Mexikos Wirtschaft hofft auf T-Mec-Schub

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Das neue Handelsabkommen mit den USA und Kanada bietet neue Chancen für Mexikos Wirtschaft und soll Lohndumping verhindern. Einzelne Branchen wie die Autoindustrie sind eher skeptisch. Von Sandra Weiss, Puebla.

Als das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) am 1. Januar 1994 in Kraft trat, taumelte Mexiko in eine schwere Krise: Im armen Süden des Landes erhoben sich aus Protest die Zapatistenrebellen und ließen Bürgerkriegsängste aufkeimen. Drei Monate später wurde der Favorit für die Präsidentschaftswahl ermordet, wieder neun Monate später stürzte die Peso-Abwertung das Land in eine Finanzkrise. Auch das Nachfolgeabkommen T-Mec, wie das U.S.-Mexico-Canada Agreement (USMCA) in Mexiko genannt wird, und das am 1. Juli in Kraft trat, kommt nicht zum besten Zeitpunkt. Die Arbeitslosenzahlen schnellen wegen der Coronakrise seit März in die Höhe und der Weltwährungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die mexikanische Wirtschaft in diesem Jahr um mehr als 10 Prozent schrumpft.

Neue Geschäftschancen und klare Spielregeln

Wird T-Mec, so wie damals Nafta, wieder der wirtschaftliche Rettungsring werden, der Mexiko stabilisiert? Das jedenfalls ist die Hoffnung von Präsident Andrés Manuel López Obrador. Die Stimmung bei Unternehmern und Ökonomen ist dagegen eher gedämpft. Während das Nafta-Abkommen Mexikos Schritt in die Globalisierung war, bedeute T-Mec den Rückzug in die Regionalisierung. Und das werde Gewinner und Verlierer hervorbringen, so die Kritiker.

Johannes Hauser, Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (AHK Mexiko) sieht neue Geschäftschancen unter anderem im E-Commerce, der neu ins Abkommen aufgenommen wurde. Steuern auf digitale Produkte wie Bücher, Musik oder Streamingdienste sind darin untersagt. Davon profitieren vor allem US-Portale, die den Markt dominieren. Der elektronische Handel wurde auch ins nachverhandelte Handelsabkommen zwischen der EU und Mexiko aufgenommen. Die Tatsache, dass die neuen Versionen beider Abkommen fast zeitgleich in Kraft treten, sieht Hauser dabei als Vorteil für Investoren: “Die Spielregeln für die nächsten Jahre sind klar”, sagte er der DW.

Außenhandelskammerchef Johannes Hauser sieht positive Effekte für Investoren

Wermutstropfen für die Autoindustrie

Ein Gewinner von Nafta war die Autoindustrie, die ihre Produktion auslagerte und Mexiko als neue internationale Drehscheibe ausbaute. So wurde das Land zum viertgrößten Automobilexporteur weltweit- allerdings ohne eine einzige mexikanische Automarke. Für die in Mexiko produzierenden Automobilhersteller ist T-Mec eine Herausforderung, denn US-Präsident Donald Trump setzte durch, dass 75 Prozent der Komponenten aus der Region stammen müssen. Damit müssen Produktionsketten neu organisiert und ein Teil aus Asien zurückgeholt werden. Die höheren Kosten dürften auf die US-Verbraucher abgewälzt werden. Weitere Probleme für die Autoindustrie sind derzeit der Nachfrageeinbruch und die Umstellung auf die E-Mobilität.

Höhere Löhne und mehr Rechte für Arbeiter

Gewinner des Abkommens sind die Arbeiter, denn der Vertrag sieht ein Ende des Lohndumpings vor. T-Mec war der Grund, der Mexikos Politiker 2019 zur Anhebung des Mindestlohnes und zu einer längst überfälligen Reform des Arbeitsrechts bewegte. Das 100 Jahre alte Gewerkschaftsrecht wurde modernisiert, wiederholte Verletzungen von arbeits- und umweltrechtlichen Standards können nun einem Schiedsgerichts-Panel vorgelegt werden. Die Beweislast liegt beim Angeklagten, und es besteht keine Möglichkeit mehr, dass ein Land ein solches Panel blockiert. Dies war ein Anliegen der US-Gewerkschaften und der Demokraten, ohne deren Zustimmung T-Mec nicht durch den US-Kongress gekommen wäre.

Auf die internationalen Autobauer in Mexiko kommen Mehrkosten zu

Mexikos Industriearbeiter hoffen außerdem auf Lohnerhöhungen, denn laut T-Mec müssen in spätestens sieben Jahren 40 Prozent der Komponenten eines Fahrzeuges aus Standorten stammen, bei denen die Arbeiter mindestens 16 US-Dollar pro Stunde verdienen – acht Mal mehr als derzeit üblich. Knapp ein Fünftel der 5 Millionen Beschäftigten in der mexikanischen Fertigungsindustrie arbeiten im Automobilsektor. US-Präsident Donald Trump hat immer immer betont, dass US-Firmen ihre Produktion zurück in die USA verlegen würden, wenn sie nicht mehr von den Niedriglöhnen in Mexiko profitieren könnten.

Weniger Korruption und nachhaltigere Entwicklung?

Im Lager der mexikanischen Arbeitgeber stieß dies auf wenig Begeisterung, schmälert es doch die Gewinnspannen. Die Klauseln seien unvorteilhaft und bedienten die Interessen bestimmter Lobbies in den USA, kritisierte beispielsweise das Zentrum für Private Wirtschaftsstudien (CEESP). Dafür setzten die Unternehmer Anti-Korruptionsklauseln durch, die sich insbesondere im Bereich der öffentlichen Ausschreibungen positiv auf Transparenz und Wettbewerb in Mexiko auswirken dürften.

Dieses Beispiel zeigt: Durch die Hintertür des Freihandels sollen so manch tieferliegende, strukturelle Probleme Mexikos gelöst werden. Ob das gelingt ist ungewiss. So werden zwei Drittel der mexikanischen Arbeiter von den neuen T-Mec-Klauseln gar nicht tangiert, denn sie arbeiten informell oder auf eigene Rechnung. Ja, sie könnten sogar negativ betroffen sein, denn der Vertrag sieht einen stärkeren Patentschutz vor, und bei vielem, was auf Mexikos Straßenmärkten verkauft wird, handelt es sich um gefälschte Markenprodukte.

“Wir dürfen nicht denselben Fehler wie bei Nafta wiederholen und nur aufs Wachstum schielen”, warnt deshalb Ignacio Martínez, Chefökonom des Labors für Handels- und Wirtschaftsanalyse der staatlich autonomen Universität (UNAM). “Die Regierung sollte den Vertrag als Werkzeug für eine nachhaltige Entwicklung verstehen und strategisch in bestimmte Sektoren investieren.” Dafür unerlässlich, so die Unternehmensberatung Deloitte in einer Analyse, sei eine “Synergie zwischen Staat und Privatwirtschaft”. Doch gerade diese Beziehung ist unter dem linksnationalistischen López Obrador, der auf Staatsdirigismus setzt, zuletzt ziemlich angespannt.