Daniel Thioune als HSV-Trainer – historisch relevant

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Dass Zweitligist Hamburger SV Daniel Thioune geholt hat, ist ein großes Ding. Nicht nur weil Thioune ein Pionier für Schwarze Trainer ist, sondern auch, weil beim HSV viele Trainerkarrieren eher endeten als begannen.

Der Hamburger SV, der vielleicht größte schlafende Riese des deutschen Fußballs, muss eine weitere Saison lang in der 2. Liga darben. Dass sich der Klub nach dem auf der Zielgeraden erneut verpatzten Aufstieg von Trainer Dieter Hecking trennte, war alles andere als eine Überraschung. Doch die Wahl von Daniel Thioune zu Heckings Nachfolger war nicht unbedingt zu erwarten. Ein in Deutschland geborener Schwarzer ist ab sofort für die sportlichen Belange eines Vereins, der trotz der sportlichen Turbulenzen der vergangenen Jahre immer noch eine große Nummer ist, zuständig. 

Gelebte Diversität

“Wenn ich so weitermache, wird mich niemand und nichts aufhalten, auch nicht meine Hautfarbe”, sagte Thioune im vergangenen Herbst dem Magazin “11 Freunde”: “Aber sie wird es mir auch nicht einfacher machen, das ist mir schon klar.” Damals trainierte er noch den Zweitligisten VfL Osnabrück. Der HSV holte Thioune wegen seiner Qualitäten als Trainer, nicht wegen seiner Hautfarbe. Und doch ist sein Engagement ein Signal von gelebter Diversität. In einem Land, in dem es viele Lippenbekenntnisse im Kampf gegen Rassismus gibt, in dem dieser weiterhin vorkommt und in dem Schwarze Trainer immer noch Ausnahmen sind.

Sollte es Thioune gelingen den HSV zurück in die erste Bundesliga zu bringen, würde er ein dickes Ausrufezeichen setzen. Nicht nur wegen seiner Hautfarbe, sondern auch, weil vor ihm dort schon so viele Trainer gescheitert sind. Gescheitert an der Bürde der hohen Erwartungen und an der Macht des Vorstands und der Investoren – Hannes Wolf, Christian Titz, Bruno Labbadia sind nur einige Beispiele. “Ich habe gelernt, dass man im Leben jede Stufe einzeln nehmen muss und dass es deshalb vielleicht manchmal ein bisschen länger dauert”, sagte Thioune Anfang 2019 im DW-Interview: “Aber auch wenn der Weg etwas steiniger ist, weiß ich, dass ich ihn trotzdem gehen kann.”

HSV-Sportvorstand Jonas Boldt hat klargemacht, dass sich der Verein von innen heraus erneuern will. Und Thioune soll dabei ein wichtiger Faktor sein. “Die wirtschaftlichen Möglichkeiten sind nicht besser geworden. Daher gilt es jetzt andere und vor allem kreative Lösungen zu finden”, sagte Boldt bei der Vorstellung Thiounes.

Menschenfänger

Thioune ist der vierte HSV Cheftrainer innerhalb von zwei Jahren. Viele vor ihm sind mit großen Ideen zum Traditionsverein an der Elbe gekommen und dann schwer geschlagen und mit gesenktem Kopf wieder gegangen. Bei Thioune könnte es anders verlaufen. Er gilt als “Menschenfänger”, als einer wie Liverpools deutscher Erfolgstrainer Jürgen Klopp. Bei seiner ersten Pressekonferenz als HSV-Trainer sprach Thioune von Demut, Empathie und der Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen: “Auch bei der Zielsetzung ist Demut angebracht. Wir erreichen Ziele nicht durch Reden. Wir müssen tun, nicht wollen.” Das mag nach Allegmeinplätzen klingen, doch Thiounes Vergangenheit zeigt, dass er auch meint, was er sagt. Seine Sprache spiegelt seine Arbeit wider. In Kombination mit einem effektiven und erfolgreichen Spielstil kann dies den Unterschied zu seinen Vorgängern machen.

Thiounes bisher größter Erfolg als Trainer: der Aufstieg mit Osnabrück in die 2. Liga 2019

Thioune hat den finanziell bescheiden aufgestellten VfL Osnabrück in die zweite Liga und dort auf einen Platz im gesicherten Mittelfeld geführt. Beeindruckend war vor allem das Selbstbewusstsein mit dem die Mannschaft in der vergangenen Saison auftrat. Und er hat bewiesen, im Spiel flexibel auf Situationen reagieren zu können. In der Aufstiegssaison 2018/19 holte Osnabrück immer wieder Rückstände auf und sicherte sich am Ende durch eine Serie von sieben Siegen vorzeitig das Ticket für die 2. Bundesliga. Mit Thioune wechselt auch sein Co-Trainer Merlin Polzin zum HSV. Der 29-Jährige gilt als eines der größten Trainertalente in Deutschland. Beide lieben das schnelle, “vertikale” Spiel, das in den vergangenen Jahren beim HSV eher selten zu sehen war. “Wir müssen brutal gegen den Ball arbeiten”, ließ Thioune bei der Pressekonferenz in Hamburg wissen. 

Gewohnt, Hürden zu nehmen

Wenn er bald als HSV-Trainer an der Seitenlinie steht, wird Thioune vielleicht auf die Tätowierung auf seinem linken Unterarm blicken, ein Zitat aus dem Hollywood-Film “Das Streben nach Glück” mit Will Smith: “Don’t ever let somebody tell you, you can’t do something!” (Lass dir niemals von jemandem einreden, dass du etwas nicht tun kannst!). Als Schwarzer, der in Deutschland aufgewachsen ist hat Thioune schon mehr Hürden überwunden als viele andere. Als Spieler schaffte er es ohne eine Nachwuchsakademie besucht zu haben in den Profibereich, wo er insgesamt 126 Zweitligaspiele für den VfL Osnabrück und LR Ahlen bestritt. Als Trainer arbeitete er sich in Osnabrück durch den Jugendbereich hinauf, bis er Coach der ersten Mannschaft wurde. Und jetzt ist er Cheftrainer des HSV. Warum sollte es ihm nicht auch gelingen, die Hamburger Hürde zu nehmen?