Weber: “Kosovo und Serbien brauchen ein nachhaltiges Friedensabkommen”

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Man braucht einen Rückkehr zum ursprünglichen Verhandlungsrahmen im politischen Dialog zwischen Kosovo und Serbien, sagt Bodo Weber. Europa soll da eine zentrale Rolle spielen.

DW: Der Bundesaußenminister und sein französischer Amtskollege haben in der letzten Woche einen gemeinsamen Artikel geschrieben, der zeitgleich in der kosovarischen Zeitung Koha und in der serbischen Zeitung Blic erschienen ist. Sie wollen den serbisch-kosovarischen Dialog wieder in Gang setzen. Sind die Bedingungen jetzt günstiger als vor einem Jahr, als das Gespräch im Kanzleramt gescheitert ist?

Bodo Weber: Zunächst einmal würde ich nicht sagen, dass der Mini-Gipfel im Kanzleramt im April vergangenen Jahr gescheitert ist. Er war erfolgreich in zweierlei Hinsicht: Erstens, die Führungsposition den politischen Kräften im Westen zu entreißen, die auf einen Gebietsaustausch drängten, und zweitens, Berlin und Paris zusammen zu bringen.

Die Bedingungen dafür sind heute sowohl besser als auch schlechter. Besser, weil bis zum Abgang von Frau Federica Mogherini und ihres Teams die Initiative für einen so gefährlichen Gebietstausch von der Spitze der EU-Institutionen in Brüssel kam. Diese Unterwanderung europäischen Prinzipien in den Kosovo-Serbien-Verhandlungen aus der EU heraus ist mit der Ernennung von Miroslav Lajcak als Sondergesandten Geschichte – auch wenn sich Mogherinis Nachfolger Josep Borrell bisher leider nicht als Aktivposten auf dem Weg zu einem tragfähigen finalen Abkommen erwiesen hat.

Schlechter, weil die Unterwanderung der Bemühungen zentraler Akteure wie Berlin heute nicht mehr vom Nationalen Sicherheitsberater der USA, sondern von einem Sondergesandten von Donald Trump ausgeht, und zentrale politische Akteure das für die Zukunft Kosovos als unabhängiger, demokratischer Staat in den bestehenden Grenzen gefährliche Agieren der Trump-Administration für ihre ganz eigenen, nationalen politischen Interessen missbrauchen.

Wenn Sie sagen dass Borrell bisher leider nicht als Aktivposten auf dem Weg zu einem tragfähigen finalen Abkommen erwiesen hat, was meinen Sie damit?

Damit meine ich Borrells kontinuierliche Weigerung, sich klar im Sinne einer europäischen Lösung für ein finales Abkommen zu positionieren, d.h. gegen jegliche Grenzänderungen oder Gebietstausch, was in seinem letzten Interview zu missverständlichen Formulierungen geführt hat, die im Kosovo und der Region den falschen Eindruck hinterlassen haben, als sei er oder die EU offen für ein Gebietsaustauschabkommen – was nicht der Fall ist.

Vucic (l), Mogherini (m) und Thaci in Brüssel (2018) – “Gefährlicher Irrweg eines Gebietstauschabkommens”

Sie nennen das Agieren der Trump-Administration “gefährlich”. Die Kosovaren selbst sind in dieser Frage eher gespalten. Manche vertrauen der USA mehr als der EU. Ist das falsch?

Wenn Politiker im Kosovo heute mit Verweis auf die ehemalige EU-Außenbeauftragte Mogherini den Vertrauensverlust in die EU beklagen, haben sie jedes Recht dazu. Allerdings gehört zu dieser Wahrheit auch, dass es EU-Mitgliedsstaaten, angeführt durch Deutschland waren, die dem 2018/19 dem Landswap-Deal entgegengestanden sind – und zwar sowohl gegen Frau Mogherini, als dann auch gegen die Trump-Administration. Und das Agieren des US-Sonderbeauftragten Richard Grenells beruht einerseits auf dem Untergraben dieser EU-Akteure, andererseits auf der Übernahme des Verhandlungsformats von Mogherini – mittels der Geheimverhandlungen mit den beiden Präsidenten Aleksandar Vucic und Hashim Thaci.

Die Unterstützung der USA und der Mehrheit der EU-Staaten für die Unabhängigkeit Kosovos 2008 geschah nicht aus irgendeiner besonderen Sympathie für die Kosovoalbaner heraus, sondern weil sie der Verteidigung des liberalen Weltordnung diente. Die Politik der heutigen US-Administration – auch im Kosovo- steht leider nicht mehr für diese traditionelle amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik. Aber ich bin mir sicher, dass die politischen Akteure im Kosovo, die heute öffentlich behaupten, dass sie den USA mehr vertrauen als der EU, sich dieser Zusammenhänge sehr wohl bewusst sind.

Wie geht es jetzt mit den Gesprächen weiter. Deutschland und Frankreich drängen – aber weder Kosovo noch Serbien scheinen vorbereitet zu sein?

In der Tat, Kosovo mit seiner Regierungskrise und Serbien, das kurz vor Parlamentswahlen steht, sind aktuell nicht bereit, kurzfristig an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und das abgesehen von der Frage, wann Reisen aus Prishtina und Belgrad zu Verhandlungen in Brüssel angesichts der Corona-bedingten Einschränkungen wieder möglich sein werden. Vor August dürfte daher eine Wiederaufnahme der Verhandlungen rein technisch schon nicht möglich sein.

Allerdings habe ich die Aufforderungen der beiden Außenminister, rasch an den Verhandlungstisch zurück zu kehren, nicht wörtlich genommen. Ich denke der Artikel zielte, auch im Erwartung der Lösung des Regierungsbildungskonflikts im Kosovo durch das Verfassungsgericht mit den verschiedenen potentiellen Optionen darauf ab, die Führungsrolle der EU, und darin das gemeinsame deutsch-französische Handeln zu untermauern. Der Artikel war vor allem eine Warnung und Absage an eventuelle Versuche nach dem Sommer und vor den Präsidentschaftswahlen, doch noch einmal mit Gewalt ein Gebietsaustauschabkommen durchzudrücken.

Die Warnung vor gefährlichen “schnellen Scheinlösungen” und die Darlegung, warum es ein echtes umfassendes und nachhaltiges Abschlussabkommen benötigt, stellten eine starke Untermauerung des europäischen Führungsanspruchs in Dialog dar. Sie untermauert, dass bei aller Schwäche der EU und allem in den vergangenen drei Jahren zerstörtem Vertrauen im Kosovo, eine Lösung des Konflikts mit Serbien in der aktuellen weltpolitischen Lage nur von der EU ausgehen kann.

Sie haben einmal geschrieben: Merkels letztes Gefecht ist der Balkan. Wird es ihr gelingen dieses Gefecht zu gewinnen?

Ich bin sicher, dass es ihr innerhalb ihrer verbleibenden Amtszeit gelingen wird, den gefährlichen Irrweg eines Gebietstauschabkommens ein für alle Mal einzukassieren. Nicht zuletzt, weil ein solcher Deal nichts zur demokratischen Stabilität und Festigung der Staatlichkeit Kosovos, aber auch Serbiens und dem friedlichen Zusammenleben von Albanern und Serben beitragen würde, sondern im Gegenteil zur einer gefährlichen Destabilisierung der gesamten Region und massivem Schaden für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Ob ein Abkommen noch in ihrer Amtszeit unterzeichnet werden kann ist schwerer vorherzusehen. Aber viel wichtiger als die Unterzeichnung an sich ist sowieso, dass es zu einem grundlegenden Reset der Verhandlungen kommt, auf der Basis der Rückkehr zum ursprünglichen Verhandlungsrahmen im politischen Dialog 2013. Der so den Weg ebnet für ein wahrhaft umfassendes, nachhaltiges Friedensabkommen zwischen Kosovo und Serbien.

Das Gespräch führte Anila Shuka

Bodo Weber ist Senior Associate des Democratization Policy Council (DPC), einer transatlantischen Denkfabrik mit Sitz in Berlin.