Boom der Hochverratsverfahren in Russland

0
214

Seit Dienstag sitzt der renommierte russische Journalist Iwan Safronow in Moskau in U-Haft. Der Geheimdienst wirft ihm Hochverrat vor. Die liberale Öffentlichkeit ist beunruhigt, denn die Zahl solcher Verfahren steigt.

Ex-Journalist Safronow auf der Anklagebank in Moskau (am 7. Juli): Geheimnisverrat an Tschechien?

Das berüchtigte Untersuchungsgefängnis “Lefortowo” in Moskau hat einen neuen prominenten Insassen: Iwan Safronow. Der 30-Jährige Berater des Chefs der staatlichen russischen Raumfahrtagetur Roskosmos und ehemalige Journalist wurde am Dienstag festgenommen. Der Inlandsgeheimdienst FSB wirft ihm Hochverrat vor. Safronow wird beschuldigt, Details von Rüstungsgeschäften weitergegeben zu haben. Er soll zunächst für zwei Monate in Untersuchungsaft bleiben.

Ein vom FSB veröffentlichtes Video zeigt, wie Safronow – in Anzug und Krawatte – in der Nähe seines Moskauer Wohnhauses von bewaffneten Männern mit Schutzmasken in Handschellen gelegt, abgeführt und in einem grauen Kleinbus weggebracht wird. Sollte er wegen Hochverrats verurteilt werden, droht ihm eine Haftstrafe zwischen 12 und 20 Jahren. Doch Safronow beteuert seine Unschuld.

Vorwurf der Zusammenarbeit mit tschechischem Geheimdienst

Schnell war klar, dass die schweren Vorwürfe wohl nicht den Bereich Roskosmos betreffen, wo Safronow erst seit Mai arbeitet. Die Raumfahrtagentur beeilte sich mitzuteilen, die Festnahme habe nichts mit seiner Tätigkeit dort zu tun. Zuvor hatte Safronow jahrelang als Journalist für zwei renommierte russische Wirtschaftsblätter geschrieben: “Kommersant” und “Vedomosti”. Er galt als angesehener Fachreporter mit Schwerpunkten Militär- und Raumfahrtindustrie.

Safronow-Festnahme (am 7. Juli): In Anzug und Krawatte abgeführt

Erst nach und nach sickerten die Details der Vorwürfe gegen ihn durch. Nach Informationen seiner Anwälte beschuldigt der FSB Safronow, einem tschechischen Geheimdienst 2017 Informationen über russische Waffenlieferungen nach Afrika und Nahost übergegeben zu haben. Diese Informationen sollen am Ende bei den USA gelandet sein. Dabei soll Safronow bereits 2012 von der tschechischen Seite angeworben gewesen sein. Das Außenministerium in Prag teilte auf Anfragen diverser Medien am Mittwoch mit, man wolle sich dazu nicht äußern.

Kollegen fordern Safronows Freilassung

Die Festnahme von Iwan Safronow ist in dieser Woche bereits der zweite Anlass zur Sorge für die liberalen Teilen der russischen Öffentlichkeit, die sich seit Jahren einem wachsenden Druck der Behörden ausgesetzt sehen. Am Montag wurde die Journalistin Swetlana Prokopjewa aus der westrussischen Stadt Pskow zu einer heftige Geldstrafe verurteilt.

Ihr Vergehen: eine Radiokolumne, die von der Anklage als Terrorismus-Rechtfertigung bewertet wurde. Prokopjewa geht davon aus, dass sie sei nur dank der Solidarität und von Protesten ihrer Kollegen nicht im Gefängnis gelandet ist. Die Anklage hatte für sie sechs Jahre Haft gefordert.

Protest gegen Safronow-Verfahren vor der FSB-Zentrale: “Etwas Symbolisches”

Auch der Fall Safronow sorgt zunehmend für Solidarität. Mehrere Kollegen haben eine öffentliche Kampagne für seine Freilassung gestartet. Die Zeitung “Kommersant” stellte sich in einer Erklärung auf die Seite seines ehemaligen Autors. Der Hochverratsverdacht sähe “absurd” aus, heißt es. Einige frühere Kollegen stellten sich am Dienstag mit Protestplakaten vor die FSB-Zentrale in Moskau und wurden für kurze Zeit festgenommen. Auch am Mittwoch demonstrierten russische Journalisten für Safronows Freilassung, unter anderem in der Provinz.

“Für die Machthaber sind Rüstungsthemen sehr wichtig, es hat etwas Symbolisches”, sagt Andrej Perzew, ein ehemaliger Kollege von Safronow bei “Kommersant”. Viele hätten einen Grund Iwan Safronow wegen seiner Arbeit zu verfolgen, “von Vertretern der Rüstungsindustrie bis zum FSB”.

In Medienkreisen wird nun gerätselt, welche seiner Publikationen ihm zum Verhängnis wurde. Die Journalistin, Menschenrechtlerin und Safronows ehemalige Dozentin Olga Romanowa sagt, die Vorwürfe hätten mit einem Artikel Safronows aus dem Jahr 2019 über Lieferungen russischer Kampfjets nach Ägypten zu tun. Seine Anwälte wollen diese Vermutung jedoch bislang nicht bestätigen.

Junge Experten im Visier der Geheimdienste?

Mit dem Fall Safronow setzt sich in Russland auch eine andere Tendenz fort. Die Zahl der Schuldsprüche in Prozessen wegen Hochverrats hat sich innerhalb kürzester Zeit verdoppelt: von vier im Jahr 2018 auf acht 2019. Freisprüche gab es keine. In diesem Jahr dürfte sich dieser Trend fortsetzen. Seit Jahresbeginn gibt es rund ein Dutzend Fälle, in denen entweder Urteile bereits gefällt wurden oder noch ermittelt wird. Eine Berufsgruppe sticht dabei besonders hervor: Wissenschaftler. Details der Anklagen sind normalerweise nicht bekannt, da solche Prozesse hinter verschlossen Türen stattfinden.

Wegen Hochverrats verurteilt ist bereits Wladimir Neelow. Der Militär-Experte aus St. Petersburg muss sieben Jahre lang in eine Strafkolonie, so das Urteil vom 2. Juli. “Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Neelov einer deutschen Beraterfirma Informationen über den Verlauf von Ausbildung und Training von FSB-Mitarbeitern für eine finanzielle Belohnung weitergeben hatte”, heißt es in einer Pressemitteilung der Justiz. Er soll seine Schuld teilweise zugegeben haben.

Russische Medien berichten, dass Neelow möglicherweise wegen Informationen über russische Söldner verurteilt wurde, bekannt als die “Wagner-Truppe” nach dem Kampfnamen ihres Abführers. Diese Truppe soll in der Ukraine und Syrien gekämpft haben.

Wegen seiner Expertentätigkeit und seines jungen Alters unterscheidet sich der Fall Neelow von anderen Ermittlungen gegen meist ältere Wissenschaftler. Das Verfahren gegen den erst 30-jährigen Iwan Safronow scheint dem von Iwan Neelow eher zu ähneln. Junge Experten im Visier der Geheimdienste: Möglicherweise ist dies ein neuer Trend in der russischen Strafverfolgung.

Video ansehen 01:33 Teilen

Verdacht auf Staatsterrorismus

Versenden Facebook Twitter google+ Tumblr VZ Xing Newsvine Digg

Permalink https://p.dw.com/p/3e0rq

Ermittler gehen von Auftragsmord aus