Chanel, Dior und Co.: Modenschauen gehen online

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Die neuesten Modelle von Chanel und Dior vom Sofa aus bewundern: Ist das in Zeiten von Corona die Zukunft der Haute Couture? Die Branche ist skeptisch.

Im Februar durften diese Models noch auf den Laufsteg

Eigentlich, ja, eigentlich wollte das Modehaus Chanel seine aktuelle Urlaubskollektion auf der sonnenverwöhnten italienischen Insel Capri präsentieren – doch Corona hat den Franzosen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Vor der Pandemie reisten die Designer aller großen Modehäuser samt ihrem Tross und tonnenschwerem Equipment noch von Fashion Week zu Fashion Week, doch diesmal ist alles anders. Keine klickenden Kameras der Pressefotografen, keine Prominente aus dem Showbusiness und kein Geldadel in der ersten Reihe – stattdessen flanieren die Models virtuell über den heimischen Bildschirm. Auch bei der Haute Couture-Woche in Paris, einem Highlight der Branche und der ältesten Fashion Show von allen.

Haute Couture im Stundentakt

Stündlich kann auf der Webseite ein neues Video angeklickt werden – jedes Mal stellt ein anderes Label seine aktuelle Kollektion vor. Eröffnet wurde die französische Modewoche am 6. Juli per Videobotschaft von Naomi Campbell. Das Supermodel präsentierte sich allerdings nicht im Designerdress, sondern in einem schlichten schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift” “Phenomenally Black”.

Naomi Campell hält die Eröffnungsrede

Entspannt sitzt die 50-Jährige in einem luxuriösen Wohnzimmer auf dem Sofa, zitiert Nelson Mandela und die Black Lives Matter-Bewegung und ruft dazu auf, Minderheiten aus allen Ländern und Kulturen in die Gespräche über Nachhaltigkeit einzubeziehen: “Es kommt auf uns an, es kommt auf euch an. Ohne Visionen zu handeln, ist verschwendete Zeit, aber wenn wir Visionen umsetzen, können wir die Welt ändern. Die Zeit ist reif, eine gerechtere Industrie aufzubauen. Es fängt derzeit an, in Frankreich…Merci.”

Naomi Campbell ruft zu Nachhaltigkeit in der Modebranche auf

Nachhaltigkeit statt ausgebeuteter Arbeitskräfte in Bangladesch oder Indien klingt vielversprechend – und passt zu Haute Couture. Denn dort geht ja eben nicht Massenware an den Start, sondern ein ausgefeiltes Designerstück nach dem anderen.

Chanels Fototapete versus Diors Zauberwald

Diesmal eben online – wobei sich die Modemacher im Netz ganz unterschiedlich präsentieren. Chanel imitiert in seinem Clip mit Fototapete und historischer Veranda-Geländer-Attrappe mediterrane Stimmung, untermalt wird der Auftritt der Models von eingängigem Elektrobeat. Im Video zur Wintermode geht es noch spartanischer zu: Vor milchigweißem Hintergrund dreht sich mal das eine, mal das andere Model in Pose.

Dior hat sich da schon mehr einfallen lassen- wobei bei dem 14-minütigen Filmchen eher das Gefühl aufkommt, in einem Märchen über Feen und Waldgeister gelandet zu sein als bei einer Modenschau. Da schwimmt eine Meerjungfrau mit Fischschwanz zu psychedelischen Klängen am kristallklaren Grund eines Flusses, am Ufer tummeln sich zwischen Farnkräutern und grünem Moos einige Nixen. Und mitten hinein in diese Idylle tragen zwei junge Männer in altmodischen Pagen-Uniformen eine Kiste wie eine Sänfte durch den verwunschenen Wald. Als sie die Schatulle öffnen, verbergen sich darin lauter Miniatur-Schneiderpuppen mit exklusiven Designerkleidern. Da unterbricht nicht nur die Elfe ihr Liebesspiel mit dem Faun, auch eine marmorne Skulptur erwacht zum Leben und streckt begehrlich ihre Hand nach einem Modell aus. Am Ende sind alle mystischen Wesen dieser Traumwelt neu eingekleidet – in Dior, versteht sich.

Die Stoffe wurden knapp

Im Clip der russischen Designerin Ulyana Sergeenko werden Schneiderinnen bei der Arbeit gezeigt, die akribisch Naht für Naht aneinanderreihen – und Models, die sich dank technischer Tricks plötzlich vervielfachen und zur Seite kippen. Der Italiener Giambattista Valli setzt auf Nahaufnahmen modischer Details, wohingegen Daniel Roseberry, kreativer Kopf aus dem Maison Schiaparelli, sich im Clip auf einer Parkbank niederlässt und eine Imaginäre Kollektion zeichnet. Wegen Corona gibt es nämlich in diesem Jahr keine neue.

Vielleicht liegt es daran, dass diesmal wegen des Lockdowns die Zulieferketten stockten, Stoffe und Garn wurden teilweise knapp, und die Designer konnten nicht immer aus dem Vollen schöpfen. Äußerste Finesse steckt trotzdem in in den Couture-Entwürfen, die es online geschafft haben. Das ist sich die Haute Couture schuldig. 

Auf also zum nächsten Clip von Maurizio Galante. Sein Model trägt zunächst sogar ein Schutzvisier, bevor es dann in wallendem Kleid majestätisch und einsam eine Treppe hinabschreitet – und damit der modeaffine User am Laptop zuhause weiß, wo das Ganze stattfindet, schwenkt die Kamera aus dem Fenster über die Dächer von Paris.

Live ist anders

Auch beim sechsten oder siebten Video mag der Funke auf dem heimischen Sofa nicht so richtig überspringen. Es fehlt die Aufregung, die sich in normalen Zeiten am Set breitmacht, es fehlt das Umfeld, das aus jeder Pore Haute Couture verströmt. Es fehlt der Applaus und die Diskussion der Zuschauer über die neuen Modelle.

Das wissen auch die Modemacher, zumal die meisten Häuser auf den direkten Kontakt mit den Kunden setzen – und deswegen wollen alle so schnell wie möglich zurück zur Normalität: “Ich hoffe, wir können im Oktober auf den Laufsteg zurückkehren”, sagte Chanel-Chef Bruno Pavlovsky zur Fachzeitschrift “Women’s Wear Daily”, die in Fachkreisen als Modebibel gilt. Eine Modenschau sei noch immer der beste Weg, eine Kollektion zu erzählen, und enorm wichtig für den späteren Verkauf im Laden. Und Diors Geschäftsführer Pietro Beccari betonte, dass nichts die Emotionen ersetzen könne, die bei einer Live Show aufkommen: “Da liegt Elektrizität in der Luft… Deswegen glaube ich, dass es immer Live-Shows geben wird.” Doch in diesen schweren Zeiten wolle die Branche mit den Online-Shows ein Zeichen der Wiedergeburt setzen.

Diors Pietro Beccari fehlt die knisterende Elektrizität der Live Shows

Versprechen der Nachhaltigkeit eingelöst 

Immerhin: Naomi Campbells Appell für mehr Nachhaltigkeit in der Eröffnungsrede hat sich schon bewahrheitet. Was könnte umweltfreundlicher sein als eine Kollektion nur im Netz, zu der niemand hinfliegen muss?

Wie sagte Guccis Kreativdirektor doch letztens? “Ich werde mich vom abgedroschenen Ritual der saisonabhängigen Shows verabschieden, um einen neuen Rhythmus zu finden, der mehr meiner kreativen Ader entspricht.”