Corona-Krise: Spaniens junge Verlierer

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Die Corona-Krise trifft junge Menschen in Spanien mit voller Wucht. In südspanischen Urlaubsgebieten soll ihnen nun ein ungewöhnliches Arbeitsprogramm zumindest über den Sommer helfen. Aus Torrox Jan-Philipp Scholz.

Pablo García hat Glück. Er wird dafür bezahlt, den ganzen Sommer am Strand zu verbringen. Von 9 Uhr bis 15 Uhr patrouilliert er zusammen mit seiner Kollegin Laura Moreno auf einem knapp zwei Kilometer langen Strandabschnitt in der Kleinstadt Torrox, eine halbe Autostunde von der Hafenmetropole Málaga entfernt. “Unser Job ist es, zu schauen, dass sich alle Badegäste an die neuen Hygienemaßnahmen halten”, erklärt der 32-Jährige. “Das Wichtigste sind die Abstandsregeln: Zwei Meter zwischen müssen zwischen den Familien frei bleiben und auch vor dem Wasser müssen mehrere Meter Platz bleiben, damit sich Spaziergänger nicht in die Quere kommen.”

Strand-Sheriff: Ein hart umkämpfter Job

Fast 90.000 Spanier haben sich um die 3000 Stellen als Strand-Sheriffs beworben, wie manche Einheimische die Tätigkeit nennen. Es waren vor allen junge Menschen, die sich Hoffnungen auf einen Job zwischen den Badegästen machten.

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Das liegt zum einen an der körperlich herausfordernden Arbeit in der Hitze der südspanischen Sonne. Zum anderen liegt es auch daran, dass junge Spanier weit überdurchschnittlich von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise betroffen sind. Mehr als eine Million Menschen in Spanien haben ihre Jobs durch die Pandemie verloren – rund die Hälfte von ihnen ist unter 35 Jahre alt.

Die wichtigste Regel ist Abstandhalten – die Strand-Sheriffs erklären einem Rentnerpaar die Hygieneregeln

Ausgedacht hat sich das Strand-Sheriff-Programm die Regionalregierung Andalusiens. Die Verantwortlichen hoffen, damit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, erklärt Ana Celia Gonzáles, Leiterin der Zivilschutzbehörde in Málaga. “Oberstes Ziel ist es natürlich, Virusinfektionen zu vermeiden und für die Sicherheit der Strandbesucher zu sorgen.” Doch natürlich sei es auch ein Anliegen des Projekts, die “traumhaften Strände der Region” zu bewerben und so der lokalen Tourismusindustrie wieder auf die Beine zu helfen, in der vor der Krise mehr als 300.000 Andalusier beschäftigt waren.

Seit Ende Juni dürfen EU-Bürger wieder nach Spanien einreisen, doch die erhoffte Touristenwelle bleibt bisher aus. Demensprechend ruhig verläuft auch Pablo Garcías Patrouille zwischen verwaisten Strandcafés und leeren Badeliegen. Nur einige spanische Rentner hat es an diesem Morgen an den Strand verschlagen. Viele haben eine Zweitwohnung in Torrox und verbringen den ganzen Sommer hier.

Meistens Zeit für ein kurzes Gespräch – Strandwächter Pablo García und seine Kollegin mit einem Strandbesucher

“Inzwischen ist das schon kleine Gemeinschaft geworden”, erzählt der Strandwächter. Oft bleibe auch Zeit für ein Gespräch, in dem man sich gegenseitig von seinen Sorgen und Nöten während der vergangenen Krisenmonate berichte. Dabei wird immer wieder deutlich: Während für die Senioren vor allem gesundheitliche Sorgen im Mittelpunkt stehen, ist es bei den oft jungen Hilfskräften die Angst um ihre finanzielle Zukunft.

Kaum aus der Krise – kommt die nächste

Auch Pablo García weiß noch nicht, wie es für ihn nach dem Sommer weitergehen soll, wenn sein Vertrag als Strandwächter endet. Dabei hatte der studierte Betriebswirt im Frühjahr nach einer längeren beruflichen Durststrecke endlich neue Hoffnung gefasst. Als er 2018 sein Examen in Wirtschaftswissenschaft in der Tasche hatte, fand er trotz monatelanger Suche keinen Job. Spanien erholte sich zwar langsam von den harten Jahren der der Finanzkrise und der Rezession, die Nachwirkungen waren aber noch immer spürbar – vor allem für die junge Generation.

“Es gab zwar ein paar Jobangebote, aber die Konkurrenz war riesig und die Bedingungen dementsprechend miserabel”, erinnert sich Pablo García. Während des Höhepunkts der Finanzkrise lag die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien bei über 50 Prozent. Als es dann wieder langsam wieder bergauf ging, machten sich viele Arbeitgeber die Verzweiflung der jungen Menschen zunutze und setzten sogenannte “Müllverträge” auf, wie Spanier sie nennen: Kurze Laufzeiten, kaum soziale Absicherung, niedriges Gehalt. Laut einer Studie der spanischen Caixabank lag das Durchschnittseinkommen der unter 30-jährigen Berufstätigen im vergangenen Jahr bei gerade einmal 930 Euro netto.

Noch bleibt die erhoffte Touristenwelle aus – leere Lokale an der Promenade von Torrox, Spanien

Pablo García entschied sich schließlich für einen anderen Weg: Er nahm einen Job als Barkeeper an, denn die gab es in der Touristenregion Málaga zuhauf, und büffelte gleichzeitig intensiv für die sogenannten Oposiciones. Als Oposiciones werden die in ganz Spanien gefürchteten Mammutprüfungen bezeichnet, die jeden Sommer stattfinden und den Weg in den Staatsdienst ebnen. Viele junge Spanier bereiten sich jahrelang auf sie vor – oft mit teurer professioneller Hilfe. Auch Betriebswirt García saß die vergangenen anderthalb Jahre lang fast jeden Tag vier bis fünf Stunden am Schreibtisch, um die Feinheiten des spanischen Steuersystems, Verwaltungsrechts und die Außenhandelsstrategien des Landes zu studieren und so einen der begehrten Beamtenposten für öffentliche Finanzen zu bekommen.

Ein rettender Strohhalm – für einen Sommer

“Dann brachen auf einmal all meine Pläne zusammen”, erinnert er sich an die ersten Wochen der Corona-Krise im März. Erst kam die Nachricht seines Chefs, dass er ihn nicht mehr bezahlen könne. Zwar hatte er damit Anrecht auf Gelder aus einem Notfalltopf der Regierung, doch das waren gerade mal 500 Euro im Monat. “Der Betrag war natürlich zu niedrig, um alle laufenden Kosten zahlen zu können. Vor allem, weil meine Partnerin, mit der ich mir eine Wohnung teile, fast gleichzeitig ihren Job verloren hat”, so der junge Spanier.

Kurze Zeit später bekam er dann die nächste Hiobsbotschaft: Diesen Sommer würden alle Auswahlverfahren für den Staatsdienst bis auf weiteres gestrichen. “Das hat mir den Rest gegeben. Ich hatte alles auf diese Chance gesetzt und mich gewissenhaft darauf vorbereitet. Dementsprechend hatte ich ein gutes Gefühl, dass ich die Prüfung auch bestehen würde”, seufzt Pablo García.

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Für den Betriebswirt war das Jobangebot als Strandwächter schließlich die berühmte Rettung in der Not – auch wenn es im Arbeitsalltag weniger angenehm sei, den ganzen Tag am heißen Strand zu verbringen, als sich mancher vorstelle, wie García beteuert. Mit rund 1500 Euro netto ist die Arbeit für spanische Verhältnisse weit überdurchschnittlich bezahlt. Ein wenig davon versucht der junge Mann bereits für die ungewisse Zeit nach dem Sommer zurückzulegen. Urlaub ist dieses Jahr nicht drin – auch deshalb nicht, weil Spaniens Regierung theoretisch mit nur drei Tagen Vorlauf einen neuen Termin für die Beamtenprüfungen ansetzen kann und García daher ständig auf Abruf bleiben muss.

Große Illusionen macht er sich in dieser Hinsicht allerdings nicht. Um dreizehn Prozent wird die spanische Wirtschaft dieses Jahr schrumpfen, schätzen Experten. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Staatseinnahmen und damit auf die Einstellung neuer Beamter. Momentan freue er sich, dass er überhaupt einen Job habe und die kleinen Dinge wieder genießen könne, so Pablo García. Wie zum Beispiel seine beiden freien Tage Ende der Woche, die er mit seiner Freundin verbringen will. An den Strand gehen werden die beiden allerdings nicht.

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