Unfallstatistik: Corona rettet Leben

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Seit Jahren sterben in Deutschland immer weniger Menschen durch Unfälle im Straßenverkehr. In der Coronakrise hat der Wert einen historischen Tiefstand erreicht. Experten warnen allerdings vor zu großem Optimismus.

Sicherer geht es kaum: Die Autobahn 96 in Bayern während des Lockdowns

Die Zahlen, die das Statistische Bundesamt in Wiesbaden in dieser Woche veröffentlicht hat, sprechen für sich: Noch nie seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 wurden in einem Monat weniger Menschen bei Verkehrsunfällen getötet als im März 2020. Insgesamt 158 Menschen verloren ihr Leben, im März 2019 waren es noch 234 Verkehrstote gewesen. Auch die Zahl der Verletzten und der Unfälle sank im Vergleich zu den Vorjahren stark.

Andreas Hölzel arbeitet als Verkehrsexperte für den ADAC, Europas größten Verkehrsclub mit Sitz in München. Im Gespräch mit der DW mahnt er allerdings auch vor zu großem Optimismus. Für ihn sind die gesunkenen Zahlen vor allem auf die Beschränkungen in der Corona-Krise zurückzuführen: Homeoffice, Lockdown und Kontaktbeschränkungen hätten schlichtweg dazu geführt, dass deutlich weniger Menschen im Straßenverkehr unterwegs gewesen seien: “Wir gehen davon aus, dass die Unfallzahlen steigen werden, wenn der Verkehr wieder normal läuft. Derzeit sind in sehr vielen Branchen viele Menschen noch nicht an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt.” Dies beeinflusse das Verkehrsgeschehen stark. Zudem  verreisten die Menschen derzeit auch weniger.

Zahlen sinken seit Jahren.

Trotz der Vorsicht des Experten ist eines unbestritten: Auch schon vor den Corona-Beschränkungen war die Anzahl der Verkehrstoten im Autoland Deutschland seit Jahren beständig gesunken. 

Diese positive Entwicklung mag auf den ersten Blick überraschen, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten der Europäischen Union gilt in Deutschland keine allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung. Auf Straßen mit einem Mittelstreifen und mindestens zwei Fahrstreifen pro Richtung gilt lediglich eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h. 

Kommt es bei hohen Geschwindigkeiten zu Unfällen, können Notärzte oft nichts mehr machen

Allerdings wurden seit den 1970er Jahren eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Dazu gehört unter anderem die Einführung der Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen sowie die Einführung der Richtgeschwindigkeit. Auch die Pflicht, einen Gurt im Auto anzulegen und die Absenkung der Promillegrenze auf 0,5 haben dazu geführt, dass in Deutschland inzwischen weniger Menschen sterben. Von mehr als 20.000 Toten Mitte der 1970er Jahre allein in Westdeutschland ist die Zahl auf wenig mehr als 3000 in Gesamtdeutschland gesunken. 

Im europäischen Vergleich gelten das Vereinigte Königreich, Dänemark und die Niederlande als besonders sicher, Rumänien, Bulgarien und Lettland dagegen als besonders gefährlich. 

Trotz der positiven Entwicklungen im deutschen Straßenverkehr gibt es in noch viel zu tun. Andreas Hölzel vom ADAC nimmt unter anderem die Situation der Verkehrsteilnehmer in den Städten in den Blick: “Die Konkurrenz um die Fläche ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Dies gilt vor allem für die Ballungsräume.” Gerade in den Städten gebe es eine Konkurrenzsituation zwischen Autos, öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrradfahrern und Fußgängern. Strategien müssten her: “Jede Kommune ist in der Pflicht, ein eigenes Mobilitätskonzept zu entwickeln.”

Pop-up-Radwege in Berlin

Wie mittelfristige Lösungen aussehen könnten, um mehr Menschen zum Umstieg aufs Fahrrad zu animieren, hat in den vergangenen Wochen allen voran Berlin vorgemacht. Während der Corona-Krise sind in der Hauptstadt eine ganze Reihe von sogenannten Pop-up-Radwegen angelegt worden. Die meist mit gelben Linien und Baustellenbaken markierten Radwege wurden in der Regel durch Umwidmung des rechten Fahrstreifens oder eines bisherigen Parkstreifens zum Radfahrstreifen geschaffen.

Wird das Coronavirus am Ende also gar zum Beschleuniger in der Verkehrswende? Andreas Hölzel vom ADAC tritt auch hier auf die Bremse. Je mehr die Deutschen wieder zum Alltag zurückkehren würden, desto mehr würden die Probleme ebenfalls wieder zurückkehren. “Wir wissen zwar aus einer Umfrage, dass jeder Vierte zukünftig häufiger zu Fuß unterwegs sein will. Jeder Fünfte will auch mehr fahrradfahren.” Man könne allerdings auch davon ausgehen, dass die anderen Verkehrsmittel weiterhin unverändert genutzt werden. Ein “grundsätzlich verändertes Mobilitätsverhalten” werde es also auch nach der Coronakrise nicht geben, so das nüchterne Fazit.