“Exil”: Deutsches Kino beim 23. Filmfestival in Shanghai

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Premiere in China: “Exil” des aus dem Kosovo stammenden deutschen Filmemachers Visar Morina ist einer von 13 deutschen Produktionen beim Filmfestival.

Mišel Matičević spielt in “Exil” die Hauptrolle

Es dürfte einer der wichtigsten deutschen Filme des Jahres ein. Weltpremiere feierte “Exil” beim Sundance-Festival zu Beginn des Jahres, es folgte die deutsche Erstaufführung bei der Berlinale in der Sektion “Panorama”. Jetzt feiert “Exil” von Regisseur Visar Morina Asien-Premiere beim “23. Shanghai International Filmfestival”. Ende August ist dann der Kinostart vorgesehen, unter anderem in Deutschland und Österreich.

Sundance und Berlin, das waren die letzten großen Filmfestivals vor der weltweiten Corona-Krise. Ab März setzte dann der Kino-Lockdown dem internationalen Filmgeschehen ein Ende. Lichtspielhäuser machten dicht, Festivals wurden abgesagt, Dreharbeiten gecancelt. Für Wochen ruhte alles. Nur langsam wird die Kinoszene nun wieder zum Leben erweckt, aber auch nur dort, wo Corona ansatzweise unter Kontrolle scheint.

Auch in China ist der normale Kinoalltag noch eingeschränkt

Ein Beispiel dafür ist China. In den chinesischen Krisenregionen wurden schon im Januar die Kinos geschlossen und auch nachdem dort mit rigorosen Maßnahmen Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie erzielt werden konnten, kam die anfängliche Euphorie zu früh. Die Wiedereröffnung vieler chinesischer Kinos musste vielerorts wieder rückgängig gemacht werden – auch, weil sich die Menschen einfach nicht zurück in die Lichtspielhäuser trauten.

Schauplatz des Filmfestivals: die chinesische Millionenmetropole Shanghai

Auch Festivals wurden abgesagt – so die traditionsreiche Veranstaltung in Shanghai im Juni. Das Festival hat allerdings einen neuen Termin und findet jetzt bis zum 2. August statt – unter den inzwischen üblichen strengen Hygiene-Bedingungen. Tradition ist dort auch die enge Zusammenarbeit zwischen “German Films” und den Ausrichtern des Festivals in der Millionenmetropole. Shanghai öffnet seit Jahren seine Schaufenster für das deutsche Kino. Gleich ein Dutzend deutsche Produktionen laufen so 2020 in der Sektion “Focus Germany”, hinzu kommt eine Dokumentation.

Deutsches in Shanghai: Hermann Hesse, “Undine” – und “Exil”

Es ist eine Mischung aus Produktionen, die bisher nur auf internationalen Festivals zu sehen waren – und auch im deutschen Kinoalltag noch nicht gestartet wurden – sowie einigen wenigen Filmen, die in Deutschland bereits angelaufen sind wie etwa die Herman-Hesse-Verfilmung “Narziß und Goldmund” und “Undine” von Christian Petzold. Ein Höhepunkt im “deutschen Programm” in Shanghai dürfte “Exil” von Visar Morina sein.

Mobbing, Diskriminierung oder alles nur Einbildung? Xhafer (z.v.l.) zweifelt

“Exil” ist ein beeindruckender Spielfilm, weil er es schafft, die Zuschauer durch seine besondere filmische Perspektive geradezu sogartig in das Geschehen hineinzuziehen. Erzählt wird die Geschichte des aus dem Kosovo stammenden Pharma-Ingenieurs Xhafer, der verheiratet ist, drei Kinder hat, und der das Leben eines gut situierten bürgerlichen Angestellten in einer deutschen Großstadt führt. Xhafer arbeitet bei einem Chemieunternehmen, das unter anderem Tierversuche mit Ratten durchführt.

Atemlos verfolgt der Zuschauer die Ausnahmesituation seiner Hauptfigur

Der Zuschauer nimmt in “Exil” die Perspektive seines Hauptdarstellers ein, folgt dem Geschehen mit atemloser Spannung. Es sind zunächst kleine, unscheinbare Dinge, die Xhafer stutzig machen. Ein paar Bemerkungen von Vorgesetzten und Mitarbeitern. Später dann kommen unübersehbare Zeichen hinzu. An Xhafers Haustür hängt eines Tages eine Ratte. Die Zurechtweisungen der Vorgesetzten werden deutlicher. Doch passiert das tatsächlich, wird Xhafer gemobbt? Weil er ausländische Wurzeln hat?

Auch die Ehe Xhafers (vorne: Mišel Matičević) mit seiner von Sandra Hüller gespielten Frau gerät in die Krise

Oder bildet er sich das nur ein, leidet er unter Paranoia? Regisseur Morina lässt das bis zu einem gewissen Grad offen.

Für Visar Morina, 1979 in Pristina im Kosovo geboren und als Teenager mit seinen Eltern nach Deutschland gekommen, ist sein zweiter Spielfilm auch eine Art Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte: “Der im Film beschriebene Konflikt ist natürlich autobiografisch motiviert, sei es durch meine Familie oder durch mich selbst. Ich bin mit 15 nach Deutschland gekommen, habe die Sprache nicht gesprochen und musste um meine Position kämpfen – sei es in der Schule, wo ich erstmal gar nicht hin durfte, oder auch im Privaten.” Der Grundkonflikt und die Emotionalität des Films seien ihm deshalb sehr nah, so Visar Morina.

“Deutscher mit Migrationshintergrund”: “Exil” zeigt, was das heißen kann

Der Film stellt die Frage: Wie empfindet man/frau als nicht in Deutschland geborener Mensch, der schon lange in der neuen Heimat lebt? Das wird mit geradezu klinischer Kälte durchexerziert.

Visar Morina

Morina macht das auf zwei Ebenen. Er zeichnet ein sehr authentisches, nüchternes Bild von Deutschland, des Büroalltags und Privatlebens seines Protagonisten: “Ich empfinde den Film als eine Auseinandersetzung mit dem, was ich vielleicht als westlich empfinde”, erklärt der Regisseur. “Westlich in der Hinsicht, als dass man sich ‘erste Welt’ nennt und glaubt den Puls der Zeit vorzugeben.”

Eine zweite Ebene sei ihm, so Morina, noch wichtiger gewesen. Ihn habe vor allem die Existenz des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft interessiert: “Ich finde Gruppen können schnell etwas Bedrohliches haben. Für mich war der menschliche Aspekt der Verunsicherung des Einzelnen gegenüber einer Gruppe viel wichtiger, als eine Kritik an Deutschland.”

“Exil” zeigt einen Menschen in schier auswegloser Lage 

So findet der Film seine bezwingende Überzeugungskraft gerade im genauen Blick auf seine Hauptfigur, dessen psychische Situation. “Ich war definitiv bemüht die Strukturen, die zur Ausgrenzung führen können, spürbar zu machen”, beschreibt Morina seine filmische Vorgehensweise: “Mir war der Aspekt der langsamen Verunsicherung sehr wichtig. Ab einem bestimmten Punkt macht die Verunsicherung auch vor einem selbst nicht Halt.”

Führt eigentlich ein ganz normales bürgerliches Leben: Xhafer vor seinem Haus

Ihm sei “persönliches und subjektives Erzählen wichtig”, sagt der Regisseur: “Ich habe den Film als Versuch einer Geschichte über das Sehen und Zweifeln verstanden. Ich sehe einen Gegenstand und weiß nicht, wie ich diesen Gegenstand in Verhältnis zu mir setzen soll. Das war für mich der Kern und Angelpunkt der Geschichte.” So sei es für ihn absolut zwingend gewesen, “in der Wahrnehmung Xhafers zu bleiben.”

In den USA erinnerte Morinas Film viele an den Regisseur Michael Haneke

So ist “Exil” vielmehr als ein Film über das Schicksal und das Leben des viel und gern zitierten “Deutschen mit Migrationshintergrund”: Es ist ein Film, der sich ganz tief hineingräbt in die Psyche eines Menschen in einer Ausnahmesituation, genau beobachtet, psychologisch fein austariert, filmisch und dramaturgisch meisterhaft in Szene gesetzt. Und von geradezu kafkaesker Bedrohlichkeit.

Sandra Hüller überzeugt, wie in der “Komplizen-Film”-Produktion “Toni Erdmann, erneut mit natürlichem Spiel

Nicht umsonst erinnerte Morinas Film beim Sundance-Festival viele Kritiker an die Arbeiten Michael Hanekes. 

“Exil” dürfte auch beim chinesischen Publikum Eindruck hinterlassen. Und beim Betrachten des Abspanns des Films wird der ein oder andere Zuschauer aufmerksam registrieren, dass “Exil” von der Produktionsfirma “Komplizen Film” hergestellt wurde. Die ist spätestens seit dem Welterfolg “Toni Erdmann” (2016) von Maren Ade in aller Munde. Ade, eine der drei Inhaberinnen von “Komplizen Film”, ist somit jetzt auch mitverantwortlich für “Exil”. Zu lachen hat der Zuschauer allerdings in Visar Morinas Film – im Gegensatz zu “Toni Erdmann” – nichts.

 

Beim Festival in Shanghai läuft “Exil” ab dem 25. Juli 2020 in mehreren Vorstellungen. “Exil” ist eine Co-Produktion Deutschlands, Belgiens und des Kosovo. Der Film startet am 20. August in den deutschen und österreichischen Kinos. Im Ausland läuft der Film unter dem Titel “Exile”.