Helfen – Gedanken zu der Geschichte vom Barmherzigen Samaritaner

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Viele fragen sich zuerst, was für sie heraus springt. In Zeiten von Corona und Black-lives-matter und überhaupt muss es aber mehr um die andere Frage gehen: Für wen kann ich einspringen?

Interview

Journalist: Sie sind der Mann, der damals unter die Räuber fiel. Was war passiert?

Mann: Es war ein ganz normaler Tag. Ich war früh aufgestanden und noch vor dem Morgengrauen von zu Hause aufgebrochen. Wissen Sie, ich hatte in Jericho ein kleines Unternehmen, Oliven und Wein. Mein Ochsenwagen war kaputt, und ich musste Ersatzteile in Jerusalem besorgen. Zu Fuß sind das fünf Stunden durch die Judäische Wüste. Ich wollte die Mittagshitze vermeiden und noch am Vormittag in der Stadt sein.

J.: Dann kamen die Räuber.

M.: Räuber klingt nach Märchen. Bei mir war das hart real. Hinter einer Biegung sah ich, wie ein Mann mit einer roten Stirnbinde schnell hinter einem Geröllhaufen verschwand. Ich dachte mir erst nichts dabei und ging weiter. Dann tauchten drei Männer hinter den Felsen auf, und rannten auf mich los. Der mit dem Stirnband würgte mich von hinten, die anderen schlugen sofort zu, in den Bauch, an die Nieren, ins Gesicht. Ich schnappte nach Luft, fiel hin, zog meine Beine an, um mich zu schützen. Aber sie traten nach, immer wieder.

J.: Es gab keine Zeugen?

M.: Anscheinend nicht. Ich wollte nur noch, dass es vorbei ist. Ich spürte noch einen Tritt gegen die Rippen, dann hörte ich, wie sie davonrannten.

J.: Ihre Tasche war weg.

M.: Mit meinem ganzen Geld. Sie hatten sogar meine Kleider mitgenommen, einen neuen Umhang und meine guten Sandalen. Aber das merkte ich erst viel später als ich wieder richtig zu mir gekommen war. Kleider machen Leute. Damit war es vorbei.

J.: Es kam dann einer vorbei, der ihnen half.

M.: Ja, aber das war Stunden später. Ich lag halbtot im Staub. Die Sonne brannte vom Himmel.  Fliegen summten um meinen Kopf. Mir war übel und ich konnte mich nicht bewegen. Irgendwann hörte ich Schritte im Sand. Irgendeiner kam näher, stand an meiner Seite und dann lief er schnell weiter. 

J.: Der Mann ging wieder weg?

M.: Unglaublich, oder? Ich dachte, Halt, bleib hier, wo willst du hin? Rufen konnte ich nicht. Ich brachte nur ein Stöhnen heraus. Aber ja: der Mann war weiter gegangen. Das passierte dann noch einmal.

J.: Sie sagen, zwei Männer kamen vorbei, sahen, wie Sie da halbtot liegen und sie halfen nicht? Wie kann das sein?

M.: Die beiden waren Tempel-Leute.

J.: Wie meinen sie das?

M.: Sie arbeiteten am Jerusalemer Tempel. Ich erkannte sie an ihren Gewändern. Der eine war ein Priester und der andere ein Tempeldiener…

J .: … der sich darum kümmert, dass die Öllampen in den Gottesdiensten brennen und dass alles   schön sauber ist. – Ausgerechnet die beiden frommen Männer haben jede Hilfe unterlassen?

M.: Ich habe mir später sagen lassen, dass das für sie nur korrekt war.

J.: Das müssen Sie erklären.

M.: Na ja, einen Verwundeten anfassen und mit Blut in Berührung kommen, das geht für die Tempelangestellten nicht. Sonst können sie zwei Wochen lang nicht ihren Dienst im Gottesdienst versehen. Kultische Vorschriften.

J.: Und dann?

M.: Dann kam einer, der half mir. Er hatte kräftige Arme, und er verstand etwas von Erster Hilfe. Er goss Wundöl auf meine Verletzungen, tastete meine Seite ab, verband mich. Und gab mir zu trinken!

J.: Und Sie waren heilfroh!

M.: Ja. Aber ich spürte auch, wie ich jede Kontrolle verloren hatte. Der hätte alles mit mir machen können.

J.: Er hat Ihnen geholfen.

M.: Allerdings. Und zwar unaufdringlich, handfest, ohne mich zu betüddeln, und großzügig. Er brachte mich in eine Herberge, blieb in der Nacht an meiner Seite und am Morgen zog er weiter. Dem Wirt gab er zwei Silbergroschen für meine weitere Pflege und sagte: Pflege ihn, und wenn du mehr ausgibst, will ich`s dir bezahlen, wenn ich wieder vorbeikomme.

J.: Was hat diese Sache mit Ihnen gemacht?

M.: Gute Frage. Es waren zwei Dinge. Zum einen: Ich machte fortan einen Umweg zwischen Jericho und Jerusalem, damit ich nicht ständig an dieser Stelle vorbei musste. Ich hatte Angst, dass ich wieder aus dem Nichts angegriffen werde.

J.: Und das andere?

M.: Wussten Sie, dass dieser Mann, der mir half, Ausländer war? Samaritaner! Mit diesen Leuten aus der Provinz Samarien reden wir normalerweise nicht. Wir sprechen zwar dieselbe Sprache, leben aber in völlig anderen Welten. Wenn die ganze Sache eine gute Seite hatte, dann dies: Dass ich meine Vorurteile über Bord warf. Dieser Mann begegnete mir auf Augenhöhe, gerade, als ich am Boden war. Er war um Längen klüger, größer und weitherziger als ich es je war.

J.: Und Ihre Meinung zu den religiösen Leuten?

M.: Sie meinen den Priester und den Tempeldiener? Klar, die haben versagt. Aber der Samaritaner war auf seine Weise auch religiös, wenn Sie mich fragen. In einem Gebet in der Bibel steht, Gott verbindet alle Wunden (Psalm 147,3). Und da hat er ausgerechnet diesen Samaritaner geschickt. Und noch mehr geheilt als meine Wunden.

J.: Danke für das Gespräch. 

 

Pfarrer Ralph Frieling