Corona-Krise: Was wird aus den Kinos in Deutschland?

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Vor allem die Programmkinos in Deutschland sorgen sich um ihre Zukunft. Sie arbeiten auf der Schnittstelle zwischen Filmkultur und Wirtschaft. Aber was macht ihre derzeitige Lage durch den Lockdown so schwierig?

“Die Programmkinos sind wirtschaftliche Zwitterwesen” bringt es Felix Graßmann vom Hamburger Programmkino “Abaton” auf den Punkt. Was Graßmann meint, führt zum Kern des Problems. Wie viele andere Kultureinrichtungen – Theater, Opern, Museen oder Konzertsäle – sind Kinos von der Corona-Pandemie stark betroffen. Wegen der vielfältigen Kontakteinschränkungen können die Menschen diese Kultureinrichtungen seit Wochen nicht besuchen.

Mitte März mussten in Deutschland auch die Kinos schließen. Die Arthouse-Kinos leiden besonders unter den drastischen Auflagen. Warum? Es gibt drei Arten von Kinos: die großen Multiplex-Ketten und die vielen mittelständischen Kinos, die vor allem auf das Blockbuster-Angebot aus Hollywood setzen. Und dann gibt es subventionierte Kommunale Kinos und Filmmuseen – und eben die Programm-Kinos, auch Arthouse-Kinos genannt.

Arthouse-Kinos stärker betroffen

Kommunale Kinos bekommen wie öffentliche Theater und Museen von Städten und Kommunen Geld für ihren Betrieb. Daran dürfte sich auch in Zukunft nichts ändern. Multiplex-Kinos gehören meist zu großen Ketten, die viele Millionen Euro mit Hollywood-Filmen umsetzen. Bei einer Wiederöffnung dürften diese Mega-Kinos mit lang erwarteten Blockbustern wie dem neuen James-Bond-Film an alte Erfolge anknüpfen. Ein Teil der mittelständischen Betriebe dagegen sorgt sich – wie die Programmkinos auch – um ihre Zukunft.

Beliebter Treffpunkt der Hamburger Film-Szene: das “Abaton-Kino”

Doch die Programmkinos sind besonders betroffen: “Mit ihrem hohen sozialen und kulturellen Engagement sind die Geschäftsmodelle der Filmkunstkinos an der Schnittstelle zwischen Kultur und Wirtschaft angesiedelt”, sagt Christian Bräuer, Geschäftsführer von Arthouse-Kinos in Berlin und Dresden, zudem Vorstand der AG Kino, die die Interessen von rund 370 deutschen Programmkinos vertritt. Auf der einen Seite sind diese Kinos also Wirtschaftsbetriebe, auf der anderen Seite bieten sie anspruchsvolles Kulturgut an. 

Grundkosten für Mieten laufen weiter

Ein schwieriger Spagat, der nur gelingt, weil viele Programmkinos auch gefördert werden: über Prämien für herausragende Programme oder für einzelne Filmreihen. Doch genügt das in und nach der derzeitigen Corona-Krise? “Für die Programmkinos ist die Schließung wirtschaftlich natürlich katastrophal”, sagt Bräuer: “Die hohen Grundkosten laufen weiter, doch die Einnahmen brechen weg und Rücklagen sind in der Regel nicht oder kaum vorhanden.” So sehen es auch viele Kollegen Bräuers. 

Spricht für 370 Programmkinos: Christian Bräuer von der AG Kino

Abaton-Betreiber Graßmann beklagt: “Wir haben seit zwei Monaten keinerlei Einnahmen mehr. Das ist für jeden Wirtschaftsbetrieb fatal.” Ähnlich sieht es Torben Scheller von den Filmkunstkinos Hannover und verweist auf die letzten Wochen: “Ohne Einnahmen müssen wir Mieten und laufende Kosten seit Mitte März stemmen.” Christian Pfeil vom “Arena”in München bringt es zugespitzt auf den Punkt: “Es gibt gerade keine wirtschaftliche Lage.” Filmkunstkinos hätten ähnlich wie freie Theater auch nur eine relativ geringe Kapitalreserve.

Dauerhaftes Hilfs-Konzept gefragt

Und wie sehen die engagierten Kinomacher die Unterstützungsmaßnamen von Bund und Ländern, die schon kurz nach den Kinoschließungen flossen? Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat gerade erst einen Fond für kleinere und mittlere Kultureinrichtungen auf ein Budget von 20 Millionen Euro aufgestockt. Kalle Somnitz vom Düsseldorfer “Metropol” (Bild oben): “Die vielfache Unterstützung durch die Landesregierung, die Filmstiftung, der Beauftragten für Medien und Kultur und unserer Zuschauer, die uns mit Gutscheinkäufen und Spenden unter die Arme gegriffen haben, lassen uns den Sommer überleben.” Problematisch werde es allerdings, “wenn der reduzierte Spielbetrieb länger anhält.” Dann müsste über weitere Hilfen nachgedacht werden, um ein Kinosterben zu verhindern.

Der neue James-Bond-Film soll im Herbst starten: profitieren werden die großen Multiplex-Kinoketten

Auch Jürgen Lütz vom Kölner “Odeon” ist dankbar für die ersten Unterstützungsmaßnahmen, fürchtet aber schon mittelfristig Probleme: “Es ist schon Sommer, wir haben keine starken Publikumsfilme im Angebot, wegen der Hygieneauflagen haben die meisten Kinos nur 1/4 oder 1/3 ihrer normalen Sitzplatzanzahl.” Lütz fragt sich: “Wird das Publikum trotzdem kommen?”

Hygienevorschriften machen wirtschaftliches Arbeiten unrentabel 

In diesen Tagen werden landauf und landab die ersten Kinos wieder geöffnet. Die föderalen Strukturen in Deutschland führen allerdings dazu, dass das von Region zu Region anders gehandhabt wird. Torben Scheller aus Hannover sieht das kritisch: “In Niedersachsen warten wir noch immer und können nichts richtig vorbereiten.” Scheller stellt seiner Landesregierung ein schlechtes Zeugnis aus: “Eine unerträgliche Situation und ein unglaubliches schlechtes Krisenmanagement der Landesregierung.”

Derzeit leere Reihen: Programmkino in Hannover

Befürchtet wird zudem, dass bei den auferlegten Sicherheits- und Hygienevorschriften mit massiven Einnahmeausfällen zu rechnen ist. Wenn jeder dritte Platz oder jede zweite Reihe frei bleiben muss, dann stellt sich die Frage: Lohnt sich der Betrieb für die Arthouse-Kinos überhaupt noch?

Christian Pfeil plädiert für ein langfristiges Engagement von Politik und Kommunen. Er ist der Überzeugung, “dass die Politik gut daran täte, die Infrastruktur (Immobilienerwerb, Investition in Haustechnik, Sicherheit, Brandschutz, Klima) großzügig zu fördern, denn günstiger als mit einem Filmkunstkino, das im Betrieb weitestgehend selbsttragend ist, bekommt man Kultur nicht.” Dann hätte man nach der Krise wieder eine kulturelle Basisstruktur: “Gerade Filmkunstkinos sind oft der einzige Kulturort in der Fläche”, sagt Pfeil.

Kinobetreiber fordern mittelfristig Zuschüsse statt Darlehen

Auch Felix Graßmann plädiert für dauerhafte Maßnahmen: “Solange es Einschränkungen der Kinobetriebe aufgrund der Corona-Pandemie gibt, brauchen wir Zuschüsse der öffentlichen Hand, keine Darlehen.” Wenn das nicht geschehe, werde ein Großteil der Programmkinos in Deutschland schließen müssen: “Eine solche Pleitewelle würde auch einen großen Teil der deutschen Filmindustrie in den Abgrund reißen.” Die Politik stünde vor “dem Scherbenhaufen ihrer Filmpolitik der letzten Jahrzehnte.”

Vor der Kinoschließung Arthouse-Hit Nr. 1 in Deutschland: “Die Känguru-Chroniken”

Können sich die deutschen Arthaus-Kinobetreiber deshalb vorstellen, ähnlich wie die Theater oder eben die kommunalen Kinos, in den Kreis des subventionierten Kulturbetriebs aufgenommen zu werden? Ein “schwieriges Thema” meint Jürgen Lütz vom Kölner “Odeon”-Filmtheater: “Wir sind ja so stolz auf unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit.” Gerade die Unabhängigkeit ist den Kinobetreibern der Arthouse-Szene ein wichtiges Gut, aufgeben wollen sie das nicht: “Dann wären die Filmkunstkinos ja nicht unabhängig!”, sagt Torben Scheller in Hannover.

Arthouse-Kinobetreiber wollen an Unabhängigkeit festhalten

Kalle Somnitz in Düsseldorf verweist zudem darauf, dass auch Arthouse-Kinos Fördergelder bekämen: “Ich glaube nicht, dass Arthaus-Kinos subventioniert werden müssen. Schließlich werden wir vielfach gefördert und zwar vom Land (Filmstiftung), vom Bund (BKM) und von Europa (Europa Cinemas).” Diese Förderung bekämen die Kinos für ein gutes Jahresprogramm: “Sie wird ausgeschüttet nach Durchsicht unseres Programms, meist durch eine Jury. Dieser Förderung geht also eine kulturelle Leistung voraus, man kann sie daher nicht einkalkulieren, vielmehr ist sie ein Ansporn für weiterhin gute Arbeit.”

Ungewisse Zukunft für die Arthouse-Kinos in Deutschland: das “Arena” in München

Felix Graßmann sieht das ähnlich: “Die Betreiber sind Idealisten mit einer tiefverwurzelten Leidenschaft für die Filmkunst.” Auch Christian Pfeil in München möchte die Unabhängigkeit bewahren, auch wenn sich die Arbeit oft “am Rande der Selbstausbeutung” bewege, wie er das nennt: “Die geringe Subvention, ca. 3-5% des Jahreshaushaltes, gibt erhebliche Freiheit und Unabhängigkeit. Das halte ich für eine Stärke unserer Struktur. Das hätte ich gern nach der Krise wieder zurück.”

Verbandssprecher Christian Bräuer konstatiert, die Corona-Krise zeige sehr deutlich, “wie elementar die Arthouse-Kinos für die filmkulturelle Vielfalt” seien. Die Förderung ihrer vielfältigen Kinoprogramme sollte deshalb deutlich gestärkt werden: “Allerdings stehen wir für eine Demokratisierung von Filmkunst. Eine Musealisierung des Kinos streben wir nicht an.”