Catherrine Leclery: “Wir alle sind Drags”

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Mit Schminke, Stöckelschuhen und Hüftschwung bezaubert die Drag Queen Catherrine Leclery ihr Publikum. Geboren ist sie in Brasilien – als André. Ein Gespräch über Dragkunst, Liebe und den Karneval in Rio und Köln.

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Catherrine Leclery über Dragkunst, Liebe und Karneval

Lippenstift, Mascara, Puder – etwa 100 Accessoires stecken in dem kompakten Hartschalenkoffer. Er packt jedes einzelne aus und legt es auf den Schminktisch, adrett, akkurat, alles hat seine Ordnung. In den kommenden 45 Minuten wird sich André in Catherrine verwandeln. Wie fast jeden Tag. Jeder Handgriff sitzt: Perücke, Stöckelschuhe, elegantes Kostüm. “It’s show time, baby”, sagt jetzt sie. Catherrine Leclery ist fertig für den Abend.

Was ist Dragkunst?

“Wir kommen alle nackt auf die Welt, alles andere ist Drag”, ist ein berühmtes Zitat von RuPaul, einem US-amerikanischen Moderator und Trendsetter in der Drag-Queen-Szene. Auch für Catherrine Leclery ist klar: “Wir sind alle Drags. Es gibt Frauen, die sich schminken, wenn sie in eine Bar gehen, sie tragen hohe Absätze, machen sich die Haare schön, legen Schmuck an. Die Männer machen sich den Bart, ziehen sich schick an. Das alles ist auch eine Art von Drag”, sagt Leclery. Sich selbst sieht sie als Künstler. “Ich liebe es, mich zu verwandeln und auf eine positive Weise die Menschen zu schockieren.”

Aus André wird Catherrine Leclery

Catherrine Leclery wurde als André geboren – in Südbrasilien. 1995 reist er zusammen mit seiner Mutter nach Deutschland: Sie wollen Urlaub machen und eine Freundin in Düsseldorf besuchen, mit dem Rückticket in der Tasche und einer Perücke im Koffer. Doch es kommt anders als geplant. Eines Abends besucht er eine brasilianische Bar in Düsseldorf, er wird entdeckt und kriegt wenige Tage später einen Vertrag vorgelegt. “Oh, großzügig, habe ich mir gedacht. Ist das etwa mein Monatsgehalt? ‘Nein’, sagte der Veranstalter. Das ist Deine Tagesgage. Ich habe mich einfach umgedreht, meiner Mutter ein Küsschen gegeben und gesagt: Ich bleib hier.”

Seitdem tourt Catherrine Leclery nicht nur durch Deutschland, sondern weltweit und macht eine Show nach der anderen. Schrill, laut, unterhaltsam. Vergangenes Jahr war ein ganz besonderes für sie: Sie war die erste Drag Queen, die jemals im ersten Wagen beim Karneval in Rio mittanzen durfte. Eine große Ehre und ein großer Schritt in Richtung Akzeptanz und Toleranz.

Der Karneval-Vergleich: Rio versus Köln

“Mangueira ist eine der besten und traditionsreichsten Sambaschulen in Brasilien. Es gibt sie seit 90 Jahren und ich durfte mit dabei sein. Es war fantastisch, ich war auf allen Kanälen, die Reaktionen waren durchweg positiv”, erzählt Catherrine Leclery über ihre Erfahrung im vergangenen Jahr in Rio. Auch in diesem Jahr fliegt sie zum Karneval nach Brasilien. “Köln ist mein Zuhause, ich lebe hier und fühle mich mega wohl, aber für den Karneval fliege ich nach Brasilien. Der brasilianische Karneval ist ein großes Spektakel. Gar keine Frage”, lächelt Leclery.

Die Sambaschule Mangueira ist eine der bekanntesten und erfolgreichsten weltweit

Auch in diesem Jahr wird die Drag Queen dem Kölner Karneval den Rücken kehren – und das nicht nur, weil das Wetter in Rio deutlich wärmer und sonniger ist als im Rheinland. “In Brasilien brauchen wir keine Caipirinha, um Spaß zu haben. Das Tanzen und der Samba-Rhythmus liegen uns im Blut. Hier in Deutschland brauchen die Menschen sehr viel Bier, um locker zu werden. Und ich bin sehr erstaunt, wenn sie schon um 12 Uhr stockbesoffen sind. Leute, es hat doch gerade erst angefangen. Das finde ich sehr schade.” Aber die Freude über Brasilien war nicht immer da, vor allem in der Kindheit, als Catherrine noch ihren Weg suchte.

Mehr Liebe und Respekt, bitte!

Ganz ohne Schminke, Perücke und Stöckelschuhe erzählt André von seiner Kindheit in Brasilien: “Ich war schwarz, arm und schwul. Du musst sehr stark sein und sehr viele Eier in der Hose haben, Du musst kämpfen und weitermachen. Und Dir immer wieder sagen: Es ist mir egal, was die anderen sagen und denken. Ich gehe meinen Weg”, erzählt André. Sein Vater verließ die Familie, als er gerade Mal zehn Jahre alt war. Seine Mutter sei lange nicht mit seinem Schwulsein zurechtgekommen. Sie habe versucht, ihn zum Psychiater zu schicken.

Nur seine Oma, bei der er zum größten Teil aufgewachsen ist, habe ihm den Rücken gestärkt und ihn so akzeptiert, wie er ist. André musste früh lernen, mit homophoben Reaktionen umzugehen. “Nicht nur in Brasilien, auch in Deutschland werde ich mit homophoben Aussagen konfrontiert. Auch hier in Köln, auch wenn man meint, Köln sei liberal. Die Leute heute sind sehr aggressiv. Ich glaube, die Menschen brauchen ein bisschen mehr Liebe.”

Der Weg zum selbstbewussten Auftreten war steinig und schwer

Akzeptieren, dem anderen positiv begegnen, Unterschiede annehmen, das wünscht sich Catherrine Leclery. Drag Queens hätten es leichter als transsexuelle Personen. Sie schlüpfen in eine Figur, werden bewundert, machen eine Show, präsentieren sich als Künstler. Transsexuelle hingegen hätten es deutlich schwerer in der Gesellschaft, sagt Leclery: “Sie werden nicht gern gesehen, weder auf der Straße, noch bei der Arbeit, sie werden nicht akzeptiert, nicht verstanden, anders als eine Drag Queen, die eine Kunstfigur ist. Nach der Show gibt es sie nicht mehr.”

Mama, was ist das?

Das Ziel der Kunstfigur: Aufklären. Mit den Menschen reden. Diese Gelegenheit bekommt sie fast täglich im Restaurant Oscar in Köln, wo sie als Empfangsdame arbeitet, die den Gästen den Tisch zuweist und Reservierungen annimmt. “Oft kommen die Menschen zu mir, wollen Fotos machen. Andere stehen steif da – und wenn sie merken, wie mich andere umarmen und küssen, wollen sie dann auch ein Küsschen von mir haben. Und dann gibt es die, die sehr arrogant und unverschämt sind.” Doch auch mit diesen Leuten kommt Leclery zurecht, sie reagiert höflich aber mit Nachdruck. Das Einzige, was sie will, ist Respekt.

Am schönsten, sagt sie, seien die Kinder. “Manchmal fragen Kinder ihre Eltern: ‘Mama, was ist das? Ein Mann oder eine Frau?’ Die Eltern reagieren oft verlegen. Ich komme aber immer dazu und erkläre es den Kindern, denn sie wollen eine Antwort haben, wir sind ihnen eine Antwort schuldig. Dann sage ich: ‘Warst Du schon mal im Zirkus und hast einen Clown gesehen? Er war geschminkt und hatte eine rote Nase? Er ist Künstler. Das gleiche bin ich – nur ohne eine rote Nase, aber mit Haaren. ‘Meistens bedanken sich die Eltern dann bei mir. Nur, wenn wir es den Kindern erklären, werden sie offener heranwachsen, ohne Vorurteile.” Denn schließlich seien wir alle Drags – auf die eine oder andere Art.