Nordkorea zwischen Coronavirus und Raketentests

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Während sich das Coronavirus weltweit ausbreitet, meldet Nordkorea keinen einzigen Fall. Wie zum Beweis provoziert das Regime von Kim Jong Un mit neuen Raketentests. Aber was kann Kim COVID-19 entgegensetzen?

Bei der Corona-Krise ist es wie so oft in Nordkorea: Belastbare Fakten sind Mangelware, stattdessen kursieren Propaganda, Vermutungen und Gerüchte. Nur so viel steht fest: das Regime begann bereits Ende Januar, und damit lange vor Europa, auf die unsichtbare Bedrohung zu reagieren. Die Staatszeitung Rodong Sinmum bezeichnete den Kampf gegen das Virus damals als Angelegenheit des “nationalen Überlebens”.

Dennoch gab die nordkoreanische Regierung am 13. März gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an, im Land gebe es keinen einzigen Fall der neuen Lungenkrankheit COVID-19. Zum gleichen Zeitpunkt meldete das Nachbarland China über 80.000 Infizierte und in Südkorea, der anderen Hälfte der geteilten koreanischen Halbinsel, waren es knapp 8000.

Keine Drills, keine Flugeinsätze

Nordkorea steht heute weitgehend still. Es herrscht eine Ein- und Ausreisesperre, Flug- und Schienenverkehr sind ausgesetzt, Schulen und Universitäten geschlossen. Alle Ausländer im Land wurden unter eine 30-tägige Quarantäne gestellt, auch Diplomaten waren davon nicht ausgenommen – und dürfen sich nur noch sehr eingeschränkt bewegen. Deutschland zog daraufhin Ende Februar sein Botschaftspersonal ab. 

Einkaufen mit Gesichtsmaske: dieses Foto entstand am 28.02 in einem Supermarkt in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang

Auch das allgegenwärtige Militär der selbsterklärten Atommacht ist von den Maßnahmen nicht ausgenommen. So berichtete der Kommandeur der US-Streitkräfte in Südkorea, General Robert Abrams, am 13. März, Nordkoreas Streitkräfte seien “etwa 30 Tagen eingeschlossen” gewesen und hätten “erst vor kurzem wieder mit dem Routinetraining” begonnen.

Als Beispiel führt der US-General die nordkoreanische Luftwaffe an: “Sie haben 24 Tage lang kein Flugzeug geflogen.” Die US-Armee sei sich “ziemlich sicher”, so Abrams, dass es auch in Nordkorea COVID-19-Fälle gebe.

Trump schreibt Kim Jong Un

Die Diktatur setzt auf totale Kontrolle nach innen. Nach außen sendet Nordkorea das eindeutige Signal, sich von niemandem etwas vorschreiben lassen zu wollen: So testete das Land ausgerechnet im März, als immer mehr Staaten steigende Infektionsraten meldeten, demonstrativ viermal ballistische Raketen. 

Dieses Foto wurde am 22. März von der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA veröffentlicht

Ein Verstoß gegen UN-Sanktionen mit Ansage: Schon zu Jahresbeginn hatte Machthaber Kim Jong Un verkündet, sein Land würde sich nicht mehr an das Moratorium für Atomversuche und Tests von Interkontinentalraketen halten.

Einen Tag nach dem dritten nordkoreanischen Raketentest  sorgte am 22. März eine Meldung der staatlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA für Schlagzeilen: KCNA berichtete von einem persönlichen Brief des amerikanischen Präsidenten Donald Trump an Machthaber Kim Jong Un. Als Quelle wird dessen Schwester zitiert.

Demnach soll Trump in seinem Brief nicht nur auf eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen gedrungen, sondern auch eine Zusammenarbeit bei der Seuchenbekämpfung vorgeschlagen haben. Das Weiße Haus bestätigte das Schreiben, ohne auf Einzelheiten einzugehen.

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Trump und Kim in Hanoi

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Im Februar 2019 trafen sich Kim und Trump in Hanoi

Wahrheit oder Corona-Lüge

Weltweit sind inzwischen (Stand: 07.04.2020, 9:30 Uhr MESZ) mehr als 1,3 Million Menschen infiziert, fast 75.000 Patienten haben ihre Corona-Infektion nicht überlebt. Doch an der offiziellen Aussage des Regimes in Pjöngjang hat sich bis heute nichts geändert: Null Fälle von COVID-19 in Nordkorea, heißt es nach wie vor.

Es sei “extrem unwahrscheinlich”, dass es dort noch keine Infektionen gebe, meint Andray Abrahamian. Der Brite lehrt am Zentrum für Sicherheitspolitik an der George Mason Universität im südkoreanischen Incheon. Er hat Nordkorea in den vergangenen 15 Jahren immer wieder bereist. Die Informationslage aus dem Land habe sich durch das Coronavirus verschlechtert, gibt er gegenüber der DW an. “Es sind noch weniger Nachrichten verfügbar als sonst, weil einfach weniger Menschen ein- und ausreisen.”

Ähnlich sieht es auch die US-Journalistin Jean H. Lee. Sie war zwischen 2008 und 2017 regelmäßig in Nordkorea. Von 2011 bis 2013 verbrachte sie als Auslandskorrespondentin der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press viel Zeit in Pjöngjang. Heute leitet sie das Korea-Programm am Washingtoner Woodrow Wilson Zentrum. 

“Leider gibt es derzeit nur noch sehr wenige Ausländer vor Ort, die einen besseren Überblick über das, was sich abspielt, liefern könnten”, berichtet Lee. Für Ausländer sei es nahezu unmöglich, in die Nähe eines Krankenhauses zu kommen, um zu sehen, was dort vor sich geht. “Das Coronavirus hat es dem Regime erlaubt, die Bewegungsfreiheiten der Menschen noch stärker als sonst einzuschränken.”

Dass es Corona-Fälle gibt, davon ist auch Lee überzeugt. Dem Dementi der Regierung vertraut sie nicht. “Angesichts des Verkehrs über die lange gemeinsame Grenze mit China fällt es mir schwer, das zu glauben.” Über mehr als 1400 Kilometer erstreckt sich diese Grenze.

Ohne seine Schutzmacht China ist Nordkorea kaum überlebensfähig. Nach Angaben des angesehenen Nordkoreaportals 38North riegelte Nordkorea seine Grenzübergänge mit China gegen Ende Januar für Reisende und für den Güterverkehr ab. Nur noch ein Übergang sei für den Warenimport geöffnet, unter strengen Quarantäne-Vorschriften.

Doch bis zur Abriegelung hatte sich das Virus in China bereits seit zwei Monaten ausgebreitet – und es erscheint unwahrscheinlich, dass es ausgerechnet vor der Grenze des Nachbarn Nordkorea Halt gemacht haben soll, der auf den Austausch mit China dringend angewiesen ist. 

Ungeklärte Todesfälle

Am 9. März meldete die Internetzeitung Daily NK, dass 180 nordkoreanische Soldaten “an Symptomen gestorben sind, die möglicherweise durch das neue Coronavirus verursacht wurden”. Militärkrankenhäuser hätten Methanol versprüht, um betroffene Bereiche zu desinfizieren. Rund zwei Wochen später, am 25. März, folgte dann die Schlagzeile: “Elf Häftlinge des Chongori-Gefängnisses sterben nach Atemleiden”. Offiziell sei ein “schwaches Immunsystem” als Todesursache angegeben worden, allerdings sei später das gesamte Gefängnis desinfiziert worden.

Die Redaktion der 2005 gegründeten Internetzeitung Daily NK sitzt in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul und unterhält nach eigenen Angaben ein umfassendes Netz an Informanten in Nordkorea. Wie viele es sind, dazu schweigt Daily NK. Die Quellen müssten geschützt werden. Man habe über das ganze Land verteilt Kontaktpersonen, heißt es auf DW-Anfrage. Jede Geschichte habe mindestens zwei Quellen. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

“Allgemein haben unsere Informanten berichtet, dass die Behörden viele Todesfälle mit COVID-19 Symptomen als akute Lungenentzündung eingestuft haben”, so Daily NK gegenüber der DW. Die Indizien für einen Ausbruch der Viruserkrankung in Nordkorea seien “überwältigend”.

Staatliche Propaganda

Auch die nordkoreanischen Staatsmedien – wie die Nachrichtenagentur KCNA oder die Tageszeitung Rodong Sinmun – berichten im Akkord über die Pandemie. Auf dem Portal KCNAWatch, wo englische Fassungen sämtlicher Artikel gesammelt sind, finden sich unter dem Suchbegriff COVID-19 am 07.04 mehr als 500 Einträge.

Der Tenor ist klar: Es geht darum zu zeigen, was Nordkorea alles tut, um einen Ausbruch im eigenen Land zu verhindern. Gleichzeitig wird darüber berichtet, wie sich die Fallzahlen beim Erzfeind im Süden entwickeln, um die Überlegenheit des eigenen Systems zu betonen. Am Morgen des 07.04 erfasst die Datenbank der Johns Hopkins Universität in Baltimore für Südkorea mehr als 10.300 Fälle, darunter 192 Todesfälle.

Dieses Foto entstand am 19. März in einer Seifenmanufaktur in Pjöngjang

Schwaches Gesundheitssystem

Nordkorea hat rund 25 Millionen Einwohnern. Sollten sich die Vermutungen eines Corona-Ausbruchs bestätigen, stünde das Gesundheitssystem vor einer Aufgabe, die ohne Hilfe von außen nicht zu bewältigen ist. “Die Bevölkerung ist aufgrund von chronischer Unterernährung insgesamt sehr anfällig” für Infektionskrankheiten, sagt die ehemalige Nordkorea-Korrespondentin Jean H. Lee. Sie war zuletzt 2017 im Land.

Immer wieder hat Lee auch selbst Krankenhäuser besucht. “Die Kliniken sind viel zu schlecht ausgestattet, um mit einer Epidemie dieses Ausmaßes fertig zu werden.” Es fehle an den einfachsten Dingen. “Eine der wichtigsten Schutzmaßnahmen ist das Händewaschen mit warmem Wasser und Seife. Beides ist in Nordkorea Mangelware.” Viele Krankenhäuser würden nicht über fließendes Wasser, Seife und Desinfektionsmittel verfügen.

Das treffe vor allem für die medizinischen Einrichtungen in den ländlichen Gebieten zu, schreibt das UN-Nothilfebüro (UNOCHA) am 25. März: “Schätzungen zufolge haben etwa neun Millionen Menschen nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten.”

Jean H. Lee: “Die Bevölkerung ist aufgrund von chronischer Unterernährung insgesamt sehr anfällig”

UNOCHA warnt vor dramatischen Versorgungsengpässen – die dazu führen könnten, dass beispielsweise 95.000 akut unterernährte Kinder nicht behandelt werden. Die ergriffenen Maßnahmen Nordkoreas, wie die Grenzschließungen und die zehntägige Quarantäne für eingeführte Güter, hätten zu “Verzögerungen bei der Einfuhr von Materialien” sowie zu einem “Beinahe-Handelsstillstand” geführt. Davon betroffen seien auch medizinische Versorgungsgüter. Es sei damit zu rechnen, dass “die meisten Vorräte im Land – einschließlich der Impfstoffe – bis zum zweiten Quartal 2020 aufgebraucht sind”.

Hilfslieferungen aus dem Ausland

Am 26. Februar hatte das russische Außenministerium angegeben, 1500 Test-Kits nach Nordkorea geschickt zu haben. Auch Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen (MSF) und die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) haben Hilfslieferungen auf den Weg gebracht. Medizinische Güter wie Schutzhandschuhe, Gesichtsmasken, Test-Kits und Antibiotika sind von den UN-Sanktionen zwar explizit ausgenommen. Allerdings muss jede Hilfe vom zuständigen UN-Sanktionsausschuss bewilligt werden.

Wem werden die Hilfsgüter in Nordkorea zugute kommen?

Die Lieferung von MSF soll am 28. März den chinesischen Grenzort Dandong auf dem Weg nach Pjöngjang verlassen haben, die Materialien des IFRC sind noch nicht vor Ort. “Wir sind im Moment noch dabei, die angeforderten Artikel zu beschaffen”, schreibt IFCR-Sprecherin Ellie van Baaren auf DW-Anfrage. Das sei aufgrund der weltweit erhöhten Nachfrage nicht einfach. Mit den nordkoreanischen Behörden arbeite man daran, “schon im Vorfeld eine vorrangige Einreisegenehmigung und Abfertigung zu erwirken”. Wie alle anderen Waren fallen auch medizinische Produkte unter die Quarantäneregeln.

Doch selbst wenn die Güter im Land sind: wie sie in Nordkorea verteilt und genutzt werden, können die ausländischen Hilfsorganisationen nicht kontrollieren. Genauso unklar ist, wo und in welchem Umfang in Nordkorea getestet wird.