Belarus: Internet blockiert – Psiphon hilft

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In Belarus wurde das Internet im Zuge der Präsidentschaftswahl drei Tage lang eingeschränkt. Viele umgingen die Zensur mit Psiphon. DW hat mit Psipohn-Mitgründer Michael Hull gesprochen.

Drei Tage lang waren die meisten Seiten im Internet nicht erreichbar: weder Suchmaschinen oder Social Media noch Taxirufdienste oder unabhängige Medien. Als Grund für die Störungen nennen Behörden in Belarus unbekannte Attacken aus dem Ausland. Viele Beobachter vermuten, dass die Behörden den Zugang zum Netz absichtlich behindert hatten, um die Organisation von Protestaktionen zu erschweren.

Während der Einschränkungen stieg die Nachfrage nach Tools, die solche Blockaden umgehen, rasant an. Viele Belarussen griffen dabei zu einem Programm namens Psiphon.

Von ein paar Tausend auf über eine Million User an einem Tag

Michael Hull ist Mitgründer und Chef von Psiphon Inc. Noch eine Woche vor der Präsidentschaftswahl habe die tägliche Zahl der regulären Nutzer aus Belarus bei rund 10.000 gelegen, bestätigt Hull, dann sei sie sprunghaft nach oben geschnellt. “Am 8. August waren es 3.000, am 9. August 86.000 und am Montag sicher über eine Million User”, freut sich Hull im DW-Interview. 

“Antizensurwerkzeug auf Abruf”: Psiphon-Mitgründer Michael Hull

Man könnte diese Zahlen beispiellos nennen – wenn es nicht in früheren Jahren bereits solche Sprünge gegeben hätte, in Ländern, deren Bürger ebenfalls mit zur Internetzensur konfrontiert sind. “Leute lernen uns eben wegen unserer Erfahrung schnell kennen: Wir sind das Antizensurwerkzeug auf Abruf”, so Hull.

Sogenannte Anonymizer und VPN-Anbieter umgehen Blockaden, in dem sie den Internetverkehr über Umwege ins freie Netz leiten. Viele Nutzer aus Belarus hätten jedoch erlebt, dass die meisten dieser Programme während der Einschränkungen im Land nicht funktionierten. Psiphon war eines der wenigen wirksamen Tools. Psiphon sei gerade für Situationen mit massiven Interneteinschränkungen prädestiniert, erklärt Michael Hull. Das betont auch die offizielle Seite der Firma. Primärer Zweck des Tools sei ein “offener Internetzugang” – “Wir sind nicht dafür da, damit sich jemand (von außerhalb der USA) bei Netflix US anmeldet oder so.”

Psiphon unterscheide sich, so Hull, von anderen VPN-Anbietern durch die technische Ausrichtung. Die spezielle Stärke sei es, dass man gleichzeitig vielen Menschen einen Internetzugang verschaffen könne. Der Service nutze dafür regelmäßig etwa 3500 Server weltweit, für Belarus habe man noch zusätzlich rund 100 Server dazugeholt. “Nun ernten wir die Früchte. Übrigens ist unser Programm auch auf Belarussisch übersetzt worden: Wer macht das schon?” fragt Michael Hull.

Psiphon braucht keine PR 

Professoren und Mitarbeiter der University of Toronto haben Psiphon 2006 gegründet. Man habe immer noch gute Kontakte zur Uni, sagt Hull. Auch die Deutsche Welle und andere international tätige Medienunternehmen wie BBC und Voice of America kooperieren seit vielen Jahren mit Psiphon Inc. “Diese Zusammenarbeit zahlte sich aus. Unser Netzwerk ist so zugeschnitten, dass man Zugang auch zu großen Dateien bekommt, zum Beispiel Videos streamen kann.”

Einsatz für Meinungsfreiheit: DW und andere internationale Medien kooperieren mit Psiphon

Psiphon sei, erklärt Hull, “das widerständigste und ausgeklügeltste Netzwerk gegen Internetzensur auf der Welt”. 32 Programmierer arbeiteten weiter an dem Open-Source-Projekt. Zeit oder Geld für PR-Aktivitäten bliebe dabei nicht: Der letzte Blog-Eintrag auf der Website stammt beispielsweise von 2016. “Ich bin seit 25 Jahren mit Computerwissenschaften beschäftigt, alles andere ist mir zu langweilig”, rechtfertigt sich Hull.

Psiphon könnte in Schwierigkeiten geraten

Doch auf Psiphon selbst kommen womöglich schwierige Zeiten zu. Das US-amerikanische Magazin “Politico” berichtete im Juli unter Verweis auf interne Emails, dass die Finanzierung des Projekts gefährdet sei. Grund sei der Konflikt zwischen den Hauptgeldgebern von Psiphon, dem Open Technology Fund (OTF) und der US-Agentur für globale Medien (USAGM). Der Streit entbrannte nach einem Wechsel an der USAGM-Spitze: Dort sitzt jetzt Michael Pack, ein konservativer Filmemacher und Produzent, den US-Präsident Donald Trump auf den Posten gehoben hat.

Eine unmittelbare Gefahr für sein Projekt sieht Michael Hull nicht: “Psiphon wird es sicherlich noch nächstes und übernächstes Jahr geben. Okay, sicherlich nächstes Jahr”, lacht er die ganze Sache herunter. Die finanzielle Lage sei “solide”. Er bemängelt gleichzeitig, dass andere demokratische Staaten Psiphon nicht unterstützen.

Denn die Dienstleistung sei zwar kostenlos, aber nicht umsonst: “Wir haben ein etwas seltsames Geschäftsmodell. Wir erwarten, dass die Leute kommen, nicht um das Geld auf den Tisch zu legen, sondern wenn sie Internetprobleme haben”, erklärte Hull. Die einzige eigene Finanzierungsquelle seien kostenpflichtige Abos, für die die Internetgeschwindigkeit entsprechend gesteigert werde.

Inzwischen ist das Internet in Belarus zwar wieder weitgehend zugänglich. Aber die Proteste halten an, da heißt, man kann mit neuen Einschränkungen jederzeit rechnen.