Sommer, Sonne, Ostseeurlaub?

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Mecklenburg-Vorpommern, das beliebteste Reiseziel in Deutschland, gehörte in der Corona-Krise zu den ersten Bundesländern, das Einreiseverbote verhängte. Jetzt dürfen zumindest Touristen aus Deutschland wieder hin.

Kurz vor Stralsund, dem Tor zur Insel Rügen, gibt es ein ungewohntes Bild. Unzählige Pkw und Campingmobile, manche noch mit Fahrrädern besetzt, versammeln sich vor der Strelasundquerung, der Brücke zur Insel Rügen, zu einem Korso. Kein Stau, kein genervtes Hupen, die Szene gleicht eher einer andächtigen Prozession über den Rügendamm.

Die Auto-Kennzeichen bezeugen, dass die meisten von weit her gekommen sind. Aus München, Dresden, Berlin oder Hamburg. Seit dem Shutdown im März waren sie zehn Wochen lang im Nordosten Deutschlands unerwünscht, Fremde im eigenen Land, ausgesperrt. Jetzt dürfen sie wieder nach Mecklenburg-Vorpommern an die Ostseeküste oder gleich auf die größte Insel Deutschlands, nach Rügen.

Über die Himmelsleiter zum Strand

Oft durch Feuer oder Eis zerstört und immer wieder aufgebaut – die Seebrücke im Ostseebad Sellin

Zu Ostern, dem traditionellen Saisonauftakt, waren die Inselbewohner noch allein unterwegs an den kilometerlangen Stränden, Gaststätten und Hotel waren geschlossen. Nachdem in einem ersten Schritt ab Mitte Mai das Reisen im eigenen Bundesland wieder erlaubt war und die Gastronomie wieder öffnen durfte, sind seit dem 25. Mai auch Reisende aus ganz Deutschland wieder willkommen.

Auf der Flaniermeile in Sellin, einem der historischen Ostseebäder Rügens, ist es jetzt nach der Wiederöffnung eigentlich wie immer. Bei frühlingshaften Temperaturen spazieren Touristen über die Wilhelmstraße zur Seebrücke oder schauen anderen dabei zu – während sie selber draußen vor dem Café sitzen. Maskenträger sieht man an der frischen Ostseeluft kaum. Nur wer zum Bestellen ins Café geht, wird zum Maskentragen aufgefordert.

87 Stufen geht’s rauf und wieder runter – auf der Himmelsleiter in Sellin

Die meist älteren Touristen flanieren bis auf die fast 400 Meter lange Seebrücke. Immerhin müssen sie dazu eine Holztreppe mit 87 Stufen überwinden, aber für den Rückweg gibt es auf der sogenannten Himmelsleiter immer wieder Ruhebänke zum Sitzen und Fotografieren. Die wenigen Familien mit kleinen Kindern wagen schon mal ein erstes Fußbad in der Ostsee. 

Wie voll ist voll?

Den ersten Touristen sieht man die Freude an, endlich wieder auf die Insel reisen zu können. Das Comeback freut besonders viele Rügener, die vom Tourismus leben, einem der wichtigsten Wirtschaftszweige auf der Insel. Doch manchen gehen die Lockerungen nicht weit genug.

Denn die Hotels dürfen bis auf weiteres nur 60 Prozent ihrer Übernachtungskapazitäten anbieten. Dagegen hatten zwei Hotels vergeblich geklagt. Die von der Landesregierung beschlossene 60-Prozent-Regelung zur Einhaltung der Corona-Kontaktbeschränkungen wurde vom Oberverwaltungsgericht Greifswald jedoch für rechtens erklärt.

Der Innenminister des Landes, Lorenz Caffier hofft, dass das von der Tourismusbranche entwickelte Hygienekonzept in Hotels und Gastronomie trägt. In den ersten Tagen werden bis zu 350.000 Touristen nach Mecklenburg-Vorpommern erwartet.

Anfangs standen die Telefone nicht mehr still

“Es ist schön, dass wir uns einer neuen Normalität wieder annähern können”, sagt Peter Schwarz der DW. Der Direktor vom Cliff Hotel, einem der größten Hotels auf der Insel, glaubt, dass die 60-Prozent-Regelung für Mitarbeiter und Hotelgäste richtig ist. So könnten alle sich an die neuen Abstand- und Hygienevorschriften gewöhnen. Dabei musste er auch schon einen Hotelgast, der sich weigern wollte, eine Maske zu tragen, darauf hinweisen, dass er nur mit einer Nase-Mund-Bedeckung ein willkommener Gast bleiben könne.

Als bekannt wurde, dass touristische Reisen auf die Insel wieder erlaubt werden, gab es einen regelrechten Ansturm. “Am ersten Tag klingelten die Telefone an der Rezeption ununterbrochen”, sagt Schwarz. Mittlerweile kommen die Anfragen nach Übernachtungen im üblichen Umfang. Trotz Beschränkungen sei sein Hotel auch über das Pfingstwochenende nicht ausgebucht.

Auf die Frage, wie denn die Insulaner den ersten Ansturm bewerten, antwortet Peter Schwarz diplomatisch. Er selber lebe seit 1997 auf Rügen und die Bewertung der Lockerungen falle auch unter seinen Bekannten sehr unterschiedlich aus. Es gebe auf der einen Seite die Notfallärztin, die vor den hereinströmenden Massen warnt und auf der anderen den Vermieter von Ferienwohnungen, der sich auf die Rückkehr der Touristen freut, weil seine Existenz davon abhängt.

Viel Platz an der Ostsee – der Strand an der Ostküste ist weitläufig und auch die Strandkörbe können Abstand

Peter Schwarz ist optimistisch, dass sich der Tourismus auf der Insel bis zum Sommer wieder erholen wird. Und wenn es bei den niedrigen Infektionszahlen für Mecklenburg-Vorpommern bleibt, kann er sich vorstellen, dass weitere Beschränkungen, von der Kapazitätsbegrenzung bis zur Saunanutzung aufgehoben werden.

“Wir werden die nächsten Tage abwarten und dann im Kabinett am 9. Juni entscheiden, ob wir ab 15. Juni weitere Lockerungen durchführen”, hatte Innenminister Lorenz Caffier bekräftigt. Auch wenn aufgrund der Beschränkungen durch die Corona-Krise die Preise für touristische Angebote bald steigen dürften, glaubt Peter Schwarz, dass es auf Rügen auch für die Hauptsaison im Sommer noch freie Übernachtungsmöglichkeiten geben werde.

Mit der Maske auf die Fähre

In der ersten Woche nach der Wiederöffnung für Reisende aus ganz Deutschland haben viele Urlauber auf Rügen das Fahrrad für sich entdeckt. Auf den meist gut ausgebauten Radwegen entlang der Ostküste herrscht zwischen Binz und Göhren ein reger Verkehr. Sportradler, Kleinfamilien mit Fahrradanhänger und viele Gelegenheitsradler, die mit ihren E-Bikes noch etwas unsicher unterwegs sind.

Gerade mal 50 Meter überwindet die Fähre von Baabe nach Moritzdorf

Etwas weiter im Süden, auf der dem Bodden-Gewässer zugewandten Seite der Insel ist man als Radler dann fast allein. Eine Natter kreuzt den Weg, man kann Rehe sehen, am Himmel zeigt sich sogar ein Fischadler. Erst auf der Fähre wird man wieder daran erinnert, dass es  noch nicht so ist wie vor der Krise. Erst müssen die Radfahrer ihre Masken aufsetzen, bevor sie nach Moritzdorf übersetzen können.

Und was ist mit Touristen, die aus dem Ausland nach Mecklenburg-Vorpommern kommen wollen? Da hilft weiterhin nur warten, wie etwa auf der Homepage der Insel Rügen zu lesen ist. “Eine Anreise zu touristischen Zwecken aus dem Ausland ist vorläufig nicht möglich.” Vielleicht ändert sich das für einige Nachbarländer schon am 15. Juni, “sofern es die pandemische Entwicklung zulässt.” Gegenwärtig laufen die Verhandlungen über die Aufhebung von Reisebeschränkungen innerhalb Europas.