K-Pop-Fans werden politisch – ihre Stars nicht

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Sie kapern rassistische Hashtags oder fluten Apps der US-Polizei mit Fancam-Bildern: K-Pop-Fans suchen nach digitalen Protestformen gegen Rassismus. Die K-Pop-Industrie bleibt dagegen überraschend unpolitisch.

K-Pop-Fans scheinen sogar für eingefleischte Kenner dieses koreanischsprachigen Musikstils noch Überraschungen parat zu haben: Erst kürzlich haben sie den US-Präsidenten glauben lassen, seine Kundgebung im Bundesstaat Oklahoma am 20. Juni werde so gut besucht, dass extra noch eine zweite Bühne aufgebaut werden musste. Ihre Taktik bestand darin, die Anwesenheitsliste mit falschen Namen zu fluten. Als Trump seine Rede in einem fast halbleeren Stadion hielt – die Außenbühne war inzwischen schnell wieder abgebaut worden – wurde deutlich, wie sehr K-Pop-Fans via Twitter und der Video-Sharing-App TikTok politisch Einfluss nehmen können.

Weltweit berichteten die Medien nach der gewaltsamen Tötung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd durch die Polizei über den sogenannten K-Pop-Vigilantismus. Die Fans, die sich hinter koreanischen Pop-Superstars wie der Boyband BTS, auch bekannt als die Bangtan Boys, zusammenschlossen, spendeten Anfang Juni nicht nur Millionen Euro an Black Lives Matter (BLM), sondern haben seitdem auch Polizei-Apps, die sich mit Fancams gegen BLM-Demonstranten richteten, oder rassistische Hashtags wie #WhiteLivesMatter gekapert.

Bislang beschränkte sich die mediale Berichterstattung auf die harten Wettbewerbsbedingungen innerhalb der K-Pop-Szene. Anlass waren die Selbstmorde einiger ihrer Stars Ende 2019. Ein Grund dafür war auch das Online-Mobbing durch einige Fans.     


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    Cha In Ha

    Die Musik aus Südkorea hat weltweit Millionen von Fans, ist einer der größten Export-Hits des Landes. Für die vielen Bands bedeutet das aber auch einen harten Konkurrenzkampf. Vor wenigen Wochen erst wurden die K-Pop-Sängerinnen Goo Hara von der Girlband Kara und Sulli von f(x) tot aufgefunden. Mit dem Tod von Schauspieler und Sänger Cha In Ha (Bild) wurde der K-Pop nun erneut erschüttert.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    BTS (Bangtan Boys)

    Die Gruppe BTS ist derzeit unangefochtener Spitzenreiter im K-Pop-Kosmos. Im Ranking “Social 50” der US-Wochenzeitung Billboard, das die weltweite Popularität von Künstlern in sozialen Netzwerken misst, belegen sie seit Jahren Platz 1; bei YouTube und TikTok haben sie Rekorde gebrochen. Vor kurzem hatte die international erfolgreiche Band eine Pause eingelegt – um neue Energie zu tanken.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    EXO

    EXO landen im “Social 50”-Ranking von Billboard gleich hinter BTS. Sie teilen sich auf in EXO-M (Mandarin) für den chinesischen Markt und EXO-K für den koreanischen. 2014 reichten zwei Bandmitglieder Klage ein. Kris Wu und Luhan warfen SM Entertainment vor, sie ungerecht zu behandeln und mit ihren Methoden gesundheitliche Probleme bei ihnen hervorgerufen zu haben. Das Label wies das zurück.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    GOT7

    Großer Publikums-Liebling am K-Pop-Himmel sind ebenfalls GOT7. 2014 eroberte die siebenköpfige Boyband die Charts im Sturm, landete mit ihrem ersten Album “Got It?” sogar auf Platz 1 der Billboard World Albums Chart; weitere Top-Platzierungen folgten. Sowohl auf den Bühnen der Welt als auch in den Sozialen Netzwerken wissen die Jungs ihre – vor allem weiblichen – Fans zu begeistern.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    Blackpink

    Die vier Frauen von Blackpink gehen mit ihrer Musik nicht nur in ihrer Heimat Korea durch die Decke, sondern sind derzeit sogar die gefragteste Girlband der Welt. Ihre Single “Kill This Love” knackte einen YouTube-Rekord: Binnen 24 Stunden wurde sie knapp 60 Millionen Mal geklickt. Bei der Vermarktung der Gruppe folgt das Label YG Entertainment ganz offensichtlich dem Motto “sex sells”.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    Stray Kids

    Stray Kids wurden 2017 in einer gleichnamigen Reality-Show gecastet und spielen im K-Pop-Geschäft längst ganz oben mit. Bei ihrer Europatournee im Sommer traten sie auch vor Tausenden von Zuschauern in Berlin auf. Ende Oktober wurde bekannt, dass Bandmitglied Woojin die Gruppe aus “persönlichen Gründen” verlässt. Das Management entschuldigte sich bei den Fans für “eventuelle Unannehmlichkeiten”.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    MONSTA X

    Auch MONSTA X wurden im Fernsehen bei einer Ausscheidungsshow gecastet und sind seit ihrer Gründung 2015 bereits um ein Mitglied geschrumpft. Laut Medienberichten soll Wonho Schulden haben. Das Label Starship Entertainement teilte daher mit, die Band mache fortan zu sechst weiter, damit die jüngsten Ereignisse nicht von “all den aufregenden Dingen”, die MONSTA X erleben, ablenkten.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    NCT

    NCT (Neo Culture Technology) bestehen aus 21 Mitgliedern, die sich in vier Untergruppen gliedern – eine übliche Praxis im K-Pop, um die verschiedenen asiatischen Musikmärkte gezielter anzusprechen. Besonders erfolgreich sind derzeit NCT 127. Sie durften in diesem Jahr als erste K-Pop-Gruppe bei der berühmten Macy’s Thanksgiving Day Parade (Bild) in New York auftreten.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    Seventeen

    Die 13-köpfige Boygroup Seventeen hat drei Untergruppen, die jeweils auf Rap und HipHop, Gesang und Choreografie spezialisiert sind. Außergewöhnlich ist, dass sie an der Produktion von Musik und Tänzen stark beteiligt sind. Erst kürzlich teilten Seventeen mit, dass Mitglied S. Coups vorerst pausiere. Sie sprachen von gesundheitlichen Problemen und Angstzuständen und baten die Fans um Verständnis.


  • Diese K-Pop-Gruppen sollte man kennen

    Big Bang

    2012 standen Big Bang, eine der erfolgreichsten K-Pop-Bands überhaupt, noch zu fünft auf der Bühne (Bild). Inzwischen ist auch diese Gruppe um ein Mitglied geschrumpft: Seit März wird gegen Lee Seung-hyun, besser bekannt unter dem Künstlernamen Seungri, ermittelt, weil er Teil eines Prostitutionsrings gewesen sein soll. Daraufhin beendete er seine Karriere. Der Prozess steht noch aus.

    Autorin/Autor: Bettina Baumann


Multikulturell und multiethnisch

Im augenblicklichen Hype um den K-Pop-Aktivismus berichten einige allgemein von Anhängern, die – zumindest in Südkorea – dazu neigen, sich von der Politik fernzuhalten. Sie werden “Stans” genannt, ein aus “Stalker” und “Fan” zusammengesetzter Begriff.

Laut Hye Jin Lee, Kommunikationsforscherin der University of Southern California, stammen die jüngsten politischen Interventionen weitgehend von K-Pop-Fans aus den USA. Dass sie für Black Lives Matter und gegen den weißen Nationalismus gekämpft haben, überrasche sie nicht, sagt Lee. “Es gibt eine große Überschneidung zwischen den demografischen Merkmalen der BLM-Bewegung und dem amerikanischen K-Pop-Fantum”, sagt sie im Interview mit der DW. “Beide sind multiethnisch, multikulturell und generationenübergreifend”, erklärt sie. Und beide seien vor allem von jungen Leuten getragen.

Amerikanische K-Pop-Fans identifizieren sich mit einer Pop-Kultur, die sich weitestgehend vom dominierten Mainstream der Weißen unterscheidet. “Sie sind offener für kulturelle Unterschiede und haben progressive Werte”, sagt Lee. 

In dem Bemühen, eine asiatische Pop-Subkultur zu “schützen und zu fördern”, die aufgrund “imperialistischer, rassistischer und sexistischer Ideologien” marginalisiert bleibe, habe das K-Pop-Fanwesen bereits eine längere Geschichte des politischen Aktivismus im Netz, erklärt Lee. Dieses Engagement reiche von Petitionen und der Organisation von Wohltätigkeitsveranstaltungen über die Bekämpfung von Journalisten, die K-Pop-Stars falsch darstellten, bis hin zum Kauf von Werbeflächen in den Medien, um ihre Idole zu unterstützen.

Anhaltender Kampf von Black Lives Matter und anderer Bewegungen

Anzunehmen, dass diese Fans von Bands wie BTS motiviert wurden, sei ein Irrtum, sagt Lee. BTS hatte eine Million Dollar an BLM gespendet, bevor ihr Fan “Army” den Betrag über ihre #MatchAMillion-Kampagne mehr als ausgeglichen hatte.

“Die gegenwärtige politische Mobilisierung der K-Pop-Fans kann als eine Erweiterung ihres Kampfes gegen Orientalismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie gesehen werden”, so die Kommunikationsforscherin. “Um K-Pop in den USA akzeptabel und populär zu machen.”

BTS ist der größte Act im K-Pop, der die Charts in den USA und Europa anführt. Die Band gilt als tweet-würdiger als Donald Trump – die DW berichtete. Während sich BTS zwar zu einigen sozialen Themen wie psychischer Gesundheit und wirtschaftlicher Ungleichheit äußerte, hätten sie ihre Plattformen aber “nicht dazu benutzt, ihre Fans zu drängen, politisch aktiv zu werden oder gegen die Vorherrschaft der Weißen zu kämpfen”, sagt Lee. Sie glaubt, dass die Erklärung von BTS zur Unterstützung von BLM “überhaupt nicht politisch” sei.

Darüber hinaus haben die Band und ihre “Army” seit 2017 philanthropische Kampagnen gefördert, darunter UNICEFs #ENDviolence , und sie unterstützen syrische Flüchtlinge.    

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Hype um die Bangtan Boys in Berlin

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Hype um die Bangtan Boys in Berlin

Es gibt gute Gründe für die politische Zurückhaltung des K-Pop. “Wenn K-Pop zu politisch aufgeladen wird, werden sich viele Fans abwenden oder bekommen weniger Unterstützung in ihrem Fan-Dasein seitens der Eltern”, sagt Roald Maliangkay, außerordentlicher Professor am “College of Asia and the Pacific” der Australian National University in Canberra.

Wirtschaft vor Politik

Was er ein “glattes, unternehmerisches” und “hochindustrialisiertes” K-Pop-Business nennt, agiert letztlich im Sinne der Gewinnmaximierung. “K-Pop-Künstler kontrollieren natürlich nicht, wie ihre Arbeit politisch interpretiert wird, aber je stärker das der Fall ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Ticket-Preise sinken”, sagt Maliangkay der DW. “Weil K-Pop stark von Live-Auftritten und gewinnorientiertem Sponsoring abhängig ist, müssen die Künstler und deren Agenten konservativ agieren.”

Tatsächlich haben laut einem Reuters-Bericht BTS-Fans in Südkorea Kollegen davor gewarnt, sich zu sehr in die US-Politik einzumischen. Der augenblickliche K-Pop-Aktivismus weist auf ein einzigartiges Phänomen hin, gelenkt von einer großen und mächtigen Fan-Basis, die unterschiedlich motiviert ist: eine Antwort auf Rassismus, aber einfach auch die “Freude über eine Zahl Gleichgesinnter und deren Vermögen, als Einheit aufzutreten”, sagt Maliangkay.

Doch ohne die ausgesprochene Unterstützung ihrer Idole, wird diese Fan-geleitete Bewegung ihren Antrieb verlieren. “Sie werden vermeiden, ihre Arbeit zu sehr zu politisieren”, sagt Maliangkay über die Stars. “Und ich nehme an, dass ihre Agenturen und viele ihrer Fans das ohnehin nicht von ihnen wollten.”

Viele K-Pop-“Stans” sind verrückt nach ihren Idolen – und bereit, einiges für sie zu tun.

In den USA zumindest ist eine andere Art der “K-Pop-Stans” in Erscheinung getreten. Angespornt werden sie von ihrem eigenen anhaltenden Kampf gegen Orientalismus und weiße Vorherrschaft. Das könnte Trump ein Dorn im Auge sein, während seiner Vorbereitungen auf das Rennen um die Präsidentschaftswahl im November.