George Orwells Roman “Farm der Tiere”: Wer sind die Schweine?

0
843

George Orwell rechnete in “Animal Farm” mit der sowjetischen Revolution ab. Seine Parabel auf die Macht erschien vor 75 Jahren – ist aber aktueller denn je.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Aldous Huxley: “Schöne neue Welt” (1932)

    Anders als Utopien beschreiben Dystopien die Zukunft eher bedrohlich. Als Begleiterscheinung der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert wenden sie sich gegen die Technik- und Fortschrittsgläubigkeit jener Zeit. Wie Orwell mit “1984”, schuf auch Aldous Huxley bereits 1932 mit “Brave New World” (“Schöne Neue Welt”), eine Dystopie, die bis heute für die Schrecken totalitärer Herrschaft steht.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    George Orwell: “1984” (1949)

    Mit seinem Roman “1984”, den er nach Kriegsende schrieb, schuf George Orwell (1903-1950) das visionäre Bild eines totalitären Überwachungsstaates, aus dem es kein Entrinnen gibt. Dabei konnte der englische Schriftsteller und Journalist nicht ahnen, welche Kontrollmöglichkeiten das Internet mal bieten würde. Unser Bild zeigt John Hurt in der Verfilmung von “1984” (GB), die 1984 in die Kinos kam.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    H.G. Wells: “Zeitmaschine” (1895)

    Herbert George Wells (1866-1946) war ein Pionier der Science-Fiction-Literatur. Mit seinem Roman “Die Zeitmaschine” aus dem Jahr 1895 hielt der britische Schriftsteller der viktorianischen Gesellschaft den Spiegel vor. Seinen Protagonisten (im Bild Rod Taylor in der Verfilmung “The Time Machine”, USA/1959) lässt er mithilfe einer geheimen Erfindung in eine ungewisse Zukunft reisen.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Stanislaw Lem: “Der Futurologische Kongreß” (1971)

    Atemberaubend, wie visionär der Pole Stanislaw Lem, geboren 1921 im heutigen Lemberg, technische Umwälzungen des 21. Jahrhunderts vorhergesehen hat. In Erzählungen und Romanen wie “Der Futurologische Kongreß”, ” Also sprach Golem” oder “Solaris” verhandelte er zentrale philosophische und ethische Fragen. Wohin führt die totale Automatisierung? Allzu optimistisch fiel seine Prognose nicht aus.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Ray Bradbury: “Fahrenheit 451” (1953)

    Fahrenheit 451 ist die Temperatur, ab der sich Papier angeblich selbst entzündet. So nannte Ray Bradbury auch seinen Roman über ein Land, in dem es verboten ist, Bücher zu besitzen oder gar zu lesen. Freies Denken gilt darin als gefährlich und antisozial. In der Verfilmung von Regisseur Francois Truffaut (F/1966) steht die “Feuer-Wehr” parat, um das Übel mit Flammenwerfern auszulöschen.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Fritz Lang: “Metropolis” (1927)

    Fritz Langs Stummfilm “Metropolis” von 1927 spielt in einer fiktiven Großstadt. Die Menschheit ist in zwei Klassen gespalten. Während die eine im Luxus schwelgt, schuftet die andere an riesigen Maschinen in der Unterwelt. Langs filmisches Opus fiel bei der Kritik durch. Heute gilt der Film des Regisseurs als Meisterwerk und dystopische Pioniertat. Kernfrage: Wohin führen technische Neuerungen?

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Franz Kafka: “Der Process” (posthum 1925)

    Das Werk Franz Kafkas (1883-1924) entzieht sich eindeutigen Interpretationen. Doch werden die Texte des Sprachpuristen, der gebürtiger Böhme deutscher Sprache war, häufig als dystopische Antworten auf eine entfremdende Bürokratie der Moderne gelesen. Das gilt zumal für seinen berühmten Roman “Der Process” von 1915. Sachzusammenhänge wie Kafka zu schildern, trägt heute den Beinamen “kafkaesk”.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Thomas Morus: “Utopia” (1516)

    Wo ist das Land, das seine Menschen glücklich macht und wohl versorgt? Thomas Morus (1478-1535) lebte im England des 16. Jahrhunderts, der Zeit der Renaissance und der Reformation und der Entdeckung der Neuen Welt. In Morus’ Buch erzählt ein Seefahrer von einem Idealstaat, debattiert über Privateigentum und soziale Gleichheit. “Utopia” ist ein Vorläufer der Literaturgattung der utopischen Romans.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Margret Atwood: “Der Report der Magd” (1985)

    Diese ältere Dame, Jg. 1939, hat das literarische Genre der Dystopien ins Streaming-Zeitalter befördert: Die Kanadierin Margret Atwood verheißt in ihren Romanen “Der Report der Magd” und “Zeuginnen” den Sieg des religiösen Fundamentalismus in einem Amerika nach der Klima-Apokalypse. Eine erfolgreiche TV-Adaption flimmert seit 2017 unter dem Titel “The Handmaid’s Tale” über die Bildschirme.

    Autorin/Autor: Sven Töniges


  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Aldous Huxley: “Schöne neue Welt” (1932)

    Anders als Utopien beschreiben Dystopien die Zukunft eher bedrohlich. Als Begleiterscheinung der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert wenden sie sich gegen die Technik- und Fortschrittsgläubigkeit jener Zeit. Wie Orwell mit “1984”, schuf auch Aldous Huxley bereits 1932 mit “Brave New World” (“Schöne Neue Welt”), eine Dystopie, die bis heute für die Schrecken totalitärer Herrschaft steht.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    George Orwell: “1984” (1949)

    Mit seinem Roman “1984”, den er nach Kriegsende schrieb, schuf George Orwell (1903-1950) das visionäre Bild eines totalitären Überwachungsstaates, aus dem es kein Entrinnen gibt. Dabei konnte der englische Schriftsteller und Journalist nicht ahnen, welche Kontrollmöglichkeiten das Internet mal bieten würde. Unser Bild zeigt John Hurt in der Verfilmung von “1984” (GB), die 1984 in die Kinos kam.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    H.G. Wells: “Zeitmaschine” (1895)

    Herbert George Wells (1866-1946) war ein Pionier der Science-Fiction-Literatur. Mit seinem Roman “Die Zeitmaschine” aus dem Jahr 1895 hielt der britische Schriftsteller der viktorianischen Gesellschaft den Spiegel vor. Seinen Protagonisten (im Bild Rod Taylor in der Verfilmung “The Time Machine”, USA/1959) lässt er mithilfe einer geheimen Erfindung in eine ungewisse Zukunft reisen.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Stanislaw Lem: “Der Futurologische Kongreß” (1971)

    Atemberaubend, wie visionär der Pole Stanislaw Lem, geboren 1921 im heutigen Lemberg, technische Umwälzungen des 21. Jahrhunderts vorhergesehen hat. In Erzählungen und Romanen wie “Der Futurologische Kongreß”, ” Also sprach Golem” oder “Solaris” verhandelte er zentrale philosophische und ethische Fragen. Wohin führt die totale Automatisierung? Allzu optimistisch fiel seine Prognose nicht aus.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Ray Bradbury: “Fahrenheit 451” (1953)

    Fahrenheit 451 ist die Temperatur, ab der sich Papier angeblich selbst entzündet. So nannte Ray Bradbury auch seinen Roman über ein Land, in dem es verboten ist, Bücher zu besitzen oder gar zu lesen. Freies Denken gilt darin als gefährlich und antisozial. In der Verfilmung von Regisseur Francois Truffaut (F/1966) steht die “Feuer-Wehr” parat, um das Übel mit Flammenwerfern auszulöschen.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Fritz Lang: “Metropolis” (1927)

    Fritz Langs Stummfilm “Metropolis” von 1927 spielt in einer fiktiven Großstadt. Die Menschheit ist in zwei Klassen gespalten. Während die eine im Luxus schwelgt, schuftet die andere an riesigen Maschinen in der Unterwelt. Langs filmisches Opus fiel bei der Kritik durch. Heute gilt der Film des Regisseurs als Meisterwerk und dystopische Pioniertat. Kernfrage: Wohin führen technische Neuerungen?

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Franz Kafka: “Der Process” (posthum 1925)

    Das Werk Franz Kafkas (1883-1924) entzieht sich eindeutigen Interpretationen. Doch werden die Texte des Sprachpuristen, der gebürtiger Böhme deutscher Sprache war, häufig als dystopische Antworten auf eine entfremdende Bürokratie der Moderne gelesen. Das gilt zumal für seinen berühmten Roman “Der Process” von 1915. Sachzusammenhänge wie Kafka zu schildern, trägt heute den Beinamen “kafkaesk”.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Thomas Morus: “Utopia” (1516)

    Wo ist das Land, das seine Menschen glücklich macht und wohl versorgt? Thomas Morus (1478-1535) lebte im England des 16. Jahrhunderts, der Zeit der Renaissance und der Reformation und der Entdeckung der Neuen Welt. In Morus’ Buch erzählt ein Seefahrer von einem Idealstaat, debattiert über Privateigentum und soziale Gleichheit. “Utopia” ist ein Vorläufer der Literaturgattung der utopischen Romans.

  • Schöne neue Welt? Was künstlerische Dystopien über unsere Zukunft verraten

    Margret Atwood: “Der Report der Magd” (1985)

    Diese ältere Dame, Jg. 1939, hat das literarische Genre der Dystopien ins Streaming-Zeitalter befördert: Die Kanadierin Margret Atwood verheißt in ihren Romanen “Der Report der Magd” und “Zeuginnen” den Sieg des religiösen Fundamentalismus in einem Amerika nach der Klima-Apokalypse. Eine erfolgreiche TV-Adaption flimmert seit 2017 unter dem Titel “The Handmaid’s Tale” über die Bildschirme.

    Autorin/Autor: Sven Töniges


Der Roman spielt auf einem Bauernhof: “Mr. Jones von der Herrenfarm hatte die Hühnerställe zur Nacht zugesperrt, war aber zu betrunken, um auch noch daran zu denken, die Schlupflöcher dicht zu machen.”

Mit einfachen Worten beginnt Orwell (1903 – 1950), der eigentlich Eric Arthur Blair hieß, seine Geschichte über die Tiere der Farm, die eine Revolution gegen ihren ausbeuterischen Besitzer planen.

Dass “Farm der Tiere” zum Klassiker der politischen Literatur avancieren würde, konnte der Meister der Gesellschaftskritik nicht ahnen. Orwell schrieb das Buch Ende 1943 und Anfang 1944.

Die Schweine übernehmen den Hof des Bauern: Buchcover der deutschen Fassung “Farm der Tiere”

Im heimatlichen Großbritannien fand er erst keinen Verleger: Denn was zunächst wie eine harmlose Kindergeschichte daherkommt, ist in Wahrheit eine grimmige Satire und eine knallharte Anklage gegen Stalins Diktatur in der Sowjetunion. 

Und weil die Sowjetunion im damals noch andauernden Zweiten Weltkrieg Großbritanniens Verbündeter gegen Nazi-Deutschland war, schien die Veröffentlichung einer solchen Geschichte politisch nicht opportun. 1945 konnte “Animal Farm” nach Kriegsende schließlich doch erscheinen.

Einige Tiere sind gleicher als die anderen

Und was erzählt die Fabel? Der alte und angesehene Eber Old Major öffnet den Tieren auf der “Herrenfarm” vom unfähigen und ständig betrunkenen Bauern Mr. Jones mit einer eindrücklichen Rede die Augen: Er brandmarkt den Menschen als Ausbeuter. Die Peiniger müssten durch eine Revolution vertrieben werden. Aber er warnt auch davor, nach der Revolution selbst zu Menschen zu werden: “Alle Tiere seien gleich, unabhängig von ihrer Stärke oder ihrer Intelligenz.”

Als Old Major kurz darauf stirbt, nutzen die Tiere die Gelegenheit, Bauer Jones von der Farm zu vertreiben – unter der Führung der Schweine Napoleon und Schneeball. Zunächst übernehmen alle Tiere gemeinsam die Farm und alles wird besser: Die Tiere schuften hart, weil sie für sich selbst arbeiten und sind untereinander solidarisch. Die “Herrenfarm” wird in “Farm der Tiere” umbenannt.

In Deutschland kam Orwells “Animal Farm (GB/1955) unter dem Filmtitel “Aufstand der Tiere” ins Kino

Doch die schlauen Schweine reißen bald das Kommando an sich und bauen ihre Vormachtstellung nach und nach zur Diktatur aus, die alles in den Schatten stellt, was die Tiere eigentlich abschütteln wollten. Ihre Macht rechtfertigen die Schweine mit der Parole: “Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als die anderen.”

Kapitalismus gegen Sozialismus 

Die Unterschiede zwischen den Menschen und den Schweinen als Herrscher verschwimmen am Ende des Romans – auch optisch. Die anderen Tiere auf dem Hof können nicht mehr erkennen, wer Mensch und wer Schwein ist – wer Kapitalist und wer Sozialist.

Visionärer Schriftsteller: George Orwell (Foto: 1941)

“Animal Farm”, wie das Buch im englischem Original heißt, schildert den Verlauf einer Revolution, die scheitern muss. Denn Revolutionen, so meinte Orwell, können zwar Macht verschieben. Die gesellschaftlichen Grundstrukturen aber bleiben unangetastet: Wenige Mächtige beuten viele Rechtlose aus. 

Literatur als Waffe im Kalten Krieg

In der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten war George Orwells “Farm der Tiere” strikt verboten. Dabei war Orwell ein überzeugter Linker: Im Spanischen Bürgerkrieg hatte er in den Reihen der “POUM” gekämpft, einer kommunistischen Gruppe, die vom sowjetischen Stalinismus als Konkurrenz betrachtete wurde.

Eine erste deutsche Übersetzung von “Farm der Tiere” erschien 1946. In der DDR war das äußerst unbequeme Buch aber, ebenso wie Orwells “1984”,  bis zum Fall der Mauer und dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik 1989 verboten.

CIA kaufte Filmrechte an “Animal Farm”

Nach Orwells Tod 1950 ließ der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA die Filmrechte kaufen, um im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu punkten. Der Zeichentrickfilm “Animal Farm – Aufstand der Tiere” wurde zwischen 1951 und 1954 von John Halas und Joy Batchelor in Großbritannien produziert. 

Die Handlung hielt sich zwar weitgehend an die Vorlage. Doch mündete die Story in eine zweite Revolution gegen die Herrschaft der Schweine. Denn der CIA konnte mitten im Kalten Krieg ja schlecht George Orwells Gleichsetzung von Kapitalisten und Sozialisten am Romanende so stehen lassen.

Big Brother is watching you! Szene John Hurt in einer Verfilmung von Orwells “1984”

In der Filmadaption “Animal Farm” von 1999 veränderte John Stephenson die Handlung stark, indem er den Zerfall der Sowjetunion 1989 einbaute und mit einem kindgerechten Happy End abschloss: Nach Jahren der Schweineherrschaft übernehmen neue Menschen wieder die Farm. Die Tiere jubeln: “…und endlich waren wir frei!”

Der britische Journalist und Schriftsteller George Orwell wollte mit seinen Büchern auf politische Missstände hinweisen – und bemühte dafür häufig die Form der Satire. “Animal Farm” und “Nineteen Eighty-Four” (“1984”), das 1949 erschien, zählen heute zu seinen berühmtesten Werken. Darin führte er vor Augen, was es heißt, in einem autoritärem Staat zu leben, in dem totale Überwachung herrscht und die Menschen durch Propaganda manipuliert werden.

“Animal Farm” ist eine Fabel, die auf jedes totalitäre System passt. Damit ist sie trotz der 75 Jahre, die die Geschichte nun auf dem Buckel hat, nicht alt geworden. Beide Klassiker von Orwell werden heute noch viel gelesen – vor allem von jungen Lesern.