Braucht der Westbalkan ein “Mini-Schengen“?

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Anfang September unterzeichneten Serbien und Kosovo in Washington zwei Papiere zur wirtschaftlichen Normalisierung ihrer Beziehungen. Umstritten blieb der Beitritt Kosovos zur “Mini-Schengen”-Initiative. Worum geht es?

Die Präsidenten Serbiens und der USA, Vučić (li.) und Trump und Kosovo-Premier Hoti in Washington

Als Serbien, Albanien und Nordmazedonien im Herbst 2019 ihre “Mini-Schengen”-Initiative vorstellten, hatte die EU gerade erneut die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien verschoben. Durch den Vorstoß der drei Westbalkan-Staaten soll eine Art “kleine EU” in Südosteuropa entstehen: ein Gebiet, in dem freier Verkehr von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital besteht.

Die Umsetzung der auch als “Balkan-Schengen” bekannten Initiative soll 2021 beginnen. Zwei bisher nicht beteiligte Westbalkan-Länder, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina, sind nach wie vor unentschieden, ob sie mitmachen wollen. Das ebenfalls bisher nicht an der “kleinen EU” beteiligte Kosovo soll nun laut der Washingtoner Vereinbarung (4.9.20) auch bei “Mini-Schengen” dabei sein.

Peter Beyer (CDU), Berichterstatter für den Kosovo-Serbien-Dialog im Bundestag und im Europarat

Auf Wunsch der USA

Europas jüngster Staat hatte die Initiative bis dahin strikt abgelehnt, weil es eine serbische Dominanz in der Region befürchtet. Kosovos Premierminister Avdullah Hoti sagte nach seiner Rückkehr aus Washington vor Journalisten, die Teilnahme sei auf ausdrücklichen Wunsch der USA erfolgt. “Wir werden bei der Implementierung darauf achten, dass unsere staatlichen Interessen nicht verletzt werden”, so Hoti.

Der Premierminister des benachbarten Albanien, Edi Rama, begrüßte dagegen die Vereinbarung von Washington: “Lieber spät als nie! Dem befreundeten Amerika sei dank!”, schrieb Rama in einem Tweet. Dabei ist unklar, was genau die USA mit der Unterstützung der “Mini-Schengen”-Initiative eigentlich bezweckt.

Initiativen für regionale Kooperation auf dem Westbalkan gibt es bereits. Dass diese für die EU-Annäherung wichtige Zusammenarbeit von den USA unterstützt werden, sei zu begrüßen, sagt gegenüber der DW Peter Beyer, Bundestagsabgeordneter (CDU) und Beauftragter der Bundesregierung für transatlantische Beziehungen.

Beyer, der auch Berichterstatter für den Kosovo-Serbien-Dialog im Bundestag und im Europarat ist, fügte hinzu, dass “dies ursprünglich vor Jahren bereits durch die Initiative der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel konkret angestoßen und in den Folgejahren mit substantiellem Erfolg weiter verfolgt und intensiviert worden ist”.

Majlinda Bregu, Generalsekretärin des Regional Cooperation Council (RCC)

Regionaler Wirtschaftsraum

Tatsächlich bemüht sich die deutsche Regierung seit 2014, dem Westbalkan über den “Berliner Prozess” eine geeignete Begleitung auf dem langen Weg in die EU anzubieten. 2017 verabschiedeten die sechs Länder der Region – Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, Kosovo und Serbien – einen mehrjährigen Aktionsplan für die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Wirtschaftsraums. Als Grundlage dient das Zentraleuropäische Freihandelsabkommen (CEFTA), dem alle sechs Westbalkan-Staaten angehören.

Majlinda Bregu, Generalsekretärin des Regional Cooperation Council (RCC), der die Umsetzung des Abkommens überwacht, sagte im Interview mit DW Albanisch, trotz vieler Schwierigkeiten politischer Natur gebe es dabei auch Fortschritte. Als Beispiel nennt sie die Roaminggebühren auf dem Westbalkan, die bis 2021 stufenweise abgeschafft werden sollen.

Beim nächsten Gipfeltreffen, das voraussichtlich noch in diesem Herbst in Sofia stattfinden wird, soll ein zweiter mehrjähriger Aktionsplan für die Errichtung eines Wirtschaftsraums verabschiedet werden. “Dieser sieht die Intensivierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Digitalisierung, Investition, Mobilität und Tourismus vor”, so Bregu.

Geopolitische Bedeutung?

Welche Vorteile bietet “Mini-Schengen” also gegenüber dem regionalen Wirtschaftsraum und CEFTA? Dazu gebe es bis jetzt kein einziges offizielles Dokument, so Ardian Haçkaj, Direktor des Forschungsinstituts für Kooperation und Entwicklung (CDI) in Tirana. Der Öffentlichkeit sei nur eine gemeinsame Erklärung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und der Premierminister Nordmazedoniens und Albaniens, Zoran Zaev und Edi Rama, nach einem Treffen im nordmazedonischen Ohrid 2019 bekannt. Dort betonten die drei Politiker, “Mini-Schengen” stimme mit dem “Berliner Prozess” überein.

Während die EU und Deutschland mit Zurückhaltung auf “Balkan-Schengen” reagierten, signalisierten die USA von Angang an Unterstützung. Am Donnerstag (17.9.20) will nun das bisher nicht beteiligte Bosnien und Herzegowina auf Vorschlag des serbischen Mitgliedes des bosnischen Staatspräsidiums, Milorad Dodik, über eine Mitgliedschaft in der “kleinen EU” beraten.

Dodik machte den Vorschlag nach einem Treffen mit dem Balkan-Gesandten des US-State-Department, Matthew A. Palmer. Dieser hatte zuvor in Berlin an einer Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung mit den Botschaftern der Westbalkan-Länder teilgenommen. Laut DW-Informationen spielte die “Mini-Schengen”-Initiative dort keine Rolle.

Ardian Haçkaj schließt nicht aus, dass “Mini-Schengen ein geopolitisches Instrument der USA werden könnte, um Einfluss auf den EU-Integrationsprozess der Westbalkan-Länder sowie die Gespräche zwischen Kosovo und Serbien zu behalten”.

Manuel Sarrazin, MdB (Die Grünen/Bündnis 90) und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft

Moderatorenrolle für Europa

Valeska Esch vom Aspen-Institute Deutschland kritisiert diese Haltung. “Wenn die US-Regierung die Normalisierung zwischen beiden Ländern und deren Heranführung an die EU tatsächlich substantiell unterstützen möchte, sollte sie die Implementierung der bestehenden Initiativen unterstützen, anstatt ähnliche Initiativen als etwas Neues zu vermarkten”, sagt sie im Interview mit DW Albanisch.

Die von allen Seiten erwünschte Kooperation zwischen EU und USA funktioniert jedoch kaum, seit Präsident Donald Trump im Amt ist. Auch das kosovarisch-serbische Treffen vom 4. September sei schlecht vorbereitet und nicht mit der EU abgesprochen gewesen, meinen Kritiker in Berlin.

Manuel Sarrazin, Abgeordneter (Die Grünen/Bündnis 90) im Deutschen Bundestag und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, spricht von einer “neo-kolonialen Macho-Show, die rein dem Wahlkampf von Donald Trump diente”. Er forderte gegenüber der DW, dass “die EU nun dauerhaft ihre Moderatorenrolle übernimmt.”

Ardian Haçkaj vom Forschungsinstitut für Kooperation und Entwicklung in Tirana bezweifelt, dass die EU dieser Rolle alleine gerecht werden kann. “Die Verzögerung der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien sowie die Weigerung, Bürgern Kosovos die längst versprochene Visa-Liberalisierung zu gewähren, hat die EU viel Glaubwürdigkeit in der Region gekostet”, so Haçkaj. “Ohne das Zusammenspiel mit der USA kann die EU keine dauerhaften Lösungen auf dem Balkan durchsetzen.”