Corona-Forschung: Gut Ding will (W)Eile haben

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Ohne aufwendige Peer Review-Verfahren werden Forschungsergebnisse zu COVID-19 in hoher Schlagzahl auf Preprint-Servern hochgeladen. Ist das gut oder schlecht? Beides. Eine Garantie für gute Forschung gibt es nämlich nie.

Bereits im März hatte der Sender NDR 15 Millionen Abrufe des Corona-Podcasts mit Virologe Christian Drosten zu verzeichnen. Politiker rund um den Globus schenken Virologen, Epidemiologen und Infektiologen in Zeiten von COVID-19 so viel Gehör wie noch nie, um aus den neuesten Erkenntnissen politische Handlungsoptionen abzuleiten.

All eyes on science! So scheint es gerade.

Wissenschaftliche Forschung erlebt einen Bedeutungszuwachs sondergleichen – Öffentlichkeit und Politik warten gespannt, was als nächstes herausgefunden wird. Jede wissenschaftliche Erkenntnis könnte eine erneute Wendung im Leben von Millionen von Menschen bedeuten.

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Deshalb arbeiten Wissenschaftler mit Hochdruck. Untersuchen Krankheitsverläufe, experimentieren mit bereits zugelassenen Medikamenten und forschen an Impfstoffen. Die Ergebnisse sollen möglichst schnell veröffentlicht werden. Bisher hatte die Wissenschaft genau damit ein Problem: Schnelligkeit galt nicht als oberstes Gebot.

Normalität gilt nicht mehr

Normalerweise durchlaufen Studien ein relativ zeitaufwendiges wissenschaftliches Begutachtungsverfahren, das sogenannte Peer Review, bei dem von der Studie unabhängige Experten verschiedener Disziplinen die Forschungsergebnisse unter die Lupe nehmen. Dieses Gremium wird von der jeweiligen Fachzeitschrift eingesetzt, bei der die Wissenschaftler ihre Studie zur Veröffentlichung einreichen.

Die Gutachter prüfen, kommentieren und spielen ihre Kritik an die Studienautoren zurück. Die justieren nach und senden das Paper erneut ein. All das kostet Zeit. Wenn es schlecht läuft, ziehen Jahre ins Land. Das dauert viel zu lange, wenn es um Ergebnisse zu SARS-CoV-2 und die durch das Virus ausgelöste Lungenkrankheit COVID-19 geht.

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Weltweites Rennen um Corona-Impfstoff

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Weltweites Rennen um Corona-Impfstoff

Socialmedia für Wissenschaftler

Dank Preprint-Servern wie bioRxiv und medRxiv geht die Veröffentlichung von eventuell bahnbrechenden Studienergebnissen viel schneller.

Hier wird das gesamte Peer Review-Verfahren weggelassen. Wer eine Studie gemacht und ein wissenschaftliches Paper geschrieben hat, lädt es hoch.

Ein paar Standards müssen eingehalten werden. Ein Screening stellt sicher, dass es sich tatsächlich um eine wissenschaftliche Abhandlung und nicht um Telefonbuchseiten handelt. Außerdem wird das Paper einer sprachlichen Prüfung unterzogen. Anstößige, gewaltverherrlichende und gefährliche Sprache sind ein Ausschlusskriterium. Stimmt alles, wird das Paper hochgeladen.

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Mit arXiv ging 1991 die erste derartige Plattform online, Preprint-Server sind also keine ganz neue Erfindung. Allerdings haben sie selten eine so große Rolle gespielt. Mehr als 3300 Studien zum neuartigen Coronavirus sind bisher auf bioRxiv veröffentlicht worden.

Oliver Cornely ist diese Vorgehensweise sehr suspekt. Der Infektiologe ist Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Klinische Studien Köln. “Ich habe noch nie irgendetwas preprint veröffentlicht und wüsste auch nicht, warum ich das tun sollte.”

Preprint-Veröffentlichungen haben für Cornelys wissenschaftliches Arbeiten keinerlei Relevanz. “Ich lege großen Wert auf Peer Review. Vorher will ich das gar nicht sehen”, sagt der Mediziner. “Was ist der Unterschied zwischen einem Preprint-Server und einem Tweet?”

Schneller, offener, weniger gründlich?

Mit dieser Frage trifft Cornely einen Punkt, in dem sich sowohl die Vor- als auch die Nachteile der Preprint-Server vereinen: Einem Tweet gleich werden die Forschungsergebnisse auf den Preprint-Servern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das ist Fluch und Segen gleichzeitig.

Ulrich Dirnagl findet die Preprint-Server gut. Der Wissenschaftler arbeitet und forscht an der Charité in Berlin. Dort beschäftigt er sich vor allem mit Schlaganfällen. Außerdem leitet Dirnagl das QUEST Center am Berlin Institute of Health (BIH). Dort sind er und seine Kollegen für das Qualitätsmanagement der biomedizinischen Forschung am BIH zuständig. Als “Forscher zur Forschung” beschäftigt er sich unter anderem mit dem Für und Wider von Preprint-Studien.

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Wissenschaft gegen Coronavirus

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Wissenschaft sagt Coronavirus den Kampf an

Der Schlaganfallforscher Dirnagl lädt nicht nur eigene Veröffentlichungen auf bioRxiv und medRxiv hoch, er informiert sich dort auch darüber, was die Kollegen so herausgefunden haben. Ein großer Vorteil sei natürlich die Geschwindigkeit, mit der Daten so der Forschungsgemeinde zugänglich gemacht würden. “Sobald die Studie freigeschaltet ist, beginnt eine sehr intensive Auseinandersetzung mit der Arbeit innerhalb der Community”, sagt Dirnagl und sieht das als weiteren Vorteil. 

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Dirnagl empfindet diese Diskussionen über die Veröffentlichungen in seinem Spezialgebiet als sehr konstruktiv und hilfreich: Die Studienautoren haben so die Möglichkeit, die Kritik umzusetzen, bevor sie in ein langwieriges Peer Review-Verfahren einsteigen. Im günstigsten Fall wird eine bereits durch mehrere Fachmenschen optimierte Studie bei den Fachjournalen eingereicht. 

Unerwünschtes wird sichtbar

“Ein weiterer Vorteil der Preprint-Server ist, dass auch unerwünschte oder unerwartete Ergebnisse, sogenannte Null- oder Negativresultate, eher veröffentlicht werden”, so Dirnagl – weil die Schwelle zur Veröffentlichung viel niedriger sei. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DGF) erkennt die Vorteile der Preprint-Studien in einem Statement an.

Die meisten politischen Entscheidungen in Zusammenhang mit dem Umgang mit SARS-CoV-2 stützen sich in erster Linie auf Preprint-Studien. In seinem Podcast spricht Virologe Drosten regelmäßig über die neuesten Veröffentlichungen. Er nutzt seine Expertise, um die Ergebnisse zu beurteilen und einzuordnen – ein nachgelagertes Peer Review sozusagen.

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China Verursacher der Pandemie?

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Ist China Schuld an der Corona-Pandemie?

Kein Fachwissen, kein Verständnis

“Problematisch wird es, wenn außerhalb der Wissenschaft  – etwa von Journalisten – versucht wird, Ergebnisse einzuordnen, deren Vorläufigkeit nicht eindeutig nachvollziehbar ist”, heißt es in der Stellungnahme der DGF. Die Preprint-Studien auf den Servern werden deshalb alle mit einer Art Stempel versehen, der diese Vorläufigkeit deutlich macht.

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Dieses Problem erkennt auch Ulrich Dirnagl: “Studien, die sehr wissenschaftlich daherkommen, geraten an die Öffentlichkeit, obwohl sie kompletter Nonsense sind.” Kein Wunder also, dass Oliver Cornely auf den Peer Review-Prozess besteht.

Peer Review auf der Überholspur

Wenn es wirklich so dringend wie im Moment sei, da das Coronavirus grassiert und schnelles Handeln erforderlich ist, würden auch Fachmagazine den gesamten Publikationsprozess beschleunigen. Diese Erfahrung hat Cornely selbst gemacht.

“Eine Komplikation, die wir bei unseren COVID-19-Patienten beobachten konnten, waren Pilzinfektionen der Lunge”, erzählt Cornely. “Dann haben wir sehr rasch, aber mit einem ordentlichen Peer-Review-Verfahren, ein Paper geschrieben, Fragen zurückbekommen, den Artikel überarbeitet und schließlich publiziert.” Vier, fünf Tage habe das gedauert. Viele Fachmagazine hätten derartige Schnellstraßen für Studien geschaffen, deren Publikation besonders drängt, sagt Cornely.

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Von Asien lernen

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Corona: Was Europa von Asien lernen kann

Kein Garant für gute Forschung

Ulrich Dirnagl warnt allerdings davor, dem Peer Review-Prozess blind zu vertrauen. Konkurrenz unter den Wissenschaftlern veranlasse manch einen Reviewer dazu, ein Paper schlecht zu bewerten, weil er die Studie selbst gern durchführen würde.

Außerdem: “Das Peer-Review-Prozess verhindert praktisch nie wirkliche Fälschungen. Die großen Wissenschaftsskandale sind nicht durch die Reviewer aufgedeckt worden, sondern durch Menschen, die sich die Artikel angesehen und gesagt haben, da stimmt doch was nicht.”

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Manch ein Kollege würde das Peer Review am liebsten ganz abschaffen. Davon hält Dirnagl zwar nichts, aber er sieht durchaus Reformbedarf. Eine Kombination aus Preprint und Peer Review wäre ihm am liebsten.

Um grobe Fehler zu vermeiden, seien sogenannte “Registered Reports” einen hilfreiche Sache, sagt der Wissenschaftler. Dabei wird das Konzept der Studie – Hypothese und Methoden – beurteilt, bevor die Forscher sich in die Arbeit stürzen. “Es ist doch viel vernünftiger, man bekommt eine Meinung der Fachwelt zu dem, was man vorhat”, sagt Dirnagl. Für die COVID-19-Forschung spielt dieses vorgelagerte Gutachten allerdings nur eine geringe Rolle. Dafür ist wahrscheinlich einfach gerade keine Zeit.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Der neue Hauptverdächtige

    Dieses putzige Kerlchen ist ein Marderhund – und Träger bekannter SARS-Viren. Virologe Christian Drosten brachte den Marderhund deshalb als potentielle SARS-CoV-2-Virusschleuder ins Gespräch. “Marderhunde werden in China in großem Stil gefangen oder auf Farmen wegen ihres Fells gezüchtet”, sagte er in einem Interview mit dem Guardian. Für Drosten ist der Marderhund klar der Hauptverdächtige.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Werden Fledermäuse zu Unrecht beschuldigt?

    Bisher gelten Fledermäuse als wahrscheinlichstes Reservoir von SARS-CoV-2. Allerdings gehen Tiermediziner davon aus, dass es im Dezember 2019 in Wuhan noch eine andere Art als Zwischenwirt zwischen ihnen und dem Menschen gegeben haben muss. Nur welche Art das sein könnte, ist bisher unklar.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Oder doch dieser Verdächtige?

    Schuppentiere, auch Pangolins genannt, stehen im Verdacht, der Zwischenwirt des Virus zu sein. Forscher aus Hong Kong, China und Australien konnten jedenfalls in malaysischen Schuppentieren ein Virus nachweisen, dass dem SARS-CoV-2 verblüffend ähnlich ist. Die Studie wurde am 26. März in Nature veröffentlicht. Schuppentiere werden illegal auf chinesischen Wildtiermärkten gehandelt.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Katzen als Virusschleuder?

    Forscher des Tiermedizinischen Forschungsinstituts im chinesischen Harbin konnten zeigen, dass sich das neuartige Coronavirus in Katzen vermehren kann. Die Stubentiger können das Virus auch an Artgenossen weitergeben, allerdings nicht sehr leicht, so die Forscher um Tierarzt Hualan Chen, der seine noch nicht begutachtete Vorab-Studie am 31. März in der Zeitschrift BioRxiv veröffentlicht hat.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Keine Sorge!

    Katzenhalter sollten nicht in Panik geraten: Die Tiere bilden schnell Antikörper gegen das Virus, bleiben also nicht sehr lange ansteckend. Wer unter einer Vorerkrankung leidet oder sehr alt ist, kann ja den Freigang für Hauskatzen vorübergehend einschränken. Gesunde Menschen sollten sich nach dem Streicheln gründlich die Hände waschen.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Ehrenrettung für Hunde

    Anders als bei Katzen konnte sich das Virus bei Hunden nicht gut vermehren, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Also Entwarnung beim Gassigehen oder Agility-Training!


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Wer steckt hier wen an?

    Dieses Hausschwein beim Gassigehen in Rom braucht vor dem Hund jedenfalls keine Angst zu haben. Aber der Hund auch nicht vor dem grunzenden Gegenspieler. Auch Schweine kommen als Reservoir für das Coronavirus kaum in Frage, fanden die Tierärzte heraus.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Quarantäne für Frettchen

    Anders ist es bei diesen kratzbürstigen Mardern. Auch mit Frettchen hat Hualan Chen experimentiert. Das Ergebnis: In ihnen kann sich SARS-CoV-2 genauso wie in Katzen vermehren. Die Übertragung zwischen den Tieren erfolgt als Tröpfcheninfektion. Die Mediziner fanden das Virus in Abstrichen aus Rachen und Nase von Frettchen und Katzen, konnten aber keine Infektion der Lungen nachweisen.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Hühner als Gefahr für den Menschen?

    Auch für den Umgang mit Geflügel – hier ein Händler in Wuhan – geben die Experten Entwarnung. Der Mensch muss sich keine Sorgen machen, denn Hühner sind praktisch immun gegen SARS-CoV-2. Das gilt übrigens auch für Enten und weitere Arten.


  • Der Marderhund als Coronavirus-Schleuder?

    Wenn der Mensch zur Gefahr wird

    Doch nicht nur der Mensch kann sich bei Tieren anstecken, sondern auch umgekehrt. Die vier Jahre alte malaysische Tigerkatze Nadia ist in einem New Yorker Zoo positiv auf das Virus getestet worden. “Es ist – unseres Wissen nach – das erste Mal, dass ein wildes Tier sich durch einen Menschen mit Covid-19 angesteckt hat”, sagte der leitende Tierarzt des Zoos dem Magazin “National Geographic”.

    Autorin/Autor: Fabian Schmidt