Asylverfahren in Griechenland: Was tut die EU?

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Die Probleme in griechischen Lagern sind nicht neu. Der Brand auf Moria wirft ein Schlaglicht auf das bisherige Scheitern, auch auf die europäisch organisierten “hot spots”. Bernd Riegert mit einer Bilanz aus Brüssel.

Alles wieder auf Anfang: Asylbewerber müssen in Kara Tepe einen neuen Antrag stellen und in Quarantäne

Wie kann die Krise auf Lesbos nach dem Brand des Asylbewerber-Lagers Moria gelöst werden? Athen und Brüssel suchen nach Antworten auf diese Frage. Die fallen im Moment so aus:

Griechenland will möglichst geschlossene Lager

Der griechische Minister für Zivilschutz, Michalis Chrysochoidis, sagte am Montag, kein Asylbewerber oder Flüchtling dürfe die Insel Lesbos verlassen. Zunächst müssten sie sich im neu errichteten Lager Kara Tepe registrieren und auf Corona testen lassen. Dann werde über ihr Asylgesuch und die Schutzbedürftigkeit entschieden sowie über Abschiebung oder Weiterreise auf das griechische Festland befunden.

Der griechische Staat, so weitere Minister der Regierung, dürfe sich nicht erpressen lassen. Man gehe davon aus, dass Asylbewerber selbst das Lager Moria in Brand gesteckt hätten, um ihre Weiterreise zu erzwingen. Die Untersuchungen zur Brandursache laufen allerdings noch. Die griechische Regierung befürchtet offenbar auch, dass andere Lager in Griechenland brennen könnten, wenn der Evakuierung von Lesbos zugestimmt würde.

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Spannungen auf Lesbos

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Zunehmend Spannungen auf Lesbos

Deutschland will einige Flüchtlinge aufnehmen

Deutschland ist nach Medienberichten bereit, neben bis zu 150 unbegleiteten Minderjährigen auch 1500 weitere Asylbewerber aus Lesbos und von anderen griechischen Inseln aufzunehmen. Das könnte aber nach den Äußerungen der griechischen Regierung erst geschehen, wenn die neue Registrierung und ein erstes Prüfverfahren abgeschlossen sind. Offiziell hat die griechische Regierung wohl nicht um Hilfe in Berlin nachgesucht. Die insgesamt 400 zur Verteilung vorgesehenen Minderjährigen befinden sich bereits am dem griechischen Festland.

Wie groß wird das neue Lager Kara Tepe?

Die Angaben über den Aufbau des neuen Lagers auf Lesbos sind schwer nachvollziehbar. Der griechische Migrationsminister Notis Mitarachi sprach davon, dass in einer Woche alle obdachlosen Asylbewerber auf der Insel, also 12.000, in der neuen Zeltstadt untergebracht werden sollen. Die Kapazität des neuen Lagers war aber zuvor mit 5.000 angegeben worden.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk baut ein neues Lager in Kara Tepe: Wo sind die griechischen Behörden?

Bis zum Montagabend sollten 800 Plätze eingerichtet worden sein, von denen 600 bezogen wurden. Migranten berichten in verschiedenen Medien, dass die Versorgung in dem neuen Lager Kara Tepe eher schlecht sei. Bis alle 12.000 Asylbewerber tatsächlich untergebracht, auf Corona getestet und registriert sind, dürften Woche oder Monate vergehen.

Seit Jahren schwere Mängel

Die mangelhafte Organisation der Verfahren auf Lesbos waren schon vor den Bränden auf Moria ein riesiges Problem, das nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes des Vereinten Nationen UNHCR und vieler Hilfsorganisationen zu “menschenunwürdigen” Zuständen geführt hat. Im niedergebrannten Lager Moria waren bei einer geplanten Kapazität von 3.000 zuletzt 12.000 Menschen in Notunterkünften versammelt.

Die Asylverfahren in Moria sollten nach Ankündigungen der EU und Griechenlands im April 2016 nur “wenige Wochen” dauern, einschließlich einer gerichtlichen Berufungsinstanz. Danach sollten die syrischen Flüchtlinge alle in die Türkei zurückgeschoben werden, so wie es im “Flüchtlings-Deal” mit der der Türkei vereinbart ist. Flüchtlinge ohne Asylgrund aus anderen Nationen sollen in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Beides hat nicht funktioniert, weshalb sich auf den griechischen Inseln bis zu 40 000 Asylbewerber “stauen”.

Von den syrischen Flüchtlingen, die nach der Vereinbarung des “Flüchtlings-Deals” auf den griechischen Inseln angekommen sind, sind laut EU-Kommission in den Jahren 2016 bis 2019 rund nur 2.000 Personen in die Türkei zurückgeschoben worden.

Die EU berät, aber entscheidet nicht

Die Asylverfahren in Griechenland dauern oft viele Monate, wenn nicht Jahre. Die Verfahren auf Lesbos und anderen griechischen Inseln ziehen sich hin, obwohl die Europäische Grenzschutzagentur “Frontex” und die Europäische Asylbehörde “EASO” vor Ort mit Beratern und Beamten vor Ort im Einsatz sind. Die Europäischen Beamten, die aus den übrigen Mitgliedsstaaten entsandt sind, haben allerdings in den als “hot spots” bezeichneten Lagern keine Entscheidungsbefugnis. Die hoheitlichen Aufgaben wie Anerkennung von Asyl oder Abschiebung dürfen nur von griechischen Beamten ausgeführt werden.

Lager unter EU-Führung: Was kann Kanzlerin Merkel (re.) damit gemeint haben?

Was ist neu an Merkels Vorschlag?

Das Konzept der “hot spots” sei gescheitert, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer erst vergangenen Donnerstag eingeräumt. Auch die zwischenzeitlich angedachten “Ausschiffungsplattformen” in Drittstaaten oder “Asylzentren” in europäischen Küstenstaaten gibt es bis heute nicht.

Was sich Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Lagern vorstellt, die von der EU und Griechenland nun gemeinsam auf Lesbos betrieben werden sollen, ist unklar. Merkel und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatten am Montag gesagt, ihnen schwebten Lager vor, die von den EU-Agenturen Frontex und EASO mitgeleitet würden. EU-Diplomaten in Brüssel weisen darauf hin, dass dies exakt das sei, was auf Moria in den “hot spots” nicht funktioniert habe.

Die EU-Kommission will nun bereits kommenden Mittwoch noch vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs ihre lange angekündigten Vorschläge zur Reform der Asylverfahren in Europa vorlegen. Dies war eigentlich erst für die Woche danach geplant. Die Vorschläge sehen eine weitere Straffung der Asylverfahren vor. Eine Regelung zur Verteilung von anerkannten Asylbewerbern aus Griechenland oder Italien ist aber nur auf freiwilliger Basis vorgesehen. Bundesinnenminister Horst Seehofer will die Außengrenzen der EU besser abriegeln, Asylverfahren direkt in Lagern an den Grenzen durchführen lassen und Abschiebungen aus diesen Lagern heraus vornehmen.

Hoffnung der Asylsuchenden auf Ausreise in andere EU-Länder ist eine Illusion

Dauerhaftes Festhalten von Asylbewerbern unrechtmäßig

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil gegen Ungarn im Mai 2020 festgelegt, das ein Festhalten von Asylbewerbern in Transitlagern an der EU-Außengrenze nur vier Wochen rechtlich statthaft ist. Danach gilt die Unterbringung in geschlossenen Lagern als unzulässige Inhaftierung. Wie dieses Urteil auf künftige Lager und das neue Lager auf Lesbos angewendet werden soll, ist ungewiss.

Bislang dürfen Asylverfahren in der EU nach der seit sieben Jahren geltenden gemeinsamen Asylverfahrensrichtlinie maximal sechs Monate dauern. Gegen diese Vorschrift verstoßen nicht nur Griechenland, sondern auch viele andere Mitgliedsstaaten.

Die Mitgliedsstaaten streiten sich außerdem, welches Land für die Asylbewerber zuständig sein soll. Nach den bisherigen Dublin-III-Regeln ist allein Griechenland für die Menschen auf Lesbos und den anderen griechischen Inseln zuständig. Griechenland hatte im Januar vor der Corona-Krise seine Asylverfahren erneut modernisieren wollen und im Januar entsprechende Gesetze beschlossen. Ein Effekt war bislang in den Lagern nicht zu beobachten.