Es wäre sein 490. Bundesliga-Spiel und sicher nicht das schönste. Sollte Werder Bremen absteigen, dann liegt die Tragik des Claudio Pizarro auch darin, dies nicht verhindert zu haben. Falsches Ende einer großen Karriere.
Eigentlich soll man das nicht machen als Journalist. Man soll einen Spieler nicht hochleben lassen, ihn toll finden und selbst in schlechten Zeiten als Held ansehen. Es gibt allerdings einige wenige Fußball-Spieler, die einem die journalistische Distanz nahezu unmöglich machen. Weil sie erfolgreich sind, auch das. Oder weil sie mit ihrem Charme alle um den Finger wickeln. Claudio Pizarro ist so ein Kandidat, den man nicht nicht mögen kann. Guter Typ.
Ein Jahr zum Vergessen …
Und das liegt nicht nur daran, dass der 41-Jährige Mann aus Peru mit Bundesliga-Vereinen alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gab. Sechs deutsche Meisterschaften, sechs Pokalsiege und als Krönung – 2013 mit Bayern München – die Champions League. Er ist mit heute 41 Jahren der älteste Bundesliga-Torschütze. 189 Tore in der Liga, am Samstag dürfte sein 490. Bundesliga-Spiel folgen – im an sich aussichtslosen Abstiegskampf gegen den 1. FC Köln. Es ist eigentlich ein Jahr zum Vergessen für Pizarro. Doch dazu später mehr.
Ihr Held: Pizarro und die Bremer Fans
Im November 2010 war es, da traf die DW-Sportredaktion Pizarro in Bremen zum Interview – eines von vielen, das uns der Spieler gegeben hat. 287 Partien hatte er damals auf dem Konto – und auf die Frage, ob er den damals geltenden Rekord von 330 Spielen einstellen könne, sagte er – für seine Verhältnisse fast nachdenklich: “Ich hoffe …. versuchen wir…” Und lachte sein verschmitztes Lächeln. Wie gesagt: Das war 2010.
“Gute Pässe”
Nur Prince Charming? Von wegen! Pizarro: ein kompletter Spieler. Das hatte 1999 der damalige Bremer Geschäftsführer Jürgen Born erkannt, der den Peruaner für damals 1,6 Millionen D-Mark von Alianza Lima zu Werder lotste. Es folgten die Jahre im Sturm mit dem Brasilianer Ailton, und auf der Bank saß ein gewisser Thomas Schaaf und freute sich zusammen mit dem Rest der Hansestadt. Pizarro: ein kompletter Spieler. Torgefährlich, schnell und – “ich glaube, ich bin auch einer, der gute Pässe macht”, wie er der DW in jenem frühen Interview zu Protokoll gab. Das haben sie dann auch beim FC Bayern erkannt. Von 2001 bis 2007 und von 2012 bis 2015 spielte er für den Rekordmeister. Außerdem: Stationen beim 1. FC Köln und beim FC Chelsea – eher zu vernachlässigende Abstecher. Da hatte er sich mal verlaufen.
Pizarro 2001 im Werder-Trikot
Werder und Pizarro aber, das war eine besondere Geschichte. “Natürlich hätte Claudio etwas anderes verdient”, sagte sein aktueller Trainer Florian Kohfeldt schon vor einigen Wochen. Gemeint war damit: dieser verflixte Abstiegskampf, in dem den Bremern nichts mehr gelingen wollte. Gemeint war aber auch eine Saison, in der Pizarro wegen einer Oberschenkelverletzung nach dem Wiederanpfiff unter Corona-Bedingungen nicht mehr eingesetzt werden konnte. Und am Ende auch noch das: ein positiver Corona-Test bei der Tochter, Pizarro 14 Tage in Quarantäne.
Buffons “brother from another mother”
Als der Stürmer vor zwei Jahren zum fünften Mal an die Weser gewechselt war, hielten das sogar Wohlmeinende für einen PR-Gag. Doch es folgten weitere fünf Tore und etliche Momente, in denen Pizarro allein mit seiner Einwechslung für einen Ruck im Stadion sorgte. Die Fans liebten ihn ohnehin.
Aber zuletzt konnte er nicht mehr helfen. Mit 41 ist er zwar noch nicht so alt wie sein italienischer “brother from another mother”, Gianluigi Buffon (inzwischen 42), auch so ein Meister der locker dahingeworfenen Grinse-Geste. Aber auch Noch-So-Gute-Laune-Bären können nicht verhehlen, dass die beste Zeit eines Fußball-Profis dann doch begrenzt ist.
Willi Lemke träumt
Obwohl … Willi Lemke, noch so ein Bremer Original, hatte da zuletzt einen Traum: “Pizarro trifft für uns in der 90. Minute zum Sieg und Düsseldorf verliert bei Union Berlin.” Werder hätte sich in die Relegation gerettet – und Pizarro wäre einmal mehr der Held. Was man eben so träumt, als Fußball-Fan.
Was aber in jedem Fall bleibt: Claudio Pizarro ist der einzige Stürmer, der vier (!) Jahrzehnten getroffen hat. “Als ich angefangen habe, Fußball zu spielen, habe ich nie gedacht, einen Rekord zu brechen”, sagte er 2010. Und dann lachte er, als wollte er sagen: “Wir sprechen uns noch.”
Das haben wir dann auch gerne gemacht. Danke.