EU-Finanzminister wollen Wirtschaft wiederbeleben

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Das riesige Hilfspaket der EU gegen die Corona-Rezession ist geschnürt. Wie soll das Geld ausgegeben werden und wie kann man es am Ende wieder reinholen? Darüber beraten die EU-Finanzminister in Berlin.

Um gegen die größte Wirtschaftskrise seit 100 Jahren anzukämpfen, hatte die EU im Juli das größte Finanzpaket ihrer Geschichte beschlossen – inklusive der erstmaligen Aufnahme von Schulden. Informell berieten nun die EU-Finanzminister unter deutscher Ratspräsidentschaft in Berlin, wie die 750 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren sinnvoll ausgegeben werden können, um die Wirtschaft nach der Pandemie wieder nachhaltig flott zu machen und die Staatshaushalte nicht völlig durch eine überbordende Neuverschuldung zu ruinieren.

“Wir dürfen jetzt nicht nachlässig werden”, mahnte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde. Das Finanzpaket sei das Eine, aber das Andere sei eine der pandemischen Krise angepasste Fiskalpolitik. Auch wenn die Wirtschaft langsam wieder anziehe, müssten die finanziellen Anreize des Staates, die hauptsächlich durch Schulden finanziert werden, noch anhalten. “Kein vorzeitiger Rückzug!”, lautet das Motto, das die EZB-Chefin in Berlin verbreitete. Die Europäische Zentralbank selbst pumpt rund 600 Milliarden Euro zusätzlich in die Märkte, um Staaten und Unternehmen mit billigem Geld zu versorgen. Ob und wann das nächste Jahr auslaufende Anleihekauf-Programm beendet werden soll, hat der Zentralbankrat noch nicht beschlossen.

Mit Abstand und einigen Masken: Pressekonferenz beim “physischen” Treffen der EU Finanzminister in Berlin

Kein Kliff bitte!

Der für Wirtschaft zuständige EU-Kommissar Paolo Gentiloni pflichtete Christine Lagarde bei. Durch Schulden finanzierte Konjunkturprogramme müssten bis mindestens Ende 2021 weiterlaufen, so Gentiloni. Es dürfe kein abruptes Ende oder ein “finanzielles Kliff “geben, von dem die Unternehmen stürzen könnten. Auch die Finanzierung der Kurzarbeit in vielen europäischen Ländern durch ein spezielles EU-Programm werde weitergehen, versprach Gentiloni. Der neue Vorsitzende der Euro-Gruppe, der irische Finanzminister Paschal Donohoe, sieht einen Aufwärtstrend in der europäischen Wirtschaft, weil sich im Juni und Juli die Geschäfte nach dramatischem Absturz im April und Mai wieder verbessert hätten. EU-Kommissar Gentiloni warnte hingegen vor vielen Unsicherheiten. Niemand wisse genau, wie sich die Pandemie entwickeln werde. Im August habe sich die wirtschaftliche Erholung durch neue Anti-Infektionsmaßnahmen bereits wieder leicht abgeschwächt.

EZB-Präsidentin Lagarde: Nicht in den Aufschwung hineinsparen

Der frühere italienische Ministerpräsident Gentiloni sorgt sich vor allem um die südlichen EU-Länder, in denen die Wirtschaft in diesem Jahr um bis zu 11 Prozent einbrechen wird. In einigen nördlichen Ländern sind es hingegen nur vier. “Die Euro-Zone droht immer weiter auseinander zu brechen”, warnte Gentiloni. Das gelte in nicht ganz so drastischer Form auch für die Zahlen auf dem Arbeitsmarkt. “Wir müssen deshalb vor allem Signale der Zuversicht für die Rückkehr eines starken Wachstums senden”, riet der EU-Kommissar den versammelten Finanzministern. Die versprachen weiter an einem Strang zu ziehen, berichtete der Eurogruppen-Vorsitzende Donohoe aus der Sitzung.

Pläne fürs Ausgeben werden geschrieben

Schnelle Erholung wollen alle, Einzelheiten werden aber noch diskutiert. So ist zum Bespiel nicht klar, wofür die EU-Staaten die vielen Milliarden aus den Aufbaufonds ausgeben wollen und können. Die Mittel sollen nur projektgebunden vergeben werden, also nicht als Zuschuss in den Staatshaushalt, um etwa allgemeine Steuersenkungen zu finanzieren. Deshalb müssen die Finanzminister bis Oktober Länderprogramme entwerfen, aus denen die Verwendung der Mittel ersichtlich wird. “Wir werden dabei kräftig unterstützen”, meinte Paolo Gentiloni. Manche Finanzminister sehen das als Versuch der EU-Kommission, die nationalen Politikansätze zu kontrollieren. Der Rechnungshof der Europäischen Union in Luxemburg hatte in dieser Woche vorsorglich davor gewarnt, dass die Hilfs-Milliarden nicht irgendwo in Staatshaushalten versickern dürften.

EU-Kommissar Gentiloni: Viele Unwägbarkeiten in der Pandemie

Im Konzept zur Finanzierung des Wiederaufbaufonds “Nächste Generation Europa”, den die EU im Juli beschlossen hat, ist vorgesehen, dass die Schulden der EU nach einer Übergangsphase von sechs Jahren mit Einnahmen aus neuen Steuern zurückgezahlt werden. Um welche Steuern es geht und wie hoch diese sein sollen, wird noch diskutiert. In Steuerfragen sind die EU-Mitgliedsstaaten allein zuständig. Deshalb ist bei gemeinsamen Beschlüssen auf jeden Fall Einstimmigkeit gefragt. Die EU-Kommission hatte eine Steuer auf nicht wiederverwendetes Plastik, auf Finanzmarkt-Umsätze, auf Internet-Geschäfte und auf den Verkauf von Emissionsrechten vorgeschlagen. Die Finanztransaktionssteuer und die Digitalsteuer für Internetkonzerne sind nach den Erfahrungen der letzten Jahre schwer durchzusetzen.

Das deutliche Süd-Nord-Gefälle bei den Staatsschulden wird durch Corona noch verschärft

Aufschwung mit Kohlendioxid-Steuer finanzieren?

Wirtschaftsforscher des Ifo-Instituts in München und Experten von der wirtschaftspolitischen Denkfabrik “Bruegel” in Brüssel schlagen deshalb vor, vor allem den Handel mit Verschmutzungsrechten für Kohlendioxid zur Finanzierung heranzuziehen. Bisher kassieren die Mitgliedsstaaten die Erlöse aus dieser Steuer einzeln für ihre nationalen Haushalte. Clemens Fuest, der Chef des Ifo-Instituts, und Jean Pisani-Ferry von “Bruegel” plädierten in einer schriftlichen Vorlage für die Finanzminister dafür, diese Einnahmen auf EU-Ebene gemeinsam einzusammeln, schließlich sei der CO2-Ausstoß ein grenzüberschreitendes, europäisches Problem. Nach Schätzungen des Ifo-Instituts könnten durch Einnahmen aus dem Emissionshandel bis zum Jahr 2050 zwischen 800 und 1500 Milliarden Euro generiert werden. Das würde locker reichen, um das EU-Wiederaufbauprogramm nach Corona zu finanzieren. Allerdings würde sich das Verhältnis der Nettozahler in der EU zueinander durch diesen neuen Maßstab ändern. Polen, das auf CO2-haltige Kohle zur Energieversorgung setzt, würde wesentlich mehr zahlen als heute. Frankreich, das Atomstrom ohne Kohlendioxid-Ausstoß nutzt, würde kräftig entlastet. Noch haben die EU-Finanzminister keinen Beschluss zu neuen Steuern gefasst. “Das kann noch dauern”, meinten dazu EU-Diplomaten in Berlin mit Blick auf die jahrelangen erfolglosen Versuche, eine EU-weite Finanzmarkt-Abgabe auf Derivatehandel einzuführen. “Das war allerdings vor Corona. Vielleicht ist der Druck zur Einigung jetzt größer”, so die EU-Diplomaten.