Treibt Corona die Deutschen aufs Land?

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Landflucht? War gestern. Corona und der Siegeszug des Homeoffice lassen viele Städter von einem Haus im Grünen träumen. Aber so ganz einfach ist es nicht, sich dem Charme großer Städte zu entziehen.

Immer mehr Deutsche suchen in ländlichen Regionen nach ihrem Traumhaus. Ein Grund: Die Coronavirus-Pandemie hat die Prioritäten der Eigenheimkäufer verändert. Die neue Sehnsucht nach Grünflächen ist ein Luxus, den Großstädte kaum erfüllen können.

Nach Angaben des Immobilienportals Immobilienscout24 stieg die Nachfrage nach Häusern in ländlichen Gebieten im Mai im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 50 Prozent. Das Portal hat geschaut, wie viele Anfragen Immobilienverkäufer für ihr Objekt bekamen.

Der Corona-Ausbruch und die umfassenden Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zwangen Millionen von Menschen, zu Hause zu bleiben – eine Tortur, die in vielen Fällen durch das Fehlen von Gärten oder Balkonen verschlimmert wurde, insbesondere für Familien mit Kindern. Und diejenigen mit Gärten oder Balkonen erkannten, wie nützlich es ist, einen eigenen Freiraum zu haben, besonders in Pandemie-Zeiten. Darauf wollen sie auch in Zukunft nicht verzichten.

Homeoffice mit Meeresbrise

Die Nachfrage nach Häusern auf dem Land wurde auch durch die Flexibilität der Arbeit von zu Hause aus beflügelt. Die meisten deutschen Firmen wiesen ihre Mitarbeiter an, von zu Hause aus zu arbeiten, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Einige Unternehmen wollen nun angesichts der Effizienzgewinne gar nicht mehr zu alten Gewohnheiten zurückkehren.

Privileg der Hausbesitzer: Homeoffice im eigenen Garten

Für viele Arbeitnehmer ist dies ein weiterer Anreiz, ihre bescheidene städtische Behausung gegen ein relativ großräumiges Haus auf dem Land einzutauschen. “Offensichtlich hat die Corona-Pandemie das Verlangen nach Landleben wiederbelebt”, sagt Thomas Schroeter, Geschäftsführer von Immobilienscout24, im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Am gefragtesten sind laut Immobilienscout24 die beliebten deutschen Urlaubsregionen Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein aufgrund ihrer Nähe zur Ostsee und zu zahlreichen Seen. Auch Immobilien mit Blick auf die bayerischen Alpen verzeichnen ein stark wachsendes Interesse.

Coburg, plötzlich begehrt 

In der Woche vom 12. bis 18. Juli erhielten Immobilienverkäufer in einigen Teilen dieser Regionen drei- bis fünfmal mehr Kontaktanfragen als in der Woche vom 8. bis 14. März – kurz bevor die Coronavirus-Beschränkungen in Kraft traten. Die bayerische Stadt Coburg an der Itz ist mit einem Anstieg um fast 450 Prozent die begehrteste. Coburg ist berühmt für sein Schloss Veste Coburg – eines der größten Deutschlands – und für seine Verbindung zu Martin Luther, der dort im 16. Jahrhundert sechs Monate lang lebte und an seiner deutschen Bibelübersetzung arbeitete.

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Veste Coburg – Krone der Franken

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Veste Coburg – Krone der Franken

Der Anstieg der Nachfrage hat die Immobilienpreise in ländlichen Gebieten in die Höhe getrieben. Mitte Juli lagen die durchschnittlichen Angebotspreise laut Immobilienscout24 bei rund 2.370 Euro pro Quadratmeter, ein Plus von acht Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei übersteigt die Nachfrage nach Häusern in ländlichen Gebieten das Angebot deutlich – um immerhin rund 25 Prozent.

Deutsche Städte bleiben beliebt

Obwohl die Häuser auf dem Land stark nachgefragt sind, schwächt dies die Anziehungskraft der Großstädte kaum. Die Daten von Immobilienscout24 zeigen, dass Mietwohnungen, Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser in Ballungsräumen trotz Stadtflucht weiterhin begehrt sind.

“Die teilweise vorhergesagte Abwanderung aus der Städten hat noch nicht stattgefunden”, sagt Schroeter. “Viele von denen, die in den Städten bleiben wollen, suchen als Folge der Coronavirus-Pandemie nun ein neues Zuhause mit Balkon und Garten.” Experten glauben, dass die Großstädte dank besserer Beschäftigungsmöglichkeiten, besserer Schulen, Kindergärten und kultureller Angebote nicht so schnell ihren Reiz verlieren werden.
Vonovia und Deutsche Wohnen, die größten Wohnimmobilienunternehmen Deutschlands, bestätigen, dass die Nachfrage nach ihren Immobilien weiterhin hoch sei. Beide Unternehmen, die sich vorwiegend auf große städtische Zentren konzentrieren, sehen keine Änderung ihrer Strategie für die Zukunft.

Weiterhin begehrt: Preiswerte Wohnungen in der Stadt, am besten mit Balkon

Suche nach günstigem Wohnraum

Vonovia-Sprecherin Nina Henckel weist auf die Mieter des Unternehmens hin. Vonovia-Mieter zahlen eine durchschnittliche Monatsmiete von weniger als sieben Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung – etwa die Hälfte der durchschnittlichen Miete in Städten. Dies zeige, dass die meisten unserer Mieter aus “anderen Verhältnissen” stammen als die Menschen, die es sich leisten können, in ländlichen Gebieten ein Haus zu kaufen, erklärt Henckel im Gespräch mit der DW.

Auch die Kölner Immobiliengesellschaft Pandion, die hochwertige Eigentumswohnungen in deutschen Großstädten wie Stuttgart, München und Berlin verkauft, will nicht in ländliche Gebiete vordringen. Unternehmenssprecherin Anja Ludwig erklärt im Gespräch mit der Deutschen Welle, die Nachfrage nach ihren Wohnungen habe nach einem leichten Einbruch auf dem Höhepunkt der Pandemie im März und April wieder ein “normales Niveau” erreicht.