Coronavirus trifft Wirtschaft auf dem “platten Land”

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Das Virus unterscheide nicht zwischen alt und jung oder arm und reich, heißt es. Doch unterscheidet es zwischen Ballungszentren und dem ländlichen Raum? Beispiele aus dem nordwestlichen Deutschland zeigen, ob das so ist.

Das öffentliche Leben in Deutschland ist weitgehend zum Stillstand gekommen. Tägliche Berichte aus der Hauptstadt und den anderen Ballungszentren der Republik veranschaulichen das: Die Straßen oft menschenleer, die meisten Geschäfte geschlossen, das kulturelle Leben auf Null zurückgefahren.

So sieht es auf dem Land aber doch immer aus, spötteln Städter. Wo er Hund begraben ist, spüre man nicht die Corona-Krise sondern nur die übliche Langeweile. Das weisen die Landbewohner genervt oder entrüstet zurück – und ein genauerer Blick entlarvt dieses Vorurteil schnell.

Der verzerrte Blick entsteht, wenn man nur auf die Zahlen schaut und sie nicht in Relation zu Bevölkerungszahl und -dichte stellt: Laut Robert-Koch-Institut (RKI) gab es (Stand: 2. April 2020) 73.522 Infizierte Menschen und 872 Tote im ganzen Land. Im bevölkerungsreichsten Bundesland, in Nordrhein-Westfalen, sahen die Zahlen so aus: 16.344 Menschen infiziert, 180 gestorben. Im Landkreis Leer (Bundesland Niedersachsen) waren zum selben Zeitpunkt 44 Infizierte registriert und ein Toter zu beklagen. Doch besonders in diesem Fall erzählen Zahlen eben nicht die ganze Geschichte.

Städte ohne Menschen

In der Tat ist die Krise auch “auf dem Land” angekommen: Zum Beispiel in Leer, Ostfriesland. Die 34.000-Einwohner-Stadt bezeichnet sich selbst als das “Tor zu Ostfriesland” und liegt in diesen Tagen wie ausgestorben da. Wie in fast allen Städten des Landes arbeitet hier kaum noch jemand und zum Einkaufen kommt auch niemand mehr.

Für den Landkreis Leer, in dessen 19 Gemeinden knapp 170.000 Menschen leben, gilt das Gleiche. Wer kann und darf, arbeitet von zu Hause aus – und hat Glück, weil seit Beginn dieses Jahres die meisten Haushalte des Kreises per Glasfaserkabel an ein Breitbandnetz angeschlossen sind. In den Einkaufszentren auf der grünen Wiese haben Apotheken und die großen Lebensmittel-Discounter geöffnet, alle anderen Geschäfte sind geschlossen.

Nicht nur, wenn ein Erstligaverein vorbeischaut (hier die Profis aus Köln), ist die Hänsch-Arena in Meppen gut besucht

Meppen oder München

Südlich des Landkreises Leer liegt das Emsland, in dessen größter Stadt der Fußballverein SV Meppen beheimatet ist. Der Sportverein spielt zurzeit in der dritten Liga und liegt dort auf einem Platz im vorderen Mittelfeld. Der Fußball, Nummer eins unter den Sportarten in Deutschland und Publikumsmagnet bis in die dritte Liga hinunter, ist ein gutes Beispiel für die Auswirkungen auf die Sport- und Unterhaltungsindustrie. Diese Branche ist auch wunderbar geeignet, branchenweite Vergleiche über Ligen und Bundesländer hinweg zu ziehen.

Der SV Meppen hat seit der Einstellung des Spielbetriebes in der zweiten Märzwoche so gut wie keine Einnahmen mehr. Ohne die Tageskasse bei Spielen fehlen den Vereinen der dritten Liga bis zu 40 Prozent und mehr ihrer Erlöse, von denen sie ihr Personal bezahlen müssen. “Die Personalkosten bestimmen einen sehr großen Teil aller Ausgaben. Wir müssen die Ausgaben reduzieren, um damit den fehlenden Einnahmen zu begegnen”, erklärte Meppens Finanzvorstand Stefan Gette im Namen des Vereins.

Die Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle arbeiten daher seit Ende März in Kurzarbeit – wie übrigens bei allen Drittligisten, ob sie nun aus dem Emsland kommen oder aus einer Millionenstadt wie München. Stefan Gette betont die Dringlichkeit der Lage: “Es geht darum, durch Sparmaßnahmen eine drohende Insolvenz zu vermeiden.”

Ein Kreuzfahrtschiff verlässt das Baudock der Meyer-Werft in Papenburg, dem größten Arbeitgeber der Region

Die Krise ist “deutlich zu spüren”

Der größte Arbeitgeber des Emslandes ist die Papenburger Meyer-Werft. Fast in Sichtweite zu Ostfriesland werden hier große Kreuzfahrtschiffe für den internationalen Markt gebaut. Ihre Überführung über die Ems durch die Felder Ostfrieslands ist jedes Mal ein großes Ereignis, von Tausenden Schaulustigen auf den Deichen begleitet.

Der DW teilte die Werft auf Anfrage schriftlich mit, dass zurzeit weder ein Rückgang bei den Bestellungen vorliege, noch die Werft ihre Arbeit einschränken müsse. Im Gegenteil: Unter Beachtung “der gebotenen Maßnahmen” liefen alle Arbeiten weiter. Zu diesen Maßnahmen zählten, so die Werft, “umfangreiche Präventionsmaßnahmen wie Homeoffice, Schließung der Kantinen, Entzerrung der Menschen auf dem Werftgelände, und die Erhöhung der Hygienemaßnahmen z.B. durch mehr Desinfektionsmittelspender”.

Zusammenfassend teilte die Werft mit: “Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere Werft sind, auch wegen der umfangreichen umgesetzten Präventionsmaßnahmen, deutlich zu spüren und vielfältiger Natur.” Zu weiteren Details, insbesondere der Frage nach einer möglicherweise existenzbedrohenden Lage, wollte das Unternehmen “keine weiteren Angaben” machen.

Ostfriesland (Ditzum an der Emsmündung) ist zwar ruhig und beschaulich, doch die aktuelle Krise findet auch hier statt.

Ein globales Problem

Etwas weiter die Ems hinab in Richtung Nordsee, zwischen Papenburg und der Seehafenstadt Emden, liegt Leer. Die Stadt ist nicht nur ein geschäftliches Mittelzentrum für die Region südliches Ostfriesland, sondern sie ist außerdem ein bedeutender Standort für Reeder. Deren Geschäft zeigt exemplarisch, wie eng ganze Wirtschaftszweige in Deutschland miteinander verwoben sind und wie sehr eine Unterscheidung nach “Stadt” und “Land” in weiten Teilen längst überholt ist.

Während für die meisten Betriebe in Leer das Gleiche gilt wie für die anderen befragten Betriebe in Meppen oder Papenburg, spürt die Leeraner Reederei Hartmann die Auswirkungen der Corona-Krise sogar im Wortsinne global.

Während sich die Reederei “grundsätzlich nicht zu internen Abläufen äußert”, wies die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Managerin Anke Borkott der DW gegenüber auf einen anderen Aspekt hin: “Die eigentliche Herausforderung ist, dass es in den meisten Regionen der Welt kaum noch möglich ist, die Crews an Bord der Schiffe abzulösen. In vielen Häfen sind Crew-Wechsel (wegen der geltenden Corona-Beschränkungen. d.Red) generell untersagt”.

Das sei jedoch nichts, was nur die Reederei Hartmann betreffe, sondern es träfe die ganze Branche – und zwar global: “Das ist ein Problem, das weltweit Tausende von Seeleuten betrifft.”