Schweizer Fleisch: Ist teurer gleich besser?

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Fleisch sei in Deutschland einfach zu billig, heißt es. Höhere Preise brächten mehr Tierwohl und faire Arbeitsbedingungen für Landwirte. Folgt das eine wirklich aus dem anderen? Da lohnt sich ein Blick in die Schweiz.

Abgesehen von der ständigen Auf- und Abkletterei – glücklicher kann ein Rind nicht sein, als auf einer Schweizer Alm

Wer als Zugezogener in der Schweiz einen Grillabend plant, erlebt vor dem Supermarktregal einen Schock. Die Preise für Fleisch sind ungewöhnlich hoch – vor allem, wenn man an Fleischpreise in Deutschland gewöhnt ist. Für zwei einfache Grillspieße à 150 Gramm ist man schnell zwölf Franken (elf Euro) los. Da überlegt man zweimal, ob man nicht lieber Kartoffeln und Gemüse auf den Grill legt.

Tatsächlich kostet Fleisch im Land der Eidgenossen knapp eineinhalbmal so viel wie im weltweiten Durchschnitt und ist damit teurer als irgendwo sonst, belegte im Jahr 2017 eine Studie von Caterwings, einem inzwischen in Konkurs gegangenen Online-Marktplatz für Caterings.

Im Vergleich zum EU-Schnitt müssen die Schweizer sogar 2,3 Mal so viel für Fleisch bezahlen, zeigen Daten des Europäischen Statistischen Amtes Eurostat. Und das liegt nicht nur daran, dass in der Schweiz generell alles teurer ist: Lebensmittel allgemein kosten “nur” 1,6 Mal so viel wie der EU-Schnitt. Beim Fleisch muss der Schweizer Konsument also extra draufzahlen.

Für einen Deutschen kann der Besuch eines Schweizer Supermarktes zu einem sehr verstörenden Kulturschock führen

Großer Gewinner ist der Handel

Das Schweizer Tierschutzgesetz gilt als das strengste der Welt, man könnte demnach vermuten, dass die hohen Fleischpreise in der Schweiz ein Resultat davon sind, dass also bessere Bedingungen im Stall die Produktionskosten in die Höhe treiben und letztlich Landwirte und Nutztiere davon profitieren. Doch dem sei nicht so, sagt Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. “Der höhere Preis kommt in erster Linie dem Handel zugute, nicht den Bauern.”

Die hohe Marge für Groß- und Einzelhändler steigt sogar noch, wenn das Fleisch aus besseren Haltungsbedingungen stammt. Das fand eine Marktanalyse der Schweizer Tierschutzorganisation STS heraus. So kostete zum Zeitpunkt der Stichprobe im Sommer dieses Jahres ein Kilo Schinken aus konventioneller Tierhaltung im Schnitt 23 Franken (21 Euro), ein Kilo Bio-Schinken hingegen 51 Franken (47 Euro) – also mehr als doppelt so viel. Von den 28 Franken Unterschied bekommt Berechnungen der Tierschützer zufolge der Landwirt gerade einmal zwei Franken ab, der Schlachthof drei Franken und der Einzelhandel 23 Franken.

Fleisch aus guten Haltungen werde so unattraktiv teuer, kritisiert die Tierschutzorganisation. Kein Wunder, dass der Absatz in diesen Fleischkategorien stagniere oder sogar sinke. “Umstellen auf die Produktion von Biofleisch lohnt sich für die Bauern häufig nicht”, fügt Wirtschaftswissenschaftler Mathias Binswanger hinzu. Hohe Fleischpreise alleine machen demnach noch keine glücklichen Kühe und Schweine.

Ja, in der Schweiz haben es die Rinder gut – das legen wenigstens solche Bilder dem Betrachter nahe

Abkapselung vom Weltmarkt

Die Schweizer Landwirte bekommen im eigenen Land pro Kilogramm Fleisch, das sie produzieren, etwa doppelt so viel Geld wie ihre Kollegen im Ausland. Allerdings haben sie auch höhere Kosten, sagt Martin Rufer, Direktor beim Schweizer Bauernverband: insbesondere im Unterhalt der Ställe und bei der Bewirtschaftung von kleinen Flächen. Im Großen und Ganzen seien die Schweizer Bauern trotzdem in “einer guten Situation”.

Das System funktioniert aber nur deshalb, weil die Schweiz zwar Mitglied der Europäischen Freihandelszone (EFTA) ist, aber nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum gehört. Sie kann sich daher leicht vom EU-Binnenmarkt abschotten und inländische Produkte vor der ausländischen Konkurrenz schützen. “Die Schweiz wird nicht von billigem Fleisch aus Deutschland überschwemmt – das ist gut für die Schweizer Bauern”, sagt Martin Rufer.

Wer in die Schweiz reist, darf pro Person maximal ein Kilogramm Fleisch oder Fleischprodukte einführen. Alles darüber hinaus wird aufgrund der Zölle extrem teuer. Selbst ein Grillfleischeinkauf im benachbarten Ausland will also gut geplant sein.

Kleines Land, kleine Betriebe

Dass die Schweiz kein Mitglied der EU ist, komme auch den Nutztieren zugute, sagt Wirtschaftswissenschaftler Mathias Binswanger. “Das Land kann eine eigene Landwirtschaftspolitik verfolgen. Durch die direkte Demokratie kann zudem das Volk mehr Einfluss nehmen. Das wirkt sich positiv aufs Tierwohl aus.” Auch in der Schweiz herrsche natürlich keine Idylle, fügt er hinzu – aber es sei schwieriger, gegen die Interessen der Menschen zu regieren.

So ist gesetzlich vorgeschrieben, wie viele Kälber, Hühner oder Schweine ein Betrieb überhaupt maximal halten darf. Das sind zum Beispiel 18.000 Legehennen. Zum Vergleich: In Deutschland halten Betriebe im Durchschnitt 30.000 Hennen – einige Betriebe sogar bis zu 60.000.

Die landwirtschaftlichen Betriebe werden in der Schweiz so bewusst relativ klein gehalten – was für die Tiere nur von Vorteil sein kann. Ein Schweizer Bauernhof umfasst durchschnittlich eine Fläche von 20 Hektar; in Deutschland sind es über 60 Hektar.

Das Konzept der kleinen Betriebe geht auch deshalb auf, weil die Schweiz nur 80 Prozent des Fleisches produziert, das sie benötigt. 20 Prozent werden importiert. Deutschland und viele andere europäische Länder, darunter die Niederlande, produzieren hingegen Fleisch im Überschuss, um es zu exportieren.

Felix Helvetia macht gern mit seinen prachtvollen Kühen Reklame (hier 2009 auf dem Botschaftsgebäude in Berlin)

“Im Tierschutz 20 Jahre voraus”

Ob es nun an der direkten Demokratie, der Abkapselung vom Weltmarkt oder der kleinen Landesgröße liegt – in jedem Fall ist die Schweiz beim Tierschutz weiter als ihre Nachbarländer. “Die Diskussionen, die man jetzt in Deutschland führt, hat man bei uns vor Jahren oder sogar Jahrzehnten geführt”, sagt Cesare Sciarra, Geschäftsführer Kompetenzzentrum Nutztiere beim Schweizer Tierschutz STS.

So ist in der Schweiz das Kastrieren von Ferkeln ohne Betäubung bereits seit dem Jahr 2010 verboten, die Käfighaltung bei Legehennen seit 1992. Das Schweizer Gesetz schreibt für Mastschweine mindestens 0,9 Quadratmeter Platz vor – in der EU sind 0,65 Quadratmeter Pflicht. Für Cesare Sciarra ist klar: “Die Schweiz ist anderen Ländern im Tierschutz gut 20 Jahre voraus.”

Gut auch ohne Bio

Dass es Nutztieren in der Schweiz besser geht als in vielen anderen Ländern, liegt laut Cesare Sciarra vom Schweizer Tierschutz aber nur teilweise an Gesetzen. Dazu beigetragen hätten ausgerechnet die großen Schweizer Supermarktketten Migros und coop. Denn diese haben bereits vor über 20 Jahren eigene Tierschutzlabel etabliert.

Solche Label mit wohlklingenden Namen wie “Terrasuisse”, “naturaplan” oder “naturafarm” haben ihre eigenen Richtlinien für Tierschutz und Umweltschutz. Alle Landwirte, die für das Label produzieren, verpflichten sich, diese Richtlinien einzuhalten. “Einige Label-Programme haben dabei sogar tierfreundlichere Richtlinien als die Programme für Biofleisch”, lobt Sciarra.

Als Motivation fürs Mitmachen gibt es hohe Extrazahlungen an die Landwirte und empfindliche Strafen bei Missachtung. In der Schweiz heißt Fleisch, das in diesen Programmen produziert wird, “Labelfleisch”.

Auch die Schweizer Supermärkte (hier eine Coop-Filiale) tragen dazu bei, dass das Fleisch nicht so billig ist wie anderswo

Hoher Preisdruck

Trotz allem: Der Schweizer Tierschutz STS bemängelt, dass erst knapp ein Drittel der Tiere in Produktionssystemen lebt, die die Tierschutzorganisation empfehlen kann, bei den Masthühnern sogar nur bescheidene acht Prozent. Gerade bei der Rindermast gibt es laut Cesare Sciarra noch viel nachzubessern.

Außerdem sind 20 Prozent des Fleisches, das in der Schweiz zu kaufen ist, billiges Importfleisch: Es wurde außerhalb der Schweiz produziert, demzufolge also in weniger tierfreundlichen Haltungen. Vor allem die Gastronomie greift oft zu diesem günstigen Nicht-Schweizer-Fleisch, um Kosten zu sparen.

Der Preisdruck bei Fleisch sei schlicht enorm, sagt Philipp Zimmermann von Unia, der größten Schweizer Gewerkschaft. “Die fleischverarbeitende Industrie ist auch in der Schweiz keine Vorzeigebranche”. Viele Angestellten arbeiteten für Löhne ohne jeden tarifvertraglichen Mindestlohn, “je nach Landesregion kann man davon nicht leben”. Auch gebe es in der Branche überdurchschnittlich viele Arbeitsunfälle.

Geiz ist eben nicht geil

Wenn man aber eines von den Schweizern lernen kann, dann vielleicht das: Die Eidgenossen sind sich eher bewusst, dass gute Lebensmittel auch ihren Preis haben müssen. “Billigfleisch, wie es in vielen Supermärkten in Deutschland angeboten wird, ist in der Schweiz quasi unverkäuflich”, sagt Tilman Slembeck, Konsumwirtschaftswissenschaftler an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur. “Die Schweizer denken sich bei billigem Fleisch: Das kann nicht gut sein!”

Das Motto “Geiz ist geil” hat sich in der Schweiz bei Lebensmitteln einfach nicht durchgesetzt. Und das ist schon mal eine Grundvoraussetzung, um die Fleischindustrie eines Landes zum Besseren umzukrempeln.