BKA-Chef: “Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind”

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Immer wieder wird dem Bundeskriminalamt und anderen Sicherheitsbehörden vorgeworfen, zu wenig gegen Rechtsextremismus zu tun. Ist der Vorwurf berechtigt? Eine Analyse von Marcel Fürstenau.

Beim BKA geht der Blick immer stärker nach rechts

Wenn der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA) öffentlich in Erscheinung tritt, dann stets freundlich und ruhig. Am Freitag beantwortet Holger Münch auf einer Pressekonferenz in Berlin über eine Stunde lange geduldig die Fragen zum rechtsterroristischen Attentat in Hanau. Neun Menschen mit ausländischen Wurzeln hat der mutmaßliche Täter Tobias R. erschossen. Münch stellt sich selbst nun die gleichen Fragen, die auch Journalisten und Politiker haben – zum Beispiel: “Welche Anlässe hätte es möglicherweise gegeben, um das Risiko, das von dieser Person ausgeht, rechtzeitig zu erkennen?”

In dieser Frage schwingt der Zweifel mit, ob die von ihm geleitete Behörde, das BKA, bei Tobias R. vielleicht nicht richtig hingeschaut hat? “Ich kann Ihnen diese Frage noch nicht beantworten”, gibt Münch offen zu. Er spricht von einem “blinden Fleck”, schiebt aber gleich einen Satz hinterher: “Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind.” Die Frage sei, “was wir damit sehen?”. Oft ist es wenig, im schlimmsten Fall gar nichts. Das große Problem seien Täter, “die ohne Strukturen zur Tat schreiten”, sagt der BKA-Chef.

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Rechte Gewalt in Deutschland

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Tobias R. aber auch der mutmaßliche Attentäter des Anschlags auf die Synagoge in Halle (Bundesland Sachsen-Anhalt) scheinen diesem Typus zu entsprechen. Zwar haben sie im Internet Spuren ihres Hasses auf Ausländer, Juden oder Muslime hinterlassen – aber das tun tausende Gleichgesinnte auch. Die meisten bleiben bislang unbehelligt. Um solche Leute künftig besser verfolgen und härter bestrafen zu können, hat die Bundesregierung am Mittwoch einen Gesetzentwurf vorgelegt. Zu den zentralen Punkten gehört eine Meldepflicht an das BKA bei schwerer Hasskriminalität.

Die Gefährder-Analyse soll verbessert werden 

Die Politik reagiert damit auf einen Wunsch, den Holger Münch schon länger hatte. Spätestens nach der Ermordung des Kommunalpolitikers Walter Lübcke im Juni 2019 hat der Kampf in deutschen Sicherheitsbehörden gegen Rechtsextremismus Vorrang. Beim BKA entsteht gerade eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet. Das dafür benötigte zusätzliche Geld und Personal hat der Bundestag bereits genehmigt.

Nach dem Attentat in Hanau: BKA-Präsident Holger Münch (2.v.l.) auf einer gemeinsamen PK mit Innenminister Horst Seehofer, Justizministerin Christine Lambrecht und Generalbundesanwalt Peter Frank (v.r.n.l.)

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Analyse und Überwachung sogenannter Gefährder. Damit sind Personen gemeint, denen Sicherheitsbehörden Anschläge zutrauen. “Nicht ganz 60” gibt es davon nach Münchs Angaben im Bereich Rechtsextremismus – “mit stark steigender Tendenz.” Diese Entwicklung beobachte das BKA schon seit zwei, drei Jahren. Zum Vergleich: Bei den polizeibekannten und gewaltbereiten Islamisten sind fast 700 als Gefährder eingestuft. 

Zusammen mit den Landeskriminalämtern (LKA) überprüft das BKA inzwischen auch das “rechte Personenpotenzial, einzeln nacheinander”. Anders als früher wird dabei das persönliche Umfeld mutmaßlicher und überführter Täter schärfer in den Blick genommen. So will man “Schlüsselpersonen” herausfinden, die als Gefährder eingestuft werden müssen, aber auch bislang unbekannte Figuren im rechtsextremen Milieu. “Hier haben wir einen weiteren Ansatz, Netzwerke aufzuhellen”, hofft Münch.

Vom Wort zur Tat? BKA-Präsident Holger Münch rechnet damit, dass die Zahl der rechtsextremistischen Gefährder wächst

Der BKA-Präsident betont, in seiner Gefährdungsbewertung schon länger nicht  nur das Risiko von schweren Gewalttaten zu sehen, “sondern auch die Bildung von terroristischen Gruppierungen”. Jüngstes Beispiel ist die Festnahme von zwölf Terrorverdächtigen Mitte Februar. Die Männer wollten nach bisherigen Erkenntnissen mit Anschlägen auf Politiker, Asylbewerber und Muslime “bürgerkriegsähnliche Zustände” herbeiführen.

Auch die AfD gerät immer stärker in den Fokus

Ohne die Unterstützung anderer Sicherheitsbehörden und ziviler Organisationen wird das BKA allerdings kaum erfolgreich sein. Besonders intensiv ist der Informationsaustausch mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Auch beim Inlandsgeheimdienst genießt der Kampf gegen Rechtsextremismus inzwischen Priorität. Allerdings war der Nachholbedarf bei dieser Behörde besonders groß. Welche Rolle das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz bei der Terrorgruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU) gespielt haben, ist nach wie vor ungeklärt.

Die Junge Alternative (JA) und der völkische “Flügel” der AfD sind im Visier des Verfassungsschutzes

Unter BfV-Präsident Thomas Haldenwang findet indes seit 2018 ein Kurswechsel statt. Wie beim BKA fließt mehr Geld und Personal in “Früherkennungs- und Analysefähigkeiten”. Ziel sei unter anderem ein “digitales Lagebild, um die Laufwege von Hass und Hetze besser nachzuzeichnen und Radikalisierungsverläufe zu erkennen”.

Der Verfassungsschutz hat eine Hotline für Hinweise zu Rechtsextremismus  

Große Hoffnungen setzt Haldenwang zudem auf das im Oktober 2019 freigeschaltete Hinweistelefon “Rechtsextremismus/-Terrorismus, Reichsbürger und Selbstverwalter”. Schon der Name zeigt, wie sehr der Verfassungsschutz seinen Blick geweitet hat. Das schließt die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) ein, die seit Anfang 2019 teilweise ein Verdachts- und Prüffall ist.

Die politische Verantwortung für das BKA und das BfV liegt beim Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er betonte am Freitag in Berlin: “Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz werden alle Möglichkeiten verstärkt nutzen, um Erkenntnisse rechtzeitig zu gewinnen.” Wie schwer das ist, zeigt das Attentat in Hanau auf schreckliche Weise.