Fall George Floyd: US-Konzerne zeigen Flagge

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Nach dem Tod George Floyds solidarisieren sich viele US-Unternehmen mit den Demonstranten. Einige meinen es ernst mit ihren Bekundungen – andere tappen in die PR-Falle. Aus New York Sabrina Kessler.

Die Demonstrationen rund um den gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyd nehmen kein Ende. Zur Wochenmitte sind erneut Tausende Menschen in den USA auf die Straße gegangen, um gegen Polizeigewalt und Rassismus zu demonstrieren. Längst sind es nicht mehr nur Privatleute, die ihre Stimme für mehr Gerechtigkeit erheben. Auch viele US-Unternehmen solidarisieren sich mit den Demonstranten. 

“Rassismus ist nach wie vor die Wurzel von so viel Schmerz und Hässlichkeit in unserer Gesellschaft – von den Straßen von Minneapolis bis hin zu den Ungleichheiten, die durch COVID-19 verursacht werden”, schreibt Mark Mason, Finanzchef der Citi-Group, im unternehmenseigenen Blog. Der 50-Jährige ist einer von wenigen Schwarzen, die es an die Spitze eines globalen Unternehmens geschafft haben. Gerade einmal drei der 500 größten US-Unternehmen werden laut Boston Consulting von Afroamerikanern geführt. Auch Kenneth Frazier ist einer davon. Seit neun Jahren leitet der 65-jährige die Geschäfte des Pharmariesen Merck. “Unsere Gesellschaft ist gespaltener denn je”, sagt er im Interview mit CNBC.

Auch der Nike-Flagship-Store auf der 5th Ave in New York wurde geplündert.

Mason und Frazier sind nicht die einzigen US-Unternehmer, die dieser Tage Stellung beziehen. Die Liste derer, die sich seit dem Tod Floyds zu Wort melden, ist lang. Neben der Kaffee-Kette Starbucks, dem Vermögensverwalter Blackrock, dem Sportartikelhersteller Nike und der US-Großbank JP Morgan zählt auch der als konservativ geltende Disney-Konzern zu den Unterstützern der Proteste. “Wir stehen an der Seite unserer schwarzen Mitarbeiter, Geschichtenschreiber, Künstler und der gesamten schwarzen Gemeinschaft”, lässt das Unternehmen mitteilen. “Wir müssen zusammenstehen und unsere Stimme erheben.”

Wenn der Twitter-Vogel schwarz trägt

Auch der Schuh-Hersteller Reebok, das soziale Netzwerk Twitter und der Streamingdienst Netflix zeigen Flagge. Twitter änderte die Farbe seines Logos von blau auf schwarz, darunter der Slogan #blacklivesmatter. Netflix schreibt: “Still zu bleiben heißt, Komplize zu sein”; dazu die Bekundung, dass man den schwarzen Mitarbeitern gegenüber verpflichtet sei, Position zu beziehen. Reebok wiederum appellierte gar direkt an die eigenen Kunden. “Wir rufen euch nicht dazu auf, unsere Schuhe zu kaufen”, schreibt das Unternehmen auf Twitter. “Wir rufen euch dazu auf, dass ihr in denen anderer lauft.”

Zuvor schon hatte der Sportartikelhersteller, der zum deutschen Adidas-Konzern gehört, klar Stellung bezogen.

Den unzähligen Solidaritätsbekundungen folgen vielerorts unternehmensinterne Konsequenzen. Grindr etwa, eine vor allem bei homosexuellen Männern beliebte Dating-App, hat im Zuge der Proteste den Filter Hautfarbe gelöscht. Der Autobauer General Motors dagegen verpflichtet sich nun, bis Quartalsende einen Inklusions-Beirat aus eigenen Mitarbeitern und Außenstehenden zu bilden, der Vielfalt im Unternehmen fördere. Der Videospiel-Konzern Activision wiederum verschob die Veröffentlichung neuer Spielinhalte für den Ego-Shooter Call of Duty, auf die derzeit mehr als 100 Millionen Fans warten, auf unbestimmte Zeit. Und beim Plattenkonzern Universal Music soll jetzt eine interne Task-Force nach Schwachstellen suchen, die Ungleichheit im Unternehmen fördern.

Polizisten sichern einen Foot-Locker-Laden in Manhattan

Dass sich derzeit so viele US-Unternehmen in die Diskussion um Rassismus und Polizeigewalt einmischen, habe einen Grund, sagt Wendy Melillo. Die Journalismus-Professorin an der American University in Washington forscht seit Jahren zu strategischer Kommunikation. Nicht nur zahle es positiv auf das Unternehmensimage ein, sich gegen Ungerechtigkeiten zu erheben. Viele Kunden erwarteten heutzutage schlicht soziale Verantwortung von Firmen, bei denen sie kaufen.

Verantwortung als Teil der Unternehmensstrategie

“In der amerikanischen Gesellschaft sehen wir gerade eine wichtige Veränderung”, sagt Melillo, die damit vor allem die jüngeren Verbraucher meint. Ein Großteil der Demonstranten zähle zur Gruppe der Millenials. Sie seien es hauptsächlich, die ein ausgeprägtes Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit hätten. Unternehmen wie Kellogg’s oder Apple veröffentlichten deshalb schon seit Jahren zusätzlich zur Firmenbilanz Berichte zur unternehmerischen Verantwortung. “Die meisten Konzerne haben längst eine Strategie entwickelt, wie man die Bedürfnisse der Kunden dahingehend befriedigt.”

Die derzeitige Situation zeige aber auch: nicht immer kommen die vermeintlichen Solidarisierungsversuche der Konzerne gut an. Louis Vuitton-Chef Virgil Abloh etwa spendete im Zuge der Proteste lediglich 50 Dollar an eine Organisation gegen Rassismus – und erntete dafür einen heftigen Shit-Storm. Auf den sozialen Kanälen des Modekonzerns wiederum: lange Zeit kein einziges Wort zu den Geschehnissen. Auch die Kaufhauskette Nordstrom, die selbst von den Plünderungen der letzten Tage betroffen ist, habe sich nach Meinung von Melillo ziemlich in die Nesseln gesetzt.

“Nordstrom hat ein ziemlich vages Statement veröffentlicht, in dem es heißt, man werde weiter Gespräche über rassistische Ungerechtigkeit führen”, sagt die Kommunikationsexpertin. “Wo bleibt da der Aktionismus, der Wille, wirklich was zu bewegen?” Viel zu lange schon sei über Rassismus diskutiert worden, ohne, dass sich die Gesellschaft verändert habe. Die Unternehmen, die wirklich einen Fußabdruck hinterlassen wollen, müssten jetzt Taten folgen lassen.

Die Kaufhauskette Nordstrom geriet 2017 in die Schlagzeilen, als sie die Modelinie von Ivanka Trump aus ihrem Angebot nahm.

Mit Geld von der Verantwortung freikaufen?

Neben Worten lassen Amerikas Unternehmen derzeit vor allem ihren Geldbeutel sprechen. Die Bank of America etwa verkündete am Dienstag, in den kommenden vier Jahren eine Milliarde Dollar in die Hand nehmen zu wollen, um Schwarzen in ihren Gemeinden zu mehr Gesundheit, Selbstständigkeit, besseren Jobs und Wohnungen zu verhelfen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg wiederum sicherte zehn Millionen Dollar für Organisationen zu, die sich gegen Rassendiskriminierung stark machen. Die Beauty-Marke Sephora spendete mehr als eine Million Dollar an die Bürgerrechtsorganisation NAACP. Insgesamt 20 Millionen flossen allein aus der kalifornischen Tech-Szene.

Für Keni Thacker, der sich mit seinem Netzwerk 100 Roses from Concrete für die Belange von Schwarzen in der Werbe-, Marketing- und PR-Branche einsetzt, sind all das nur opportunistische Versuche großer Konzerne, auf den Zug der Entrüstung aufzuspringen – um am Ende davon zu profitieren. “All das Geld, die Kampagnen, die Mitleidsbekundungen werden die Gesellschaft nicht ändern können” sagt er. “Dafür ist es längst zu spät.” Seit Jahrhunderten sei Rassismus in den USA präsent. Kein Geld der Welt hätte daran bislang etwas ändern können. Schon immer würden Schwarze einfach aufs Abstellgleis geschoben, nicht respektiert. “Und plötzlich tun alle so, als würden sie sich um uns Sorgen machen”, sagt Thacker.

Allein ein Blick in die Vorstandsetagen dieser Welt verrate, wie scheinheilig die Diskussion sei. Statt proaktiv zu handeln, seien Amerikas Konzerne lediglich reaktiv. Immer erst müsse etwas passieren, bis Unternehmen und Menschen handeln. Schon allein deshalb hätten die Unternehmen Mitschuld an der Lage, wie sie derzeit sei. Jetzt hingegen wollten sich plötzlich viele mit ihren generösen Spenden profilieren. “Das ist doch alles nur ein PR-Stunt”, glaubt Thacker.

Es gebe allerdings auch positive Beispiele gelungener Solidarisierung, sagt wiederum Kommunikationsexpertin Melillo. Der Einzelhändler Target etwa oder der Sportartikelhersteller Nike, der seinen berühmten Slogan Just do it in For once, don’t do it abgeändert hat. Mehrfach schon habe Nike in der Vergangenheit Rassismus angeprangert. Auch Target stehe für mehr Gerechtigkeit ein. Beide Marken sind zwar zuletzt massiv Opfer von Plünderungen geworden, aber: “Standhaft zu bleiben, auch, wenn das eigene Geschäft darunter leidet: das ist authentisch.”