“Apple Daily” und die Hongkonger Protestbewegung

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Der auf Kaution freigelassene Hongkonger Verleger Jimmy Lai wird vor allem mit seiner Zeitung “Apple Daily” identifiziert. Eine Frucht, die der Führung in Peking schon länger sauer aufstößt.

Verleger Jimmy Lai auf der Titelseite seiner eigenen Zeitung “Apple Daily”. Er wurde am 11. August festgenommen, ist inzwischen auf Kaution frei

Von Anfang an hat sich Jimmy Lai mit seinen Publikationen bei der KP Chinas unbeliebt gemacht. So veröffentlichte er 1994 einen “Offenen Brief an den Hundesohn Li Peng” in seinem gerade gegründeten “Next Magazine”. Das Schimpfwort verwandte er in dem Artikel ganze 28 Mal. Li war damals chinesischer Ministerpräsident. Lai warf ihm vor, die Studentenbewegung 1989 brutal unterdrückt und die Gewalt gegen Studenten gerechtfertigt zu haben. Damals hatte Lai, Inhaber einer Modemarke, 200.000 T-Shirts aus seiner Produktion in Hongkong an Sympathisanten mit der Demokratiebewegung des Festlands verteilt, mit dem Aufdruck: “Gebt die Macht ab! Wir sind wütend!”

1995 folgte die Tageszeitung namens “Ping Gwo” (Apfel), die in der in Hongkong geschriebenen traditionellen Schrift der chinesischen Sprache (Langzeichen) erscheint. Ihre englische Bezeichnung “Apple Daily”. Lai lancierte sie mit einem Werbefilm, in dem er sich als unerschrockener Publizist zeigte, dem keine feindlichen Pfeile etwas anhaben können.

Frischer Wind im Blätterwald

Apple Daily erschien zunächst in Schwarzweiß, aber schon bald in Farbe und mit entsprechendem Boulevard-Touch bei der Auswahl der Themen. Jimmy Lai investierte in erfahrene Medienmacher. So zahlte er zum Beispiel ein Jahresgehalt von rund einer Million HK-Dollar für einen leitenden Redakteur, der sich auf Pferderennen spezialisierte. 1998 gab es eine Online-Ausgabe der Zeitung, womit die angesehene, aber chinafreundlichere “Ming Pao” schon 1995 auf den Markt gegangen war.

Mit Apple Daily fegte ein kräftiger frischer Wind durch den Zeitungsmarkt in Hongkong. Und die Konkurrenz sah sich gezwungen nachzuziehen: Es wurden höhere Honorare für Journalisten gezahlt und mehr in Digitalisierung und moderne Drucktechnik investiert. 

Das Muster wiederholte sich, als Lai 2001 nach Taiwan expandierte. Zunächst mit einer lokalen Ausgabe des “Next Magazine”, zwei Jahre später folgte die Taiwan-Ausgabe des Apple Daily. 2012 wollte Lai sein Geschäft in Taiwan an eine Investorengruppe mit Verbindungen zum Festland verkaufen. Der Plan löste eine heftige Debatte über publizistische Vielfalt in Taiwan aus. Der Deal kam nicht zustande, Lai bekannte sich zum Standort Taiwan. Das könnte ihm jetzt nützen, sollte Apple Daily von den Hongkonger Behörden auf Grundlage des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes geschlossen werden. Lai hatte vor kurzem angedeutet, dass er sich künftig stärker in Taiwan engagieren wolle. 

(Archiv) Eine Ausgabe von Apple Daily Taiwan im Jahr 2013

Journalismus mit Position

Nach einer Umfrage der Hongkonger Chinese University von 2019 belegte Apple Daily den 3. Platz als “glaubwürdige Zeitung”, hinter den beiden schon lange etablierten Titeln “South China Morning Post” (gegründet 1903) und “Ming Pao” (gegründet 1959 vom renommierten Publizist und Schriftsteller im chinesischsprachigen Raum Louis Cha Leung-yung). “Apple Daily” gilt dabei als einziges von Peking wirklich unabhängiges Massenmedium in Hongkong. 

Das zeigte sich besonders deutlich bei verschiedenen Konflikten der Hongkonger Zivilgesellschaft mit der Zentralregierung in Peking. Am 1. Juli 2003 gingen 500.000 Menschen in Hongkong auf die Straße, um gegen die geplante Verabschiedung eines Sicherheitsgesetzes durch die Hongkonger Regierung zu protestieren. (Letzteres wurde im Juli 2020 an den Hongkonger Institutionen vorbei von Peking erlassen.) Am Morgen desselben Tages hatte “Apple Daily” auf der Titelseite aufgerufen: “Geht auf die Straße, wir sehen uns dort” und “Nein zu Tung Chee-hwa”, dem damaligen Hongkonger Regierungschef. Als Beilage enthielt die Ausgabe Plakate mit prodemokratischen Slogans.  

Verleger Jimmy Lai (M.) bei der Festnahme am 11.08.2020

Auch bei den sogenannten Regenschirm-Protesten von 2014 machte die Zeitung klar, das sich als aktives Sprachrohr der Bewegung verstand. Am Verlagsgebäude hing ein riesiges Transparent mit der Forderung “Ich will echte allgemeine Wahlen”, eine der zentralen Forderungen der Regenschirm-Bewegung. 

Fünf Jahre später, bei der Auseinandersetzung um das geplante neue Auslieferungsgesetz 2019, das die Auslieferung von Hongkonger Bürgern an das Festland erlaubt hätte und später von Regierungschefin Carrie Lam nach lang anhaltenden Protesten kassiert wurde, rief “Apple Daily” als einzige Zeitung ihre Leser zum Protest auf. 


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Bastion des Protests

    Er ist der Ort des Protests in Hongkong geworden: der Campus der Polytechnischen Universität. Hierher haben sich die Demonstranten zurückgezogen, seit über 24 Stunden liefern sie sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auf dem Campus haben sich Hunderte Menschen mit Brandsätzen und selbstgebauten Waffen verschanzt. Sie entzündeten ein großes Feuer, um die Polizei abzuwehren.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Einkesseln und festnehmen

    Aktivisten berichten, dass die Polizei versuchte, das Uni-Gebäude zu stürmen. Weil das misslang, kesseln Beamte die Demonstranten auf dem Gelände der Universität ein. Studenten, die den Campus verlassen wollen, werden festgenommen. Die Polizei gibt an, in den frühen Morgenstunden scharfe Munition nahe der Universität abgefeuert zu haben, wobei jedoch niemand getroffen worden sein soll.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Gescheiterte Flucht

    Außerhalb des Geländes stehen Wasserwerfer der Polizei. Die Studentenvereinigung berichtet, dass rund 100 Studenten versuchten, die Universität zu verlassen. Sie flüchteten aber wieder in das Gebäude, als die Polizei Tränengas gegen sie einsetzte.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Strategisch wichtige Lage

    Die Polytechnische Universität liegt strategisch wichtig für die Demonstranten an der Einfahrt eines Straßentunnels, der das Gebiet mit der Insel Hongkong verbindet. In den vergangenen Tagen hatten Protestierende Barrikaden vor dem Tunnel errichtet, um Polizeikräfte zu blockieren. Das ist Teil einer neuen Taktik, die Stadt lahmzulegen und so den Druck auf die Regierung zu erhöhen.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Die Forderungen

    Seit mehr als fünf Monaten dauern die Proteste in der Sonderverwaltungszone schon an. Die Demonstranten fordern unter anderem freie Wahlen und eine Untersuchung von Polizeigewalt. Auf beides ist die pekingtreue Regierung in Hongkong nicht eingegangen. Einziges Zugeständnis an die Protestierenden bisher: die Rücknahme des umstrittenen Auslieferungsgesetzes, das die Demonstrationen entfacht hatte.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Eskalation der Gewalt

    Die anfangs friedlichen Proteste sind inzwischen in Gewalt umgeschlagen. Die Polizei greift hart durch und droht mit dem Einsatz von scharfer Munition. Hongkonger Aktivisten sprechen von 4000 Festnahmen seit Beginn der Proteste. Die Demonstranten selbst werfen Steine, setzen Molotowcocktails ein und nutzen Pfeil und Bogen.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Mit Pfeil und Bogen

    Ein Polizist wurde am Sonntag durch einen Pfeil am Bein verletzt. Der bekannte Hongkonger Demokratie-Aktivist Joshua Wong rechtfertigt die Gewalt der Demonstranten. “Mit rein friedlichem Protest werden wir unser Ziel nicht erreichen. Allein mit Gewalt allerdings auch nicht. Wir brauchen beides”, sagte Wong der “Süddeutschen Zeitung”.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Identität verbergen

    Zwischenzeitlich reagierte die Hongkonger Regierung mit einem Vermummungsverbot. Viele Demonstranten tragen Gasmasken aus Schutz gegen Tränengas. Andere binden Tücher vor ihre Gesichter, um ihre Identität zu verbergen. Sie fürchten Verhaftungen und Konsequenzen, wenn sie erkannt werden. Am Montag kippte das höchste Gericht in Hongkong überraschend das Maskenverbot, es sei verfassungswidrig.


  • Tage der Gewalt in Hongkong

    Angst vor einer militärischen Lösung

    Während das Kippen des Vermummungsverbots ein Erfolg für die Demonstranten ist, droht eine weitere Eskalation der Gewalt. Für Unruhe hat die Präsenz einiger chinesischer Soldaten am Samstag in der Stadt gesorgt. Sie halfen dabei, Steine wegzuräumen. Unter den Demonstranten gibt es große Befürchtungen, dass China sein Militär nutzen könnte, um die Proteste in Hongkong niederzuschlagen.

    Autorin/Autor: Lisa Hänel, Bernd Kling


Offizielle chinesische Medien beschreiben Jimmy Lai als “Aktivisten für die Unabhängigkeit Hongkongs”. Doch Lai hat sich wiederholt gegen eine Unabhängigkeit Hongkongs ausgesprochen. Er wolle im Rahmen des Grundsatzes “Ein Land, zwei Systeme” für seine Rechte kämpfen, sagte er 2014 in einer Radiosendung. “China und Hongkong können nicht einfach getrennt werden”, die Idee einer Abspaltung Hongkongs sei “töricht”. Andererseits bekundete Lai im Mai 2020 im Interview mit einem taiwanischen Sender, dass er gewisse Sympathien für die Unabhängigkeitsbewegung hege. Sogar noch, nachdem Peking im Mai ein Sicherheitsgesetz für Hongkong angekündigt hatte, schrieb Lai auf Twitter, er sei stolz, ein Chinese zu sein. Das Land werde aber von dem “bösen Regime der Kommunistischen Partei” regiert.

Finanzier der Demokratiebewegung 

Inwieweit Jimmy Lai die pro-demokratischen Parteien und Gruppen finanziell unterstützt hat, ist nicht ganz klar. 2011 gelangten Unterlagen an die Öffentlichkeit, wonach Lai zwischen 2006 und 2011 umgerechnet 1,5 Millionen Euro an die Demokratische Partei Hongkongs und die Civic-Partei, ebenfalls Unterstützer der Demokratiebewegung, gespendet hat. 

Während der Regenschirm-Bewegung soll Lai laut lokalen Medienberichten weitere fünf Millionen Euro gespendet haben. In einem späteren Interview hat Lai die Spende, wenn auch nicht die Höhe, indirekt zugegeben. Es sei ihm um die “Förderung der Zivilgesellschaft” gegangen, außerdem habe er jeden Cent der Geldspende hart verdient. 

Nach Auskunft von Lee Cheuk-yan, Vorsitzendem der politischen Partei ” Hong Kong Alliance in Support of Patriotic Democratic Movements of China” ist Jimmy Lai der größte Einzelspender des demokratischen Lagers.

Am Tag des Inkrafttretens vom Nationalen Sicherheitsgesetz für Hongkong am 01.07.2020 saß Jimmy Lai nachdenklich neben seiner Zeitung “Apple Daily”

Angriffe gegen die Zeitung auf vielen Ebenen

Die Zeitung wurde wiederholt im Internet angegriffen, so dass ihre Webseite und ihre mobilen Anwendungen zeitweise nicht verfügbar waren, was die Verbreitung von Eilmeldungen beeinträchtigte. So mehrmals bei den Protesten von 2014 und 2019. 

Schon 2007, zehn Jahre nach der Rückgabe Hongkongs an China, gab Herausgeber Lai zu, dass fast alle großen Firmen mit Geschäftsverbindungen zum Festland keine Anzeigen mehr in den Publikationen seiner Gruppe Next Media schalteten. Damit seien Einnahmen von 200 Millionen HK-Dollar pro Jahr weggefallen, über ein Viertel der gesamten Werbeeinnahmen des Verlags. Im März 2019 notierte Leung Chun-ying, Vorgänger von Carrie Lam als Hongkonger Regierungschef, auf seiner Facebook-Seite jeden Tag die Anzahl und Firmennamen der ganzseitigen Anzeigen in “Apple Daily”. Wenn es keine solchen Anzeigen gab, schrieb Leung: “Heute keine Anzeige”. Offensichtlich ein Versuch, um Druck auf die Werbekunden der “Apple Daily” auszuüben.  

Hongkongs Ex-Verwaltungschef Leung Chun-ying (2.v.r.) neben Amtsvorgänger Tung Chee-hua und Nachfolgerin Carrie Lam (2.v.l.) sowie der höchste Repräsentant der Zentralregierung in Hongkong Luo Huining (l.) und Zheng Yanxiong (r.), Vorsitzender des Sicherheitsbüros in Hongkong

Datenklau und Drohungen

Während der Proteste gegen das Auslieferungsgesetz 2019 tauchten die persönlichen Daten von Beschäftigten der Zeitung auf unterschiedlichen Webseiten auf. Wurde ein gerichtliches Verbot erwirkt, ging die Seite offline und die Daten erschienen auf einer anderen Seite. Chefredakteur Law Wai-kwong spricht von “einer organisierten, zielgerichteten Kampagne zur Einschüchterung”. Im August 2020 veröffentlichte eine Website namens ” Apple Daily – das Gift” die persönlichen Daten von mehr als 170 aktuellen und ehemaligen Apple-Mitarbeitern, darunter Fotos, Namen auf Chinesisch und Englisch, Geburtsdatum und Telefonnummern. Einige Mitarbeiter berichten, sie hätten mehr als 100 Drohanrufe und sogar Morddrohungen erhalten.

Rund 60 der Betroffenen gaben an, ihre Fotos bei der Beantragung eines Reisedokuments für das Festland China eingereicht zu haben. Das gab Vermutungen Auftrieb, dass die Sicherheitsbehörden des Festlands in den Datenskandal verwickelt sein könnten.