Warum setzt Peking den Finanzplatz Hongkong aufs Spiel?

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Das Sicherheitsgesetz, das Kritik an Peking unter Strafe stellt, ist eine Gefahr für den Finanzplatz und der Anfang vom Ende der Globalisierung, wie wir sie kannten. Fragen an Heribert Dieter, Gastprofessor in Hongkong.

Deutsche Welle: Herr Dieter, Sie sind gerade in Berlin, und wenn alles nach Plan läuft, setzen Sie ihre Gastprofessur in Hongkong im September fort. Wie ist die Stimmung bei Ihren Kollegen dort?

Heribert Dieter: Schlecht. Einige machen so weiter wie bisher, ohne sich um das Sicherheitsgesetz zu kümmern. Es wird sich zeigen, ob das geht. Andere sind sehr deprimiert und stellen fest, dass über Nacht ein totalitäres Regime zu ihnen gekommen ist.

Wie wichtig ist der Finanzplatz Hongkong für China?

Hongkong ist der einzige Finanzplatz der Volksrepublik China, der keine Beschränkungen des Kapitalverkehrs kennt. Das heißt, ausländisches und chinesisches Kapital kann importiert und exportiert werden. Unternehmen können in Hongkong Anleihen begeben, die auf Euro, Dollar oder Yen lauten, um damit ihren Finanzierungsbedarf zu decken.

Wenn das nicht mehr ginge, müssten sich chinesische Firmen in der Landeswährung Yuan verschulden. Das hat gravierende Nachteile. Der Yuan ist nicht frei konvertierbar, man kann damit also keine Unternehmen in einem OECD-Land aufkaufen. Außerdem ist das Zinsniveau für Kredite in Yuan sehr viel höher als für Kredite in US-Dollar, Euro oder japanische Yen.

Hinzu kommt noch, dass private Firmen in Festlandchina in der Ära von Präsident Xi Jinping als Kreditnehmer an den Rand gedrängt wurden. Fast 90 Prozent der neuen Kredite gehen dort an Staatsunternehmen. Für die chinesische Volkswirtschaft ist das fatal, weil gerade die privaten Unternehmen innovativ und produktiv sind und das Land wirtschaftlich nach vorne bringen. Es deutet also alles darauf hin, dass der Finanzplatz Hongkong für Festlandchina in seiner heutigen Form unverzichtbar ist.

Roboter von Kuka im Porsche-Werk Leipzig. Die Übernahme von Kuka durch Midea aus China im Jahr 2016 sorgte in Deutschland für Aufregung

In den vergangenen Jahren waren chinesische Firmen auch in Deutschland auf Einkaufstour und haben viele Unternehmen übernommen. Wäre das ohne den Finanzplatz Hongkong so nicht mehr möglich?

Es würde solche Übernahmen zumindest außerordentlich erschweren, weil die Mittel fehlen. Wir haben ja in den letzten Jahren immer wieder gesehen, wie chinesische Unternehmen mit prall gefüllten Taschen Unternehmen gekauft und dabei Preise bezahlt haben, die für Wettbewerber aus OECD-Ländern einfach astronomisch waren. Ohne Hongkong müssten sie sich das Geld woanders besorgen. Aber wer in New York, London oder Frankfurt würde Unternehmen aus Festlandchina solche Mittel bereitstellen?

Umgekehrt ist Hongkong auch für westliche Firmen und Banken wichtig. Was macht da die Bedeutung aus?

Das ist die andere Seite der Medaille. Die westlichen Banken können von dort den chinesischen Markt bedienen, ohne ihre Mitarbeiter den nachteiligen Lebensbedingungen in Festlandchina unterwerfen zu müssen. Hongkong war das Beste von beiden Welten: Tor zur Welt aus Sicht der chinesischen Unternehmen, und Tor nach China für die westlichen Firmen. Das ist jetzt alles gefährdet durch das Sicherheitsgesetz, weil es die Arbeitsbedingungen in den Banken und Unternehmen deutlich erschwert.

Das Gesetz ist – wohl bewusst – sehr schwammig gehalten. Grundsätzlich kriminalisiert es alle, die nach Meinung der Behörden zu kritisch gegenüber der Führung sind. Kann das auch schon die Arbeit von Finanzanalysten in Hongkong beeinflussen, die zum Beispiel ein negatives Urteil über eine Staatsfirma fällen?

Genau das ist das Risiko für Mitarbeiter von Banken, die die chinesische Wirtschaft zu bewerten haben. Sie laufen Gefahr, wegen subversiver Aktivitäten angeklagt und im schlimmsten Fall ins Gefängnis gesteckt zu werden. Gegenwärtig ist noch nicht genau abzusehen, wie die Regierung das handhaben wird, aber im Gesetz ist die Möglichkeit gegeben. Aus Pekinger Sicht macht das den Reiz des Gesetzes aus: Man legt gar nicht genau fest, was strafbar ist, und sorgt so dafür, dass die berühmte Schere im Kopf angesetzt wird, also die Selbstzensur.

Das betrifft auch die Mitarbeiter von Banken. Das heißt auch: Eine eine vernünftige Bewertung der chinesischen Wirtschaft kann nicht mehr erfolgen, wenn man sich nicht mehr kritisch äußern darf, sondern in die Jubelbotschaften der Kommunistischen Partei einstimmen muss.

In diesem Jahr Gastprofessor an der Hongkong University: Heribert Dieter von der Berlin Stiftung Wissenschaft und Politik

Umgekehrt gab es schon erste Berichte, laut denen westliche Banken in Hongkong sich von Kunden trennen, die zu kritisch gegenüber Peking sind.

Das neue Gesetz betrifft die Banken unmittelbar. Der Asien-Chef der Hongkong Shanghai Banking Corporation (HSBC) hat das Gesetz schon begrüßt, bevor er es überhaupt im Detail kannte. Das haben auch die Universitätspräsidenten so gemacht. Und es ist klar, dass die Banken umsetzen müssen, was den Geist des Gesetzes ausmacht. Das heißt, dass Regimekritiker kein Konto mehr bei der HSBC haben können. Das sind sehr gefährliche Entwicklungen, die viele Menschen so nicht erwartet haben. Und sie sind eine große Gefahr für den Finanzplatz Hongkong.

Trotzdem halten sich Banken mit Kritik zurück. Es ist wohl nicht zu erwarten, dass sich westliche Finanzinstitute freiwillig aus Hongkong zurückziehen. Aber was würde passieren, wenn sie sich zurückziehen müssten, etwa im Rahmen von Sanktionen?

Es gibt schon Hinweise darauf, dass sich Akteure freiwillig aus Hongkong zurückziehen. Im September tritt der neue Asien-Chef der Deutschen Bank sein Amt an. Traditionell war diese Funktion in Hongkong angesiedelt. Das wurde jetzt geändert, und der neue Asien-Chef hat sein Büro in Singapur. Das sind erste Hinweise darauf, dass es eine Abwanderung aus Hongkong geben könnte. Der entscheidende Punkt sind die Mitarbeiter. Sie wollen abends beim Bier frei und offen sprechen können. Das konnten sie bisher in Hongkong, jetzt aber nicht mehr. Sie haben auch Familien, die auf ein unzensiertes Internet Wert legen. Das wird in Hongkong ebenfalls eingeschränkt werden. Es wird den Banken also zunehmend schwer fallen, Mitarbeiter zu finden. Insofern halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass der Finanzsektor nach Singapur oder Tokio, möglicherweise auch nach Seoul oder Sydney abwandern wird.

Gebäude des Legislativrats, des Hongkonger Parlaments (Mitte). Topmanager der Bank HSBC (rechts) begrüßte des Sicherheitsgesetz schon vor seiner Verabschiedung

Der Konflikt zwischen den USA und China spitzt sich weiter zu. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es zu Sanktionen kommt, die den Finanzsektor in Hongkong betreffen?

Die US-Regierung ist bereit, relativ hart gegenüber China vorzugehen. Seit dem 1. Juli beschränken die USA schrittweise den Sonderstatus, den Hongkong seit 1997 genossen hat. Was würde passieren, wenn die US-Regierung nun untersagt, dass in Hongkong der US-Dollar frei gehandelt werden kann? Darüber diskutiert man sicher gerade in Washington. Allerdings würde das auch US-Unternehmen hart treffen.

Hongkong ist ja als Finanzplatz auch deshalb so attraktiv, weil die dortige Währung, der Hongkong Dollar, mehr oder weniger fest mit dem US-Dollar verbunden ist. Für Unternehmen und Akteure auf den Finanzmärkten gibt es dadurch fast kein Wechselkursrisiko. Ein Umstellung auf Yuan würde alles erschweren und verteuern.

Unter Deng Xiaoping(r.) begann Chinas wirtschaftliche Öffnung. Welchen Kurs verfolgt Xi Jinping?

Angesichts der enormen Bedeutung des Finanzplatzes auch für Peking, die sie gerade beschrieben haben – warum setzt die chinesische Regierung all das aufs Spiel, indem sie in Hongkong dieses Sicherheitsgesetz durchdrückt?

Das ist eine der schwierigsten Fragen, und ich denke sehr viel darüber nach. Warum ist die Regierung in Peking gegenwärtig bereit, mit nahezu sämtlichen Akteuren einen Konflikt zu suchen? Das geht von Australien über Indien, die USA bis hin zur Europäischen Union.

Das hat nur dann Sinn, wenn man eine Abkopplung Chinas von der Welt als zentrale Strategie der Kommunistischen Partei unterstellt. China möchte sich wieder zurückziehen auf das eigene Territorium, wie das in den 5000 Jahren chinesischer Geschichte meist der Fall war. Die Öffnung die Landes, die Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre eingeleitet hat, wäre nach dieser Lesart die Ausnahme.

Aber das ist nur eine Vermutung. Es es gibt kein Dokument, das das belegt. Allerdings legt die tatsächlich zu beobachtende Politik der chinesischen Regierung diese Deutung nahe.

Das wäre das Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen.

Es wäre das Ende der Globalisierung, wie wir sie bisher gekannt haben, aber es wäre natürlich nicht das Ende der Globalisierung. Die Globalisierung ändert sich sowieso, nicht nur wegen Xi Jinping, sondern weil China als Produktionsstandort zu teuer geworden ist. Die Konflikte zwischen den USA und China bzw. zwischen China und dem Rest der Welt beflügeln diese Tendenzen. Aber nach meiner Einschätzung hat die internationale Arbeitsteilung zu viele Vorteile, als dass man sie ganz aufgeben würde. Die Globalisierung wird sich ändern, aber nicht enden. Doch China wird nicht mehr die Rolle spielen, die es in den vergangenen 20 bis 30 Jahren gespielt hat.

Sie sagten gerade, auch die EU steht China inzwischen kritischer gegenüber. Trotzdem hat sie sich mit Kritik am Sicherheitsgesetz bisher sehr zurückgehalten. Zu sehr?

Absolut, die EU hält sich zu sehr zurück. Hier wurde ein Vertrag gebrochen, der Vertrag zwischen Großbritannien und der Volksrepublik China aus dem Jahr 1984. Die Bundesregierung ist da besonders zu kritisieren, Kanzlerin Merkel sucht die enge Zusammenarbeit mit diesem totalitären Regime. Deutschland müsste sehr viel kritischer auf die Verletzung des Völkerrechts reagieren. Andere europäische Länder sind da weiter, Großbritannien etwa oder Frankreich. Nun exportiert Deutschland mehr Waren nach China als die nächsten acht EU-Länder zusammen, insofern ist die Zurückhaltung erklärbar. Aber vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte halte ich es für besonders wichtig, dass wir Diktaturen gegenüber nicht anbiedernd entgegentreten. Wir sollten deutlich sagen, dass es sich um einen Bruch des Völkerrechts handelt, und uns auch Gedanken über Sanktionen gegen China machen.

Heribert Dieter ist Wissenschaftler bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit den Arbeitsschwerpunkten Global Governance sowie Entwicklungs-, Handels-und Finanzpolitik. Derzeit hat er eine Gastprofessur an der Universität Hongkong inne.

Das Gespräch führte Andreas Becker.


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    Autorin/Autor: Ines Eisele