oder sie werden Profis”, erzählt Milic.

Als die DW ihn im letzten Jahr besuchte, gab es an seinem Institut einen solchen Leistungstest. Dutzende Jungen und Mädchen warteten auf den Fluren des Instituts. Damals waren es allerdings Skispringer, Jugendliche also aus jenem Sport, in dem einst Primoz Roglic, der wahrscheinliche Tour-Zweite, als Jugendlicher brillierte. Milic testete Roglic bereits 2013. Da hatte er dem Skispringen wegen einer langwierigen Sturzverletzung den Rücken gekehrt.

Der ehemalige Skispringer Primoz Roglic fuhr bei der diesjährigen Tour lange Zeit im Gelben Trikot

Radfahren betrieb er als Regeneration. Und als er ernsthaft trainierte, schlug er in einem der vielen Amateurrennen gleich ein paar Ex-Profis. Das führte ihn zu Milic. Und der brachte Roglic bei seinem allerersten Schützling unter, bei Bogdan Fink. “Am Anfang waren meine sportlichen Leiter skeptisch. Primoz stürzte anfangs auch viel. Er musste es erst lernen, im Peloton zu fahren. Aber das Faszinierende an ihm ist: Er macht keinen Fehler zwei Mal”, beschrieb Fink die Anfänge. Im Zeitfahren noch eine Tour de France zu verlieren – das passierte ihm am Samstag zum allerersten Mal.

Zweifel, aber keine Beweise

Dass aufgrund der Erfolge der beiden Slowenen die Zweifel an der Sauberkeit der Leistungen aufkommen, überrascht weder Fink noch Milic. Für ihre Schützlinge halten sie aber die Hände ins Feuer. Und Operation “Aderlass”, die Dopingermittlung um den Erfurter Arzt Mark Schmidt, zu dessen Klienten auch die beiden slowenischen Radprofis Borut Bozic und Kristijan Koren sowie der Manager Milan Erzen gehört haben sollen, sind für Fink eine Angelegenheit einer alten, längst vergangenen Radsportgeneration. Erzen war immerhin eine Zeitlang sportlicher Leiter bei Adria Mobil. “Er war aber schon weg, als Primoz zu uns kam”, versichert Fink.

Und auf die Frage, ob er oder jemand anders vom Rennstall Kontakt zu Mark Schmidt hatte, lacht Fink sarkastisch auf und sagt: “Ich habe von Dr. Schmidt nur aus den Medien erfahren, und Primoz denke ich auch.” Bisher sind direkte Verbindungen von Roglic oder Pogacar zum Erfurter Dopingarzt auch nicht bekannt.