Weltweit wachsen Berge von Elektroschrott

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Immer mehr Elektrogeräte landen auf dem Müll und mit ihnen wertvolle Rohstoffe – ein riesiges Problem für Umwelt und Klima. Bisherige Recycling-Lösungen reichen nicht. Um das Problem zu lösen, muss man ganz neu denken.

Nimmt man eine Weltkarte zur Hand und färbt die Regionen ein, in denen besonders viel Elektroschrott pro Kopf produziert wird, dann wird es dunkel in Europa, in Nordamerika, in Australien und Neuseeland. Auf einen US-Amerikaner fielen im letzten Jahr im Schnitt etwas mehr als 19 Kilogramm Elektroschrott, auf einen Deutschen knapp 23 und auf einen Norweger mehr als 28 Kilogramm.

2019 verursachten alle Menschen weltweit über 53 Millionen Tonnen Elektroschrott, bestehend aus alten Handys, PCs, Kühlschränken oder Fotovoltaikanlagen. Ein Gewicht, das 5300 Eifeltürmen entspricht. Das zeigt die neueste Studie zu Elektroschrott (Global E-Waste Monitor 2020), die unter anderem von der Universität der Vereinten Nationen erstellt wurde. 

Auch wenn die Besitzer ihre Geräte los werden wollen – wertlos sind sie trotzdem nicht. In den Eingeweiden finden sich häufig Materialien wie Gold, Silber, Platin, Kupfer, Eisen oder seltenen Erden – mit einem geschätzten Wert von 57 Milliarden Dollar.

Auf den ersten Blick Elektromüll – auf den zweiten ein Haufen wertvoller Inhaltsstoffe

Unzureichendes Recycling schädigt Gesundheit, Umwelt und Klima

Trotzdem wurden im vergangenen Jahr weniger als ein Fünftel dieses Müllberges eingesammelt und recycelt. Der Rest landete irgendwo anders. Zum Teil im normalen Haushaltsmüll, wo er dann deponiert oder verbrannt wird. Zum Teil in den Händen von Händlern, die alte Geräte wieder fit machen und in Ländern verkaufen, die ein mittleres oder niedriges Einkommensniveau haben.

Eine beträchtliche Menge an Elektroschrott (zwischen sieben und 20 Prozent) wird aber illegal oder unter dem Deckmantel der Wiederverwendung oder unter dem Vorwand, es handele sich um Schrott, exportiert. Die alten Geräte enden dann auf Müllhalden oder wilden Deponien in Osteuropa, Asien oder Afrika. Dort werden sie dann häufig auseinandergenommen und verbrannt – und zwar mit bloßen Händen, ohne jeglichen Arbeitsschutzmaßnahmen.

Letzteres ist für die Gesundheit der Menschen sowie für Umwelt und Klima verheerend. Denn neben den wertvollen Materialen enthalten alte Elektrogeräte auch hochgiftige und umweltschädigende Substanzen. Insgesamt enthält der globale Elektroschrottberg allein rund 50 Tonnen Quecksilber, 71.000 Tonnen bromierte Flammschutzmittel und 98 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, so die Studie.

Beim Ausschlachten der Elektrogeräte entstehen giftige Dämpfe. Arbeitsschutz gibt es auf dieser Müllkippen in Ghana nicht

Der Elektromüllberg wird weiter wachsen

Von allen Müllbergen der Welt wachsen die mit Elektroschrott am schnellsten. “Die Menge an Elektroschrott ist in den letzten fünf Jahren drei mal schneller gewachsen als die Weltbevölkerung und 13 Prozent schneller als das Bruttoinlandsprodukt aller Staaten”, beklagt Antonis Mavropoulos, Präsident der International Solid Waste Association.

“Wir sehen eine wachsende Mittelschicht in vielen Ländern der Welt, die vor einigen Jahren noch wirklich typische Entwicklungsländer waren. Und hier gibt es einen sehr großen Nachholbedarf”, erklärt Rüdiger Kühr. Er ist Mitautor des Global E-Waste Monitor 2019 und Direktor des Programmes für nachhaltige Kreisläufe an der Universität der Vereinten Nationen in Europa.

Außerdem würden immer mehr Geräte elektrifiziert, so Kühr. Das reicht von Autos über Fahrräder bis zu Gesellschaftsspielen. Und immer leistungsfähigere Smartphones und Computer drängen in immer kürzeren Abständen alte Geräte vom Markt. Dadurch könnte die globale Elektromüllmenge bis 2030 auf über 74 Millionen Tonnen anwachsen, wird im Global E-Waste Monitor geschätzt.

Bewusstsein bei Verbrauchern fehlt

Für Umwelt und Klima und für die Gesundheit vieler Menschen droht ein Desaster. Dabei müsste das nicht so sein. “Die Recycler könnten einer Recyclingquote von nahezu 100 Prozent nahekommen”, sagt Kühr. Trotzdem wurde selbst in Europa, wo man 2019 eigentlich 65 Prozent der Elektroschrottes einsammeln wollte, tatsächlich nur gut 42 Prozent recycelt.

In Deutschland beispielsweise wird Elektroschrott nicht eingesammelt, sondern muss vom Verbraucher zu Sammelstellen gebracht werden. Wird da zu viel Eigeninitiative erwartet? Kühr vermutet, den Verbrauchern fehle ganz einfach das Bewusstsein, dass er seinen Elektroschrott gesondert entsorgen sollte. Vieles verschwinde einfach in Schubladen, auf dem Dachboden oder lande einfach im normalen Hausmüll.

Ganz neue Kreislaufsysteme nötig

“Man muss sich neue Wirtschaftssysteme überlegen”, sagt Kühr. Ein Ansatz könne sein, dass die Verbraucher nicht mehr die Produkte selber kaufen, sondern nur den Service, den das Produkt liefert. Das Gerät bliebe Eigentum des Herstellers. Der hätte damit das Interesse, seinen Kunden den besten Service und die dafür nötigen Geräte zu bieten, also auch Innovationen weiter voranzutreiben. Er hätte aber ebenso das Interesse, seine Produkte viel geschickter zu designen, so dass sie besser zu reparieren und auch besser zu recyceln sind, so Kühr.

Solche Angebote gibt es bereits. So werden beispielsweise Mobiltelefone oder auch Kopiergeräte den Verbrauchern zur Verfügung gestellt und auch wieder zurückgenommen, wenn der Verbraucher einen anderen Service möchte.

Recycling als Produktwerbung

Außerdem fordert Kühr: “Wir sollten viel aktiver einfordern, dass die Unternehmen angeben, wie ökologisch ihre Produkte sind, wie hoch die Recyclingquote ihrer Geräte sind, inwieweit das Material, das für neue Produkte genutzt wird, recycelt wurde und ähnliches.” Diese Hintergrundinformation könne man zwar irgendwo bekommen, sie würden bislang aber nicht als Verkaufsargumente genutzt.

“Ich finde es erstaunlich, gerade in der Klimawandel-Diskussion, in der auch der Automobilsektor oder die Luftfahrtindustrie mittlerweile mit klimafreundlichen Initiativen werben, dass so etwas in der elektronischen und elektrischen Industrie überhaupt kein Thema ist”, so Kühr.