Von der Leyens Billionen-Paket

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Mindestens tausend Milliarden Euro will die EU-Kommissionspräsidentin für den Corona-Wiederaufbau mobilisieren. Dazu will sie erstmals Schulden machen. Als regulärer Haushalt soll eine weitere Billion bewilligt werden.

Der Umriss des Vorschlags ist klar: Mindestens eine Billion Euro will die Kommissionschefin im Rahmen des nächsten EU-Haushalts zur Unterstützung der europäischen Wirtschaft nach der Corona-Krise auf den Weg bringen. Dazu gehört nur ein kleiner Teil echten Geldes, der Rest sind Garantien, Umschichtungen und zum ersten Mal in der Geschichte Schulden. Der Plan, den Ursula von der Leyen an diesem Mittwoch präsentiert, bringt auch einen Machtzuwachs für sie selbst, weil sie damit die Aufsicht über den “Recovery Fund” der EU gewinnt. Die enorme Summe bedeutet eine Verdoppelung der EU-Ausgaben: Der reguläre EU-Haushalt 2021-2027, der bislang noch nicht bewilligt ist, umfasst ebenfalls eine Billion Euro.

Wie wird das Geld verteilt?

Die EU-Kommission vergibt schon jetzt die Regionalhilfen, mit denen wirtschaftsschwache Regionen Europas seit Jahrzehnten unterstützt werden. Ähnlich soll das bei den Corona-Hilfen funktionieren, wobei noch offen ist, ob antragstellende Staaten für diese Vorhaben auch eine Selbstbeteiligung leisten müssten.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Ausgegeben werden soll das Geld für die langfristigen Ziele der EU, also Projekte gegen den Klimawandel, zur Digitalisierung oder für Forschung und Entwicklung. Aus dem Recovery Fund sollen dagegen keine Industrien am Leben erhalten werden, die durch Corona vom Bankrott bedroht sind. Das wird noch politischen Streit geben, weil viele Staaten auch auf Soforthilfen für den Erhalt von Arbeitsplätzen hoffen.

Das Geld soll an die am schwersten von Corona betroffenen Regionen gehen. Es gibt also keine Zuschüsse in die Staatskasse. Aber können genügend Projekte schnell genug auf die Schiene gesetzt werden? Italien etwa ist schon jetzt nicht imstande, die von Brüssel bewilligten Gelder auch abzurufen. Und kann die Kommission genug Beamte mobilisieren, um die neuen Milliarden zu verteilen?

Es gibt Widerstände

Als Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ihren durch Schulden finanzierten 500 Milliarden schweren Recovery Fund vorstellten, zeigte die Kanzlerin auch, wie sie Zweifler zuhause überzeugen will: Eine gemeinsame Antwort auf die Krise sei auch im deutschen Interesse, erklärte sie. Europaminister Michael Roth wiederholte am Dienstag in Brüssel das Argument: Solidarität sei nicht nur eine großzügige Geste, “Solidarität ist in jedermanns Interesse”.

Diese Erklärungen richten sich an die Adresse der “Sparsamen Vier”: Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden. Sie wollen die Mittel für den Post-Corona-Fonds nicht als Zuschüsse vergeben, wie Merkel und Macron vorschlagen, sondern als rückzahlbare Kredite.

Die “Sparsamen Vier” im Februar zu Besuch bei der Kommissionspräsidentin

Dagegen rennt vor allem das hochverschuldete Italien an – Rom weigert sich, die Schuldenlast des Landes weiter zu erhöhen. Der italienische Europaminister Enzo Amendola kritisierte daher den Plan der Vierergruppe als defensiv und unangemessen und sagte mit Blick auf die Präsentation des Wiederaufbau-Plans: “Die EU-Kommission braucht am 27. Mai mehr Mut.”

Die Lösung des Problems kann wohl in einer Mischung von Zuschüssen und Krediten liegen. Von der Leyen will einen Mix von 60: 40 oder sogar 70:30 vorschlagen, um die Gruppe der Sparsamen zu befrieden.

Bisher auch keine Einigung über EU-Haushalt

Der Streit wird dadurch kompliziert, dass gleichzeitig der nächste mittelfristige Finanzplan, der reguläre Haushalt der EU, beschlossen werden muss. Auch hier waren die Mitgliedsländer im Frühjahr noch weit von einer Einigung entfernt. Die “Sparsamen Vier” wollen auch Einschnitte im Budget – die französische Europaministerin Amelie de Montchalin dagegen warnt ausdrücklich davor: Man dürfe nicht “Peter berauben, um Paul zu bezahlen”, also Geld aus dem Haushalt streichen, um es dann in den Recovery Fund zu stecken. Frankreich mache sich für einen EU-Haushalt stark, der Geld habe für langfristige Programme wie die gemeinsame Verteidigung und den Green Deal sowie für einen Recovery Fund, der den Staaten mit Zuschüssen hilft, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Die französische Europaministerin Amelie de Montchalin

Schon in normalen Zeiten wird bei den Haushaltsverhandlungen in nächtlichen Gipfelsitzungen nach allen Regeln der Kunst gezockt. Jetzt müssen gleichzeitig zwei Töpfe mit Multi-Milliardensummen vereinbart und einstimmig verabschiedet werden. Deshalb wird erwartet, dass es eine Einigung erst bei einem Sondergipfel geben kann, der von der deutschen Ratspräsidentschaft nach dem Beginn ihrer Amtszeit am 1. Juli angesetzt werden müsste. Dabei werden sich die Regierungschefs voraussichtlich auch zum ersten Mal seit Langem wieder am großen Tisch in Brüssel real gegenübersitzen.

Wer soll das bezahlen?

Der Recovery Fund soll von der historisch einmaligen Genehmigung für die EU-Kommission zum Schulden machen gespeist werden. Dafür benutzt die Kommissionspräsidentin im Wesentlichen den EU-Haushalt als Kreditbasis, um am Finanzmarkt die nötigen Milliarden aufzunehmen. Dieses Geld soll dann innerhalb der nächsten drei Haushaltsperioden, also innerhalb von rund zwanzig Jahren, zurückgezahlt werden. Dementsprechend würden sich die regulären Beitragszahlungen der Mitgliedsländer erhöhen, wenn die Rückzahlung beginnt.

Wichtig ist, dass dieses Geld sehr schnell ab Anfang 2021 zur Verfügung gestellt werden soll, um Wirkung zu erzielen. Die Aufnahme von Schulden durch die Kommission ist aber juristisch umstritten, was noch zu Verzögerungen führen kann.

Finanzprobleme bleiben ungelöst

Und, so warnt Friedrich Heinemann vom europäischen Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW: “Der Recovery Fund wird letztlich die dramatischen Finanzprobleme Italiens und Griechenlands nicht lösen können”. Die Auszahlungen stellten nur einen Zuschuss von zwei bis drei Prozent der jeweiligen Wirtschaftsleistung dar.

Der Volkswirt hat auch ausgerechnet, wer künftig wahrscheinlich zu den Nettozahlern und Empfängern der EU gehört. Klar ist, dass Deutschland die größte Last tragen muss – je nach Konjunkturentwicklung und Ergebnis des Verteilungskampfes müsse Berlin zwischen 23 und 38 Milliarden Euro in den Gemeinschaftstopf einzahlen. Polen allerdings könnte mit einem Beitrag von rund 10 Milliarden zum ersten Mal vom Empfänger zum Zahler werden.

Alles hängt davon ab, wie die Verteilung der Corona-Milliarden berechnet wird. Ist der Absturz bei der Wirtschaftsleistung ausschlaggebend oder wird der Anstieg der Arbeitslosigkeit dazu gerechnet? Dementsprechend könnte der europäische Süden den Löwenanteil des Geldes erwarten oder Osteuropa bekäme etwas mehr ab. Eine Umschichtung von Ost nach Süd aber werde in jedem Fall stattfinden – Frankreich, Italien und Spanien wären die größten Profiteure. Aber auch die Osteuropäer müssen den Haushaltsplänen in Brüssel zustimmen – die Verhandlungen werden an vielen Fronten hart.