Urlaubssaison 2020: Abseits des Mainstreams

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Urlaub ist sein Beruf: Verleger Michael Müller gehört zu den Mit-Erfindern der Individualreiseführer in Deutschland. Wir fragen: Wie sind die Aussichten auf den Sommerurlaub 2020, Herr Müller?

Seit 40 Jahren im Geschäft: Michael Müller ist Autor, Verleger und Reisender aus Leidenschaft

Deutsche Welle: Sie versorgen seit über 40 Jahren Ihre Leser mit Reisetipps, sind einer der Marktführer der Reiseführerbranche in Deutschland. Sie hatten im Frühjahr Neuerscheinungen geplant, dann kam Corona. Wie haben Sie reagiert? 

Michael Müller: Wir haben sofort die Produktion gestoppt, den Verlag geschlossen, unsere Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Wir haben praktisch alles auf Null runtergefahren, haben fertige Bücher nicht drucken lassen – wie zum Beispiel die Neuauflage unseres Portugal-Reiseführers. Ich kann bei alledem nur hoffen, dass wir keine Autoren verlieren. Sie haben jetzt kein Einkommen.

Machen Sie sich Sorgen um Ihren Verlag, oder sind Sie guter Dinge, dass Sie diese Krise überwinden?

Klar mache ich mir Sorgen. Aber ich hoffe, dass unsere Maßnahmen wirken. Wir fahren jetzt ganz langsam wieder hoch. Wir haben einige Mitarbeiter der Redaktion auf 20 Prozent hochgestuft, damit die Deutschland-Titel, die schon halb fertig waren, finalisiert werden und möglichst schnell in den Druck können. Derzeit sind 40 Deutschland-Titel lieferbar, vom Allgäu bis zur Nordseeküste. Im Juni erscheint noch die Neuauflage zur mecklenburgischen Ostsee. 

Gerade Individualreiseführer wie Sie sie vertreiben, leben von den Tipps ihrer Autoren. Viele dieser Tipps dürften jetzt wegen Corona nicht mehr aktuell sein? Will da überhaupt noch jemand Reiseführer kaufen?

Wir denken schon. Denn es geht ja nicht nur um Tipps zu Hotels oder Restaurants, von denen viele auch noch zutreffen werden. Es geht in unseren Büchern auch um Touren, um Sehenswürdigkeiten, um Naturerlebnisse oder die Mentalität eines Landes, die ja bestehen bleibt. Bei den Titeln, die zum Jahresende erscheinen und zum Teil schon recherchiert sind – wie zum Beispiel Portugal- werden wir vor Ort noch nachhaken, um einzuarbeiten, was sich verändert hat. Alles können wir natürlich nicht garantieren. Aber das werden unsere Leserinnen und Leser verstehen. 

Beliebtes Fotomotiv in Portugal: Leuchtturm am Kap Sankt Vinzenz, Algarve

Was raten Sie Ihren Lesern, wie kommen sie an aktuelle Informationen für die Reiseplanung?

Wir fahren seit Jahren mehrgleisig. Bieten nicht nur Print-Ausgaben, sondern auch Apps und Websites. Dort haben wir immer schon Reisebuch-Updates. Das bauen wir weiter konsequent aus und stellen jetzt zusätzlich aktuelle Informationen ein. Am besten also dort nachschauen. Wer bei uns online bestellt, bekommt diese Updates übrigens gleich mitgeschickt.

Reden wir übers Reisen, Herr Müller. Was bringt der Sommer 2020? Werden die Deutschen verreisen und wenn ja, wohin?  

Gute Frage. Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise hat keiner wirklich daran gedacht, seinen Urlaub zu planen, es wusste ja niemand wohin, wo es sicher ist. Wir haben deshalb unsere Leser gefragt und mit 40.000 Newslettern Fragebögen rausgeschickt. Das Ergebnis war: Viele unserer Leser planen noch nichts oder haben beschlossen, dass sie dieses Jahr zu Hause bleiben, Wochenendausflüge unternehmen oder in Deutschland Urlaub machen. An der Ostsee, im Allgäu – auf alle Fälle irgendwo in Deutschland. 

Also lieber am Strand von Binz als am Strand von Malle?  

Unsere Umfrage war eine Momentaufnahme. Wir können nicht wissen, ob die Leute dabeibleiben oder ob sich die Stimmung nochmal wandelt. Wir hoffen natürlich, dass sie sich wandelt, sobald die Grenzen wieder geöffnet werden. Ich vermute aber, die meisten werden dennoch in Deutschland bleiben wollen. Tragisch ist nur: Es wird nicht genug Platz für alle geben. Die Hotels dürfen ja nur zu 60  Prozent auslastet werden. Da müssen viele wohl zu Hause bleiben. 

Es muss ja nicht immer Bayern oder die Ostsee sein. Wir haben doch auch Übernachtungskapazitäten in anderen Regionen Deutschlands.

Nein, da gibt es große Lücken! Wir sind unterversorgt. Engpässe gibt es ja schon in normalen Sommern an der Küste. Aber will ich jede Küste zubetonieren, damit immer mehr Apartmentblocks und Hotels entstehen? Nein. Der Reiz der Landschaft würde unwiederbringlich zerstört. Corona verschärft die Situation in diesem Sommer, damit müssen wir leben. Allerdings könnten Wanderurlaube eine Renaissance erleben.

Bislang unterschätze Regionen könnten in diesem Sommer zulegen, auch der Bayerische Wald

Schlägt jetzt die Stunde von Reiseregionen, die bislang nicht so sehr nachgefragt wurden?

Das könnte gut sein! Und es wäre sogar wünschenswert. Es gibt viele Regionen, die unterschätzt werden. Nehmen Sie die Schwäbische Alb, den Bayerischen Wald oder die Fränkische Schweiz, die kenne ich gut. Das Städtedreieck von Bayreuth, Bamberg und Nürnberg ist meine Heimat. In den 80er Jahren war der Tourismus in dieser Region viel stärker ausgeprägt, die Leute machten hier richtig Urlaub, mieteten sich zwei Wochen ein. Viele übrigens aus Berlin. Nach der Wende ist dieser Tourismus völlig weggebrochen. Es kamen hauptsächlich nur noch Ausflügler aus der Gegend fürs Wochenende. In der Folge mussten viele Landgasthöfe schließen, weil sie von dem Wochenendtourismus allein nicht überleben konnten. Da liegt aufgrund von Corona eine Chance. Ich verspreche mir, dass Leute Regionen neu entdecken und im eigenen Land auch mal wieder länger Urlaub machen, also zwei Wochen und mehr. Das würde gegen die Landflucht helfen und Leben in unsere Dörfer bringen. 

Urlaub in Deutschland – kann daraus ein Trend werden?

Ja, ich denke schon, es wird keinen großen, aber einen kleinen, spürbaren Trend geben. Viele Leute reisen ja drei oder vier Mal im Jahr. Die fliegen eben mal nach Mallorca, Lissabon oder Kreta. Ich kann mir vorstellen, dass viele Leute, die mehrfach im Jahr verreisen, Deutschland stärker ins Visier nehmen. 

Was ist eigentlich Ihr Bestseller unter den Reiseführern?

An der Südküste Kretas geht es ruhiger zu als im touristisch besser erschlossenen Norden

Kreta ist einer unserer Bestseller. Da verkaufen wir pro Jahr 8000 Stück – im Vergleich dazu die Fränkische Schweiz, da werden vielleicht 1400 Stück verkauft. Wir haben ja eine breite Palette von Reiseführern über deutsche Regionen. Aber deutsche Reiseregionen zu machen ist grenzwertig. Es steckt unglaublich viel Arbeit drin, diese Reiseführer zu erstellen, sie am Leben zu erhalten, sie immer wieder zu überarbeiten. Leider lohnen sich die Auflagen oft nicht, weder für den Verlag noch für den Autor. An die Rhön, die ja auch zu diesen unterschätzten Regionen gehört, werden wir uns aus diesem Grund nicht heranwagen. Leider.

Also doch lieber Europa? Wir sehen, so nach und nach werden die Grenzen geöffnet. Die Tourismusindustrie drängt darauf, dass es wieder losgeht. Welche Länder empfehlen Sie?

Slowenien, Kroatien, Griechenland – alles Länder, die relativ niedrige Infektionszahlen hatten. Und soweit ich das beurteilen kann engagieren sich diese Länder, dass das Infektionsrisiko relativ niedrig bleibt. Die große Frage ist: Setzen sich die Leute ins Flugzeug, nehmen sie das Risiko des Reisens auf sich? Ryanair, Lufthansa und viele andere Airlines legen im Juni ja wieder los. Wir werden es bald erfahren. Ich würde derzeit lieber mit dem Auto nach Slowenien fahren, mir ein Häuschen oder ein Apartment mieten. 

Haben es Individualreisende in diesem Sommer also besser als Pauschalreisende? 

Über Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens, thront eine 900 Jahren alte Festung

Ein Individualreisender bucht und gestaltet seine Reise selbst, plant seine Routen nach seinem Geschmack und meidet die Massen. Das heißt, ich habe die Wahl. Ich würde in diesem Sommer lieber mit dem Auto nach Slowenien fahren und ein Ferienhaus mieten. Mit einer Pauschalreise setzte ich mich in der Regel ins Flugzeug, fliege nach Tunesien, Spanien oder Portugal und beziehe dort mein Hotel. Ich empfinde beides, die Anreise mit dem Flugzeug und das Übernachten in Hotels noch als zu riskant. Ich kann mir vorstellen, dass Pauschalreisen in diesem Sommer weniger nachgefragt sind. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem Hotel plötzlich in Quarantäne fest. Eine Horrorvorstellung! Da wäre ich lieber in meinem Apartment oder Ferienhaus, bzw. setze mich in mein Auto und fahre heim.

Könnte es sein, dass die Corona-Krise das Ende des Massentourismus einläuten wird?

Das ist eine Utopie. So lange sich Menschen Reisen leisten können, wird es Massentourismus geben. Davon bin ich überzeugt. Wir alte, reiseerfahrenen Europäer werden weiter versuchen, abseits des Mainstream Urlaub in Europa zu machen. Das bedeutet nicht, dass ich nicht nach Rom oder Barcelona fahre. Ich verhalte mich nur anders, ich übernachte außerhalb und schaue mir andere Viertel an.