Epidemiologe Kurth: Corona-Zahlen sind nicht vergleichbar

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Ein länderübergreifender Vergleich der Corona-Statistiken sei derzeit schwierig, sagt Gesundheitsexperte Tobias Kurth von der Berliner Charité. Im DW-Interview erläutert der Epidemiologe die Gründe.

Deutsche Welle: Wir sehen täglich Statistiken über die Infektions- und Sterblichkeitsraten des Coronavirus in Deutschland. Und wir bekommen diese Statistiken aus Ländern auf der ganzen Welt. Wie aussagekräftig sind diese Zahlen? Sind sie korrekt?

Prof. Tobias Kurth: Die Zahlen [aus Deutschland] sind korrekt. Die Frage ist jedoch, ob man sie tatsächlich mit den Zahlen aus einem anderen Land vergleichen kann. Denn das ist sehr schwierig, da andere Länder ihre Zahlen anders melden. Sie testen anders, oder sie klassifizieren Patienten anders, die am Coronavirus beziehungsweise den damit verbundenen Symptomen gestorben sind.

Es trifft also nicht zu, dass die Zahlen, die wir in Deutschland melden, nicht richtig sind. Schwierig wird es nur, wenn man diese Zahlen mit den Zahlen aus einem anderen Land – zum Beispiel Italien – vergleicht.

Könnten Sie das weiter ausführen und uns ein Beispiel für einen Vergleich mit einem anderen Land geben?

Wenn Sie beispielsweise eine andere Bevölkerungsgruppe auf das Coronavirus testen [als in einem anderen Land], haben Sie eine ganz andere Gruppe von Menschen, die möglicherweise positiv auf das Virus getestet werden.

In Deutschland liegt das Durchschnittsalter der positiv Getesteten bei etwa 45 Jahren. In Italien liegt das Durchschnittsalter bei über 60 Jahren. In Deutschland haben wir demnach eine größere Gruppe von jüngeren Menschen, die positiv getestet werden. Das bedeutet aber auch, dass die Gruppe in Italien älter ist.

Und wir wissen, dass höheres Alter ein größerer Risikofaktor für den Tod durch eine Coronavirusinfektion ist. Da aber das Durchschnittsalter der Menschen, die an COVID-19 sterben gleich ist – etwas über 80 Jahre in beiden Ländern -, sollte es nicht verwundern, dass die absoluten Zahlen in Italien im Vergleich zu Deutschland höher sind. 

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Deutschland und die Corona-Krisenbewältigung: Gespräch mit Tobias Kurth, Epidemiologe

Es gibt noch einen weiteren Faktor, der im Moment vielleicht nicht so relevant ist. Aber die unterschiedlichen Sterblichkeitsraten in den verschiedenen Ländern, zum Beispiel in Italien und Deutschland, könnten auch auf bestimmte soziale Strukturen zurückzuführen sein.

Wir wissen, dass ältere Menschen in Italien im Vergleich zu Deutschland besser in das soziale Leben integriert sind. Das ist in der Regel eine gute Sache. Aber in diesem Fall erhöht sich so die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken.

Und die älteren Menschen sind diejenigen, die eher an dieser Krankheit sterben. Das könnte auch einige der Unterschiede erklären, die wir im Vergleich zu Deutschland sehen, wo die älteren Menschen im Vergleich zu Italien vielleicht etwas isolierter leben.

Wissen wir, wie viele Todesfälle normalerweise zu dieser Jahreszeit auftreten? Wie hoch ist die normale Zahl im Vergleich zu dem, was wir jetzt erleben? 

Das ist eine sehr gute Frage und eine sehr wichtige Frage. Diese Zahlen sind eigentlich sehr wichtig, um zu sehen, ob die Gesamtmortalität wirklich ansteigt. Berichte aus Italien deuten darauf hin, dass zumindest in einigen Regionen die Zahl der Menschen, die jetzt sterben und nicht als Coronavirus-Patienten eingestuft werden, ebenfalls zunimmt. Es ist also wahrscheinlich, dass es zu jedem Corona-Toten eine weitere Person gibt, die am Coronavirus gestorben ist, aber nicht als solche erfasst wurde.

Allerdings hängt es vom Land ab, ob Sie Daten darüber erheben, wie viele Menschen zum Beispiel in der letzten Woche gestorben sind, um dies mit der durchschnittlichen Sterblichkeitsrate in dieser Woche für die letzten fünf Jahre vergleichen zu können. Wenn es einen Anstieg gibt, würde man dann möglicherweise ein Warnsignal sehen, dass etwas schief läuft. 

Nur wenige Staaten melden ihre Daten an eine europäische Datenbank, so dass Sie diese Zahlen ziemlich schnell vergleichen können. Und soweit ich weiß, haben wir diese Daten in Deutschland im Moment auch nicht verfügbar.

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Es wird demnach also nicht wirklich genug getan, um diese Zahlen mit den Todesfällen von COVID-19 zu vergleichen, weil die Daten nicht vorhanden sind?

Zumindest nicht in Deutschland. Aber mir sind Berichte aus Italien bekannt, dass sie genau dies tun. Sie vergleichen die Zahl derjenigen, die in einer bestimmten Woche – sagen wir, in der letzten Woche – gestorben sind, mit den Todesfällen in dieser Kalenderwoche eines früheren Jahres oder im Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Und da erkennt man einen deutlichen Höhepunkt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir in Deutschland oder anderswo einen gewaltigen und vielleicht unerwarteten Anstieg der Todesfälle erleben werden, weil nicht alle Coronavirus-Todesfälle als Coronavirus-Todesfälle registriert werden? 

Ich glaube, dass wir in Deutschland mehr Menschen an dem Coronavirus sterben sehen werden. Und irgendwann in der Zukunft werden wir wissen, ob es auch einen Anstieg der Gesamtsterblichkeit gab, der wahrscheinlich ebenfalls durch das Coronavirus verursacht wurde, aber noch nicht erfasst ist.

Weltweit könnte das gleiche gelten, denn wir testen nicht jeden. Außerdem testen wir eine Person, die [als Nicht-Coronavirus-Patient] stirbt, nicht darauf, ob sie tatsächlich eine Coronavirus-Infektion hatte. Aber das würde es uns erlauben, Menschen anders zu klassifizieren, als wir es derzeit tun. Ja, es wird also eine sehr große Zahl von Menschen geben, die am Coronavirus sterben, die wir aber derzeit nicht erkennen und auch nicht melden.

Professor Tobias Kurth ist Direktor desInstituts für Öffentliche Gesundheit an der Charité – Universitätsklinik in Berlin

Das Interview führten Charli Shield und Zulfikar Abbany. 


  • Finger weg! – Wo lauern die Coronaviren?

    Verseuchte Türklinken

    Die bisher bekannten Coronaviren bleiben im Schnitt etwa vier bis fünf Tage auf Oberflächen wie Türklinken infektiös. Wie alle Tröpfcheninfektionen verbreitet sich auch SARS-CoV-2 über Hände und Oberflächen, die häufig angefasst werden. Obwohl das Virus neu und deshalb weitgehend unbekannt ist, gehen Experten davon aus, dass viele Untersuchungsergebnisse über bekannte Coronaviren übertragbar sind.


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    Nicht so lecker!

    Eine gewisse Vorsicht ist deshalb beim Mittagessen in der Kantine geboten – sofern diese nicht längst geschlossen ist. Grundsätzlich können Coronaviren durch direktes Niesen oder Husten einer infizierten Person auf Besteck oder Geschirr gelangen. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) schreibt allerdings, es sind “bisher keine Infektionen mit SARS-CoV-2 über diesen Übertragungsweg bekannt”.


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    Müssen Eltern eine mögliche Infektion durch importiertes Spielzeug fürchten? Laut BfR gibt es bisher keine Fälle, bei denen eine Infektion durch importiertes Spielzeug oder andere Waren nachgewiesen wurde. Erste Laboruntersuchungen zeigen, dass die Erreger bis zu 24 Stunden auf Karton und bis zu drei Tagen auf Plastik und Edelstahl infektiös bleiben können.


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    Kann mein Hund mich anstecken oder ich meinen Hund? Das Risiko, dass Haustiere mit dem Coronavirus angesteckt werden, wird von Experten zwar als sehr gering eingeschätzt. Ausschließen können sie es aber nicht. Die Tiere selber zeigen keine Symptome, sie erkranken also nicht. Sind sie aber infiziert, ist es möglich, dass sie über ihre Atemluft oder über Ausscheidungen Coronaviren übertragen.


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    Ein Gutes hat der Ausbruch von COVID-19: China hat den Verzehr von Wildtieren verboten. Vieles deutet darauf hin, dass das neue Coronavirus von einer Fledermaus auf den Menschen übertragen wurde. Die Fledermaus trägt daran wenig Schuld, sie hatte – wahrscheinlich gegen ihren Willen – auf einem chinesischen Markt Kontakt zum Menschen.

    Autorin/Autor: Julia Vergin