Kirche in Corona-Zeiten: Gottesdienst im Autokino

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Christen in Deutschland dürfen wieder Gottesdienste feiern. Trotz der Corona-Gefahr, mit aller Vorsicht. Aber was heißt das konkret? Eindrücke aus suchenden Gemeinden.

Gottesdienste in einem Düsseldorfer Autokino

Pater Tarcisius strahlt, als sei die Klosterkirche am Rande der Innenstadt von Worms brechend voll. Herzlich begrüßt er die Gemeinde zur werktäglichen Abendmesse. Zum Friedensgruß sucht er den Blickkontakt mit den Mitfeiernden. Und einmal bricht es aus ihm heraus, das “Alleluja” singt er dann doch.

Indes: Es ist Corona-Zeit. In dem Gotteshaus, das gewiss an die 200 Sitzplätze bietet, stehen keine 20 Mitbetenden. 24 dürften es maximal sein. Für sie sind die Plätze – strategisch verstreut im Kirchenschiff – mit Klebeband gekennzeichnet. Ansonsten: kein Gesang, auch kein Orgelgebraus. Tarcisius Paukovitsch, gebürtig im österreichischen Burgenland, kommt mit Mund-Nasen-Maske über dem liturgischen Gewand zur Feier. Und desinfiziert sich am Altar die Hände, bevor er das Heilige Brot, die Eucharistie austeilt.

Der Schmerz im Shutdown

Seit Anfang Mai dürfen Priester in Gemeinden wieder öffentliche Gottesdienste feiern. Nach knapp acht Wochen Einschränkungen wegen des Corona-Shutdowns. “Das hat geschmerzt. Auch persönlich geschmerzt”, sagt Pater Tarcisius der DW. Das gelte nicht nur für das Gottesdienst-Verbot. Auch für Bibel-Gruppen, Jugendarbeit, Besuche und Gespräche in Pflegeheimen.

All das sei für ihn Predigt, sagt der 38-Jährige. Vor neun Jahren ging er in den Dominikaner-Orden, der auch Prediger-Orden heißt. Kaum ein Jahr ist es her, dass er zum Priester geweiht wurde. So klingt aus seinem frischen Erzählen mehr Begeisterung als Stolz, als er von der Seelsorgearbeit erzählt, mit der er und seine Mit-Patres den Shutdown verbrachten: Für Ältere gab es ein Notfalltelefon, Podcasts und tägliche Impulse im Netz. “Den Kindern haben wir Briefe geschrieben, Bastelpakete und Aktionshefte erstellt.” Für alle läuteten die Kirchenglocken. Denn: Kirche sei “Gemeinschaft, und der Glaube verbindet”. Man spürt, wie froh er ist, nun wieder Messe mit Gläubigen zu feiern. Und wie fremd ihm das ist, wie sie nun feiern.

Dominikater-Pater Tarcisius Paukovitsch glaubt an die Kraft, die aus der Gemeinschaft erwächst

Kirche und ihre Gottesdienste in Corona-Zeiten: Selbst das Osterfest, das zentrale Fest der Christenheit, fiel in Gemeinschaft aus. Seitdem die Politik die Möglichkeit von Gottesdiensten in Gemeinden wieder zuließ, ist es auf katholischer und evangelischer Seite eine Suchbewegung. Hier flott, da bedächtig. Im Bistum Regensburg hob zum Beispiel fünf Minuten nach Mitternacht, als die Feiern wieder zugelassen waren, die erste Messe an. Medial mit Brimborium. Im Kirchenraum ganz vorsichtig. Dagegen wandte sich in Magdeburg der Bischof noch Wochen gegen jede Feier. Aus Vorsicht, aber auch wegen der Würde der Feier.  Man spürt: Alles wird anders. Aber wie?

Handschuhe und Plexiglas

Eindrücke aus Deutschland: Im (leeren) evangelischen Berliner Dom gab es vor drei Wochen für einen Fernseh-Gottesdienst noch Gesang. In Worms reicht Pater Tarcisius die Hostie, nachdem er sich die Hände desinfizierte. Im Kölner Dom trennt beim Empfang des Abendmahls eine Plexiglas-Wand Priester und Gläubige. In der derzeitigen katholischen Hauptkirche von Berlin, Sankt Joseph im Wedding, trägt der Priester dabei Handschuhe und Mund-Nasen-Schutz.

“Mir tut es gut, wieder die Messe besuchen zu können”, sagt eine ältere Dame nach der Feier in Berlin. Das habe ihr gefehlt. Die Fernseh-Übertragung sei kein Ersatz. Aber an Pfingsten werden viele Gläubige auf den Bildschirm zurückgreifen müssen. In Worms, Berlin oder Mainz – die Anmeldelisten sind vielfach voll. So bleibt im Fernsehen die Papst-Messe aus Rom. Franziskus im – leeren – Petersdom.

Und doch gilt: Alles wird anders. Uni-Gelehrte schauen gespannt auf das, was da passiert. Längst laufen Studien. Bischöfe ermutigen oder sind verunsichert. Pastoren und Pfarrer geben sich alle Mühe. Denn klar ist: Es geht um ein religiöses Bedürfnis. Aber niemand will andere einer Infektionsgefahr aussetzen. Oder die Kirche am Pranger sehen.

Das Risiko fatal unterschätzt

Das negative Beispiel wurde aus Frankfurt-Rödelheim gemeldet und sorgte bundesweit für Besorgnis und Empörung. Da infizierten sich wohl rund um einen Gottesdienst 200 Menschen (Stand 28.5.2020) in einer freikirchlichen Gemeinde der “Evangeliums-Christen-Baptisten” mit dem Coronavirus. Es ist einer der schlimmsten Ausbrüche der vergangenen Wochen in Deutschland.

Das Gemeindehauses der Evangeliums Christen Baptisten – hier wurde die Corona-Ansteckungsgefahr unterschätzt

Nach anfänglichem Erstaunen und Beschwichtigen der Verantwortlichen ist klar: Bei der Feier waren 180 Personen anwesend, ohne Schutzmasken. Sie sangen gemeinsam, später aßen sie auch gemeinsam. Der Gemeindeleiter liegt infiziert im Krankenhaus. Nicht auszuschließen, dass ihm strafrechtliche Konsequenzen drohen. Die Behörden äußern Kritik, selbst die Bundesregierung zeigt sich verärgert.

Frankfurter Gemeinden des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) gingen offen und kritisch auf Distanz zu den “Evangeliums-Christen-Baptisten”. Die genannte Gemeinde stehe weder “organisatorisch noch inhaltlich in einer Verbindung zu unserer Kirchengemeinde am Tiergarten oder dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland”, erklärte eine Gemeinde. Die älteste Baptistengemeinde in Frankfurt, die mit der Einrichtung in Rödelheim nichts zu tun hat, verzichtet noch bewusst auf Präsenzgottesdienste.

Konzept für Schutz des Lebens

Michael Gruber, BEFG-Pressesprecher, betont gegenüber der DW, die rund 800 Gemeinden des Bundes seien zu einem Schutzkonzept verpflichtet, das Anmeldeverfahren, verringerte Teilnehmerzahlen, Abstandsgebote, Namens- und Telefonlisten der Besucher und auch live-Übertragungen im Netz vorsehe: “Generell gilt: Der Schutz des Lebens steht für uns an oberster Stelle.”

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Gottesdienste in Coronazeiten

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Gottesdienste in Coronazeiten

In seiner eigenen Gemeinde im Berliner Wedding, so Gruber, gebe es deshalb noch keine Gottesdienste mit anwesenden Gläubigen. “Mit unseren Räumlichkeiten haben wir gar nicht die Möglichkeit, das umzusetzen. Deshalb verzichten wir”, sagt er. Stattdessen setzt Grubers Gemeinde weiterhin auf Video-Gottesdienste. 60 bis 70 Haushalte nähmen teil, manche beteiligten sich direkt. Einer der Gläubigen kümmere sich um die Moderation, jemand anders übernehme die Klavier- und Gitarrenmusik. Und im Anschluss an die religiöse Feier bleibe man noch in Kleingruppen zum Klönen zusammen. Die Technik macht’s möglich.

Einladung zur Messe im Autokino

Und Technik macht offensichtlich viele möglich. Die evangelische Gemeinde in Alzey, 30 Kilometer westlich von Worms, lädt nun alle zwei Wochen ins Autokino. Im Städtchen wirbt sogar das örtliche Lichtspielhaus “Bali” in seinem Schaukasten für die Aktion “Gottesdienst reloaded”. Und Pfarrer Joachim Schuh hat nicht nur das Autokino organisiert, sondern auch den Hubwagen, der ihn erhebt vor den knapp 130 Autos, mit meist zwei Passagieren, manchmal auch ganzen Familien, die sich vorher online namentlich anmeldeten.

Erster Gottesdienst im Kölner Dom seit dem 14. März mit Kardinal Rainer Maria Woelki

Eigentlich, sagt er der Deutschen Welle, hat er Höhenangst. Aber mit einer Hand am Geländer des Hubwagens sieht er die Gläubigen – “viele kenne ich” – bei der An- und Abfahrt. Schuh berichtet, was alles los ist während der Feier: mal Warnblinker, mal Lichtzeichen, mal Hupen. Und die Fürbitten können die Teilnehmer, die auch mitsingen, per WhatsApp schicken. “Das hat Open-Air-Charakter, das ist auch mal was anderes.”

Sehnsucht nach neuen Gottesdiensten

Man mag das belächeln. Aber dann erzählt der Pastor von der Fürbitte einer jungen Frau, die aus dem fernen Norddeutschland schrieb und einen Dank an die Post und Gott formulierte. Sie hatte online die Tickets gebucht, diese per Briefpost an die alten Eltern geschickt, die daheim selbst keinen Computer hatten. Und nun saß das alte Paar, das so innige Sehnsucht nach der gemeinsamen christlichen Feier hatte, in einem der Autos bei Pfarrer Schuh. Nach dieser Anekdote braucht man kein steifes Bischofswort mehr, um die Not mancher Gläubigen zu erahnen.

Zurück zu Pater Tarcisius. Da sitzt er in Worms, nicht weit von Alzey. Und irgendwann kommt er – ohne das nahe Projekt zu kennen – auch auf das Autokino zu sprechen. “Wo stehen die Menschen, wo leben sie?”, fragt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. “Wie können wir vor Ort mit den Menschen Glaubensgemeinschaft feiern?” Im Erzählen kommt er auf einen Gottesdienst in den nahen Weinbergen, auf einem Hügel mit weiter Sicht oder im Stadtpark. Und auf das Autokino. “Wir müssen neue Ideen haben, neue Wege gehen.” Nichts überstürzen, “aber kleine Schritte gehen”. Denn wenn man motiviert sei und Freude habe, “lässt sich vieles bewerkstelligen und neu denken”.