Wirecard: Ohne Vertrauen kein Geld

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Was machen Zahlungsdienstleister wie Wirecard eigentlich genau? Der Blick auf das Geschäftsmodell zeigt, warum der Bilanzskandal in die Pleite führen musste.

Eine fehlende Jahresbilanz, verschwundene Milliarden, ein verhafteter Ex-Chef und ein Ex-Vorstand auf der Flucht – das, was gerade bei Wirecard passiert, wäre für jedes Unternehmen ein schwerer Schlag. Für Wirecard aber ist es eine Katastrophe, weil sein ganzes Geschäftsmodell auf Vertrauen basiert. Vertrauen, das nun zerstört ist.

Dass Wirecard nun beim Amtsgericht München wegen “drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung” einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren stellen muss, war daher absehbar, wenn man auf das Geschäftsmodell blickt.

“Das Geschäft von Wirecard ist die Abwicklung von Zahlungen im Händlerauftrag”, sagt Jochen Stanzl, Chefanalyst beim Online-Broker CMC Markets, im DW-Gespräch. “Gleichzeitig minimiert Wirecard durch Ausfallversicherungen das Risiko für Händler, dass Kunden nicht zahlen.”

Für dieses Geschäft braucht es neben der IT-Infrastruktur vor allem Liquidität und das Vertrauen der Kunden. Die vertrauen Wirecard schließlich ihre Einnahmen an, vom kleinen Laden bis zum Supermarktriesen Aldi.

“Ein börsennotiertes Unternehmen im Finanzsektor darf einfach nicht an seiner Bilanz herumspielen”, sagt Stanzl. “Und schon gar nicht, wenn es solche Transaktionen macht.”

Abwickler im Hintergrund

Selbst im immer noch Bargeld-fixierten Deutschland gehört es für Läden inzwischen zum guten Ton, Kunden verschiedene Zahlungsmöglichkeiten zu bieten – neben der Girocard sind das meist die Kreditkarten Visa und Mastercard. Der Kontakt zwischen Händler und Kreditkartengesellschaften findet dabei nicht direkt, sondern über Dienstleister wie Wirecard statt.

“Wirecard geht auf Unternehmen zu und sagt: Wollen Sie nicht auch Kreditkarten akzeptieren?”, erläutert Ernst Stahl, Leiter des Kompetenzzentrums für digitalen Handel und Zahlungsmethoden am ibi-Institut an der Universität Regensburg. Dann schließt das Unternehmen mit Wirecard einen sogenannten Akzeptanzvertrag. Weil sich Wirecard und seine Wettbewerber also um die Akquise von Geschäften kümmern, die Kreditkarten akzeptieren, werden sie im Branchenjargon auch “Acquirer” genannt. Voraussetzung für diese Geschäfte ist eine Banklizenz.

Wirecard oder andere Acquirer erledigen dann im Hintergrund die gesamte technische Abwicklung des Zahlungsvorgangs, beginnend mit dem Moment, in dem ein Kunde seine Karte in das Terminal an der Kasse steckt. “Wirecard prüft dann: Ist die Karte gültig? Kann das Geld abgebucht werden? Dafür nimmt es Kontakt auf zur Kreditkartengesellschaft und zur Bank, die die Karte ausgegeben hat”, erläutert Analyst Stanzl.

Läuft alles glatt, wird das Geld über Wirecard an den Laden ausgezahlt. Gibt es ein Problem, etwa ein Betrug mit gefälschter Karte, greift zur Not die Ausfallversicherung.

Markus Braun war seit 2002 Chef von Wirecard. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Marktmanipulation

Leo Lipis, Gründer einer auf Zahlungssysteme spezialisierten Beratungsfirma in Berlin, glaubt nicht, dass Kundenzahlungen durch die Probleme bei Wirecard gefährdet sind. “Es gibt Sicherungssysteme für die Konten der Händler”, sagte Lipis am Tag vor der Insolvenz der DW. “Außerdem bleiben die Zahlungen ja immer nur sehr kurz bei Wirecard und werden innerhalb weniger Tage an die Händler weitergeleitet.” 

Alles Nichts ohne Internet

Durch das Internet hat die Bedeutung bargeldloser Zahlungsverfahren dramatisch zugenommen. Wirecards Vorgänger, die InfoGenie AG, wickelte ab dem Jahr 2000 vor allem Zahlungen für Online-Pornografie und Glücksspiel ab, zwei Geschäftsfelder, die bei der kommerziellen Entwicklung des Internet eine Vorreiterrolle spielten.

Heute bietet fast jeder Online-Händler seinen Kunden gleich einen ganzen Strauß von Zahlungsmöglichkeiten an. In Europa gehören neben Lastschrift, Überweisung und diversen Kreditkarten meist Dienste wie Paypal oder die Zahldienste von Amazon, Apple und Google dazu, auf anderen Kontinenten gibt es weitere Möglichkeiten.

Auch hier spielen Acquirer wie Wirecard eine Rolle. Auf seiner Webseite umwirbt Wirecard Händler mit dem Angebot, “Zugang zu über 200 Zahlungsnetzwerken” zu ermöglichen. “Wählen Sie selbst, welche Zahlfunktionen Sie anbieten wollen und konfigurieren Sie so eine maßgeschneiderte Lösung”, heißt es dort weiter.

Was ist mit Paypal, Apple Pay und den anderen?

Auch wenn kleine Online-Shops nur ein Konto bei Paypal oder einem anderen Dienst haben und von Wirecard noch nie etwas gehört haben, kann das Unternehmen bei der Zahlungsabwicklung beteiligt sein, sagt Stanzl. “Paypal sammelt die Transaktionen vieler kleiner Händler, aggregiert diese und leitet sie an Acquirer wie Wirecard weiter.” Im Fachjargon werden Dienste wie Paypal oder Amazon Pay daher auch als Aggregatoren, also Ansammler bezeichnet.

Alle Beteiligten – Acquirer, Aggregatoren und normale Banken, die auch noch mitmischen – leben von den Gebühren, die dabei für sie abfallen. Weil der Wettbewerb nicht zuletzt über die Gebühren geführt, sind die Margen in diesem Geschäft gering. Größe wird daher zunehmend wichtig.

“Im Moment sehen wir auf diesem Markt eine starke Konsolidierung, es wird also viel aufgekauft und fusioniert”, sagt Ernst Stahl von der Uni Regensburg im DW-Gespräch.

Fusionsfieber

Eine global dominierende Firma gibt es noch nicht, auch wegen der regional sehr unterschiedlichen Regulierung. “In Europa gehört Worldline sicher zu den Großen”, sagt Stahl.

Das französische Unternehmen hat einen Jahresumsatz von rund 2,3 Milliarden Euro und will gerade seinen französischen Rivalen Ingenico schlucken. Zu den Großen in Europa gehört auch Nets aus Dänemark, das vor allem in Skandinavien aktiv war, bevor es 2018 die aus der deutschen Gesellschaft für Zahlungssysteme hervorgegangene Concardis GmbH übernahm. Der Umsatz von Adyen aus den Niederlanden ist zwar noch relativ gering, doch der Höhenflug der Aktie an der Amsterdamer Börse ist gewaltig, auch dank Kunden wie Zalando, Spotify und Ebay.

“Es gibt zwar noch ein paar Beteiligungen”, sagt Stahl, “aber es ist nicht mehr viel in deutscher Hand.”

Auch in China ist mobiles Bezahlen weit verbreitet – hier für ein U-Bahn-Ticket in Kunming im Süden des Landes

Noch einmal deutlich größer ist Fiserv aus den USA mit einem Jahresumsatz von zuletzt rund zehn Milliarden US-Dollar. Im vergangenen Jahr übernahm Fiserv den US-Konkurrenten First Data für rund 22 Milliarden Dollar.

Auch in Asien, insbesondere in China, spielen digitale Bezahlsysteme eine große Rolle. “Allerdings ist der asiatische Markt nicht sehr transparent”, so Stahl. Wirecard gab an, in Asien erfolgreich zu sein; ob das wirklich stimmte, ist derzeit fraglich.

Kunden auf der Flucht

Nach dem Insolvenzantrag von Wirecard ist noch unklar, ob auch sämtliche Unternehmensteile betroffen sind und wie das Geschäft weitergeführt werden kann. Sicher ist aber, dass sich Kunden schnell nach Alternativen umsehen. “Wenn der Zahlungsdienstleister nicht mehr da ist, können sie auch keine Zahlungen entgegennehmen”, sagt Stahl.

Das ist vor allem für jene Firmen ein Problem, die sich auf einen einzigen Dienstleister verlassen – und das sind viele, sagt Stahl. Größere Handelsfirmen hätten dagegen oft Verträge mit mehreren Acquirern.

Die anderen Acquirer werden jetzt alles tun, um die bisherigen Wirecard-Kunden unter Vertrag zu nehmen. Hier seien zwar noch technische Details zu beachten, sagt Stahl. “Doch wenn das alles optimal läuft, merken Endkunden davon überhaupt nichts.”