Trotz Corona: Wie sich ukrainische Arbeiter in die EU durchschlagen

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Während EU-Länder mit der Ukraine über Sonderflüge für Saisonarbeiter verhandeln, brechen von diesen einige auf eigene Faust auf – trotz Corona-Sperren. Auf dem Weg warten zahlreiche Hürden.

Saisonarbeiterinnen pflücken in Brandenburg Erdbeeren (Archivbild)

“Zurzeit ist das sehr schwierig, aber wir fahren, weil es in der Ukraine keine Jobs für Menschen in unserem Alter gibt”, sagt Oksana Furman aus der Stadt Chmelnyzkyj. Die 48-Jährige und ihr 53-jähriger Ehemann Serhij hatten es Anfang März noch geschafft, polnische Arbeitsvisa zu erhalten, bevor die Vergabestellen geschlossen wurden. Daher werden die polnischen Grenzbeamten sie wohl durchlassen, auch wenn sich die beiden danach erst einmal für zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen. Diese will das Paar in einem Hostel in der Nähe von Warschau verbringen. Bei der Suche hilft eine Jobvermittlung, die Unterkunft müssen die Furmans aber selbst bezahlen.

Wenn man die Kosten für Lebensmittel dazurechnet, wird die Quarantäne die beiden mindestens 800 Zloty (umgerechnet rund 175 Euro) kosten, schätzt Oksana. Das ist viel Geld für eine Näherin und einen Fahrer aus Chmelnyzkyj. In einer polnischen Fabrik für TV-Geräte, wo Oksana und Serhij vergangenes Jahr als Packer gearbeitet haben, verdienten sie umgerechnet jeweils rund 750 Euro im Monat. Um wieder in Polen arbeiten zu können, ist das Paar bereit, Geld auszugeben und Hürden in Kauf zu nehmen. “Wir hoffen, ausreisen zu können – um jeden Preis”, sagen die beiden.

Bis Polen dreimal umsteigen

Die Reise nach Polen wird für Oksana und Serhij ein echtes Abenteuer. Denn die Behörden haben im Rahmen der Eindämmung der Coronavirus-Pandemie den Busverkehr über die Grenze vorübergehend untersagt. Ohne eigenes Auto muss das Paar also nach Auswegen suchen.

Serhij und Oksana Furmans sehen für sich keinen anderen Weg, als trotz der Quarantäne nach Polen zu fahren

Im Internet werden trotz eines Verbots Fahrten mit Kleinbussen bis an die ukrainisch-polnische Grenze für umgerechnet 35 Euro angeboten. Passagiere, die sich telefonisch “eingecheckt” haben, werden am Kiewer Hauptbahnhof abgeholt, heißt es bei einem Anbieter, der seine Dienste in sozialen Netzwerken bewirbt. Es gibt auch Fahrten aus anderen Städten. Sie alle enden aber am Grenzübergang auf ukrainischer Seite. Weiter dürfen die Busse nicht fahren.

Auch zu Fuß darf man laut einer Regierungsverordnung nicht über die Grenze. Um nach Polen zu gelangen, muss man daher in ein Auto steigen, das über die Grenze fährt. Ein Anbieter von Bustransfers zur Grenze versichert bei einem Testanruf, dass es damit keine Probleme gebe. Das könne man alles vor Ort regeln. Allerdings sei das nicht ganz billig, rund 75 Euro koste die Fahrt. “Stellen Sie sich vor, 350 Zloty für 150 Meter!”, schimpft der Mann. Auf polnischer Seite stünden zur Weiterfahrt viele Busse bereit.

Als sicher kann so eine Reise nicht bezeichnet werden. Die empfohlene soziale Distanz kann dabei nicht eingehalten werden, erst recht nicht, wenn man mit zusammengewürfelten Mitreisenden in improvisierten Kleinbussen unterwegs ist.

Alternative Route über Minsk

Eine andere Möglichkeit ist eine Reise über Weißrussland, das die Pandemie immer noch ignoriert. Dennoch entscheiden sich einige Ukrainer, die im Ausland arbeiten wollen, für den Weg über Minsk. Im Gegensatz zur Ukraine haben die weißrussischen Behörden die Staatsgrenze für Ausländer nicht geschlossen. Man kann sie ohne Weiteres überqueren, solange man sich nachweislich auf einer Transitreise befindet. Vom Flughafen Minsk aus kann man nach wie vor in einige EU-Länder fliegen, die den Flugverkehr mit Weißrussland nicht ausgesetzt haben – zum Beispiel in die Tschechische Republik oder nach Finnland.

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Pflegekräfte im Lockdown

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Pflegekräfte aus der Ukraine in Italien

Den Flughafen der weißrussischen Hauptstadt erreichen die Ukrainer auch mit illegalen Kleinbussen. Laut einem Busfahrer gibt es von Kiew aus täglich zwei Fahrten. “Wir bringen die Leute bis zur Grenze, und dort fahren sie mit einem schon wartenden weißrussischen Bus weiter”, erzählt er.

Eine solche Reise kostet 60 Euro. Angst vor Problemen wegen Verstößen gegen die Schutzmaßnahmen müsse man nicht haben. Die Fahrten gebe es “seit dem ersten Tag der Quarantäne”, sagt der Fahrer und fügt hinzu: “Gott sei Dank, wir wurden noch nie angehalten. Unser Chef war Milizionär, daher haben wir keine Angst.”

Arbeitgeber fordern Sonderflüge

Von einem massenhaften Aufbruch von Ukrainern ins Ausland könne derzeit aber keine Rede sein, meint Tetjana Bugakowa. Sie leitet die Firma “Work Garant”, die hauptsächlich Jobs in Polen vermittelt. “Vor der Pandemie konnten die Saisonarbeiter als Touristen die Grenze überqueren, vor Ort einen Job finden und eine Arbeitserlaubnis erhalten”, sagt sie. Jetzt müssten sie erst eine Unterkunft nachweisen, ein Arbeitsvisum oder eine Arbeitserlaubnis vorlegen. Bugakowa hat nun mehr als zwei Drittel weniger Kunden als vor der Pandemie.

Aber viele, die über die erforderlichen Dokumente verfügen, machen sich dennoch nicht auf den Weg ins Ausland. Die zweiwöchige Quarantäne sowie die beschwerliche Reise hält sie davon ab. Zumindest die zweite Hürde könnte die ukrainische Regierung beseitigen, wenn sie den Arbeitgebern mit raschen Sonderflügen für den Transfer von Saisonarbeitern entgegenkommen würde, findet Bugakowa. “Wenn Arbeitgeber Chartermaschinen bezahlen wollen, dann ist das doch eine tolle Sache”, sagt sie. Dann könnten die Menschen viel bequemer reisen und müssten nicht zwei Tage unterwegs sein.

Unterdessen versichert die Regierung in Kiew, mit einigen EU-Ländern über Sonderflüge für ukrainische Arbeitnehmer im Gespräch zu stehen. Wadym Prystajko, Vizepremier für europäische und euroatlantische Integration, erklärte Anfang Mai, es gehe um mehrere Hundert Flüge. Doch bisher fliegen nur vereinzelt Chartermaschinen von Kiew in die EU. Daher greifen die meisten Ukrainer auf illegale Kleinbusse zurück.