Post-Brexit Trauer im Europaparlament

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Politisch ist der Brexit durch. Die Briten sind raus aus der EU und es beginnen die Verhandlungen über das künftige Verhältnis. Bei der ersten Post-Brexit Sitzung im Europaparlament aber herrscht gedrückte Stimmung.

Europaparlament – in Zukunft ohne die britischen Abgeordneten

Im Prinzip gehört der Brexit schon zehn Tage danach zu den Nachrichten von gestern. Großbritannien hat die EU verlassen und die Karawane zieht weiter. Die Verhandlungspartner in London und Brüssel bringen sich in Position, um im Kampf um das künftige Verhältnis, den Handel und die Zusammenarbeit für ihre Seite das meiste rauszuholen. Die Gefühle der Abgeordneten im Europaparlament aber lassen sich nicht so schnell abschalten. Sie trauern noch um die verlorenen Freunde und Kollegen.

Richard Corbett und die anderen

Über Jahre haben die beiden im Gremienraum der Sozialdemokraten zusammengesessen, der britische Labour Mann Richard Corbett und sein Freund Jens Geier von der SPD, um gemeinsam über die politischen Leitlinien zu beraten. “Hier in der ersten Reihe war sein Platz, direkt neben mir… Die Arbeit mit ihm war wirklich eine Bereicherung, er war ein enorm fleißiger Abgeordneter. Es macht mich einfach traurig”, erinnert sich der Deutsche, und zeigt auf seinem Handy noch ein Video, das die beiden zum Abschied gemacht hatten. Darin versprechen sie sich, dass die Briten irgendwann in die EU zurückkommen werden. Es ist ein bisschen, wie an die Auferstehung zu glauben.

Richard Corbett – kämpferischer Pro-Europäer

Immer wieder war Corbett, einer der kämpferischsten Pro-Europäer in der Labour Party, gegen die Anti-EU Propaganda der Brexit-Party aufgestanden. Aber mit der Wahl von Boris Johnson hatte seine Seite endgültig verloren. Die Sozialdemokraten haben durch den Abzug ihrer britischen Kollegen sechs Sitze im Plenum verloren, das ist ein Verlust auch an politischer Stärke. Aber über allem stehen doch die Gefühle: “Ich vermisse ihn einfach, wir waren im Laufe der Jahre doch Freunde geworden”, sagt Jens Geier. Und es bedrückt ihn, dass die politische Karriere des Briten zugleich mit dem Brexit schlagartig zu Ende gegangen ist.

Zwiespältige Freude bei den Nachrückern

Die meisten der 73 Sitze, die durch den Brexit frei wurden, sind einfach weggefallen. Nur 27 davon wurden an Länder umverteilt, die bisher nach der Verteilungsquote zu wenig Abgeordnete hatten. Der Ire Barry Andrews gehört zu den Gewinnern dieser Lotterie und sitzt jetzt als Nachrücker im Europaparlament. Aber er kann sein Glück nicht so richtig genießen: “Die Freude ist ziemlich gedämpft, denn Irland hat eine große Nähe zum Königreich. Nicht nur in der Politik, sondern auch in unserem kulturellen und sozialen Leben. Ich wäre lieber unter anderen Umständen gekommen. Es tut mir auch leid um unsere liberalen Abgeordneten, die gehen mussten. Ich hatte also persönlich Glück, aber gleichzeitig ist es auch traurig”.

Barry Andrews blickt seiner Zeit im Europaparlament mit gemischten Gefühlen entgegen

Gleich am ersten Tag hält der Ire auch seine Antrittsrede im Plenum, und es geht dabei um das Verhandlungsmandat für Michel Barnier, der für die EU die Gespräche mit der Task Force aus London führen wird. Der Franzose hat im Auftrag der Mitgliedsländer deutliche Forderungen auf den Tisch gelegt – Barry Andrews aber plädiert für einen partnerschaftlichen Ansatz: “Für Irland war der Brexit in den letzten drei Jahren eine existentielle Bedrohung unserer Wirtschaft. Aber wir hatten die Solidarität der Mitgliedsländer und hoffen, sie besteht weiter. Was ich aber betonen will: Wir müssen Großbritannien als Handelspartner, nicht als Konkurrenten betrachten.”

Sollten die Verhandlungen scheitern, sieht das frischgebackene Mitglied des Europaparlaments große Probleme für die irische Landschaft, den Export aber auch für das Karfreitagsabkommen, das schließlich auf der Basis der EU-Mitgliedschaft sehr ausgewogen für den Frieden zwischen Nordirland und der Republik sorgt. Aber noch will er daran glauben, dass die starken Töne von Boris Johnson nur Kraftmeierei sind, und am Ende beide Seiten zu einem vernünftigen Abkommen finden.

Wir wollen Freunde bleiben

In der Cafeteria des Parlaments wird Terry Reintke ein kleiner Union Jack, die britische Fahne präsentiert. “Sind weg”, echt weg”, seufzt sie. Und die Serviererin am Tisch wirft ein: “Genauso ein Fähnchen haben wir auch aufgehoben, hinter unserer Theke. Wir wollen uns doch an sie erinnern”.

Die Grünen- Abgeordnete Reintke hat den Abzug der Briten noch nicht ganz verdaut: “Es ist die erste Straßburg-Woche nach dem Brexit, und es ist alles noch ein bisschen surreal. Die ganze Sitzordnung hat sich geändert im Plenarsaal – sie sind einfach nicht mehr da.”

Terry Reincke glaubt, dass das Leben ohne die Briten ein anderes wird. Im Gegensatz zu der Darstellung in den Medien, wo vor allem die Brexit-Partei mit ihrem Lärm und Störmanövern vorkam, sei die Mehrzahl der Abgeordneten konstruktiv und pragmatisch gewesen. “Sie werden uns bei der Gesetzgebung fehlen, aber auch wegen ihres britischen Humors”. Die Briten machen die besten Witze und veranstalten die besten Parties, so hieß es immer im Europaparlament.

Aber die Grüne will sich nicht bloß in Trauer ergehen: “Wir haben eine EU-UK Freundschaftsgruppe unter Parlamentariern gegründet, denn wir wollen das Band erhalten, das zwischen uns über Jahre gewachsen ist. Es soll Konferenzen geben und Debatten, um den Informationsfluss zu erhalten. Aber es geht auch um die Zuneigung, die wir füreinander haben, die Freundschaft – das verschwindet doch nicht alles wegen des Brexit”.

Terry Reintke blickt optimistisch in die Zukunft und will das beste aus der Situation machen

Natürlich sei so eine Scheidung am Ende eine unumstößliche Tatsache, aber auch dabei gibt es verschiedene Wege, sagt Reincke: “Man kann sich doch nahe bleiben, miteinander reden und versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Oder man dreht sich den Rücken und ist für immer getrennt. Ich glaube, die erste Variante ist besser. Und nach der Übergangsperiode im nächsten Jahr, da hoffe ich auf ein starkes Fundament für unsere Freundschaft”.

Die junge Abgeordnete hätte durchaus auch das Zeug zur Beziehungsberaterin. Nicht alle ihrer Kollegen haben so viel Zuversicht in die Zukunft von Europäern und Briten wie sie. Aber im EU-Parlament sind die zwischenmenschlichen Gefühle noch stark und viele wollen die schönen Diplomatensätze zum Abschied: “Wir wollen weiter Nachbarn und Freunde sein”, gerne in die Wirklichkeit umsetzen.