Tunesien trauert um Lina Ben Mhenni

0
251

Mit einem Staatsbegräbnis verabschiedete sich Tunesien von der Bloggerin Lina Ben Mhenni. Die bekannte Aktivistin, eine der Stimmen des Arabischen Frühlings, war am Montag nach langer Krankheit gestorben.

Lina Ben Mhenni wurde im Ehrenbereich des Hauptfriedhofs von Tunis beigesetzt

Die tunesische Nationalhymne, Gesänge und politische Schlachtrufe hallten über den Jellaz-Friedhof in Tunis, wo hunderte Tunesierinnen und Tunesier Lina Ben Mhenni die letzte Ehre erwiesen. “Ruhe in Frieden, Lina, wir führen den Kampf weiter”, skandierten die Trauernden.

Andere Slogans erinnerten an die Themen, für die sich die Bloggerin Zeit ihres Lebens eingesetzt hatte, für Freiheit und gegen das Vergessen der Diktatur. Eine ehrliche Kämpfernatur sei die zierliche, aber energische Aktivistin gewesen, die sich immer von ihrem Gewissen, nie von politischem Kalkül leiten ließ.

“Sie war ein Symbol der tunesischen Jugend und hat sich immer dafür eingesetzt, die Lebensbedingungen dieser Jugend zu verbessern”, sagt Rached, ein Freund der Verstorbenen. Neben Familie, Freundinnen und Weggefährten kamen Politiker, aber auch Bürgerinnen wie Leila, die die Bloggerin nur aus den Medien kannten, aber von ihrem unermüdlichen Einsatz für andere beeindruckt waren. “Ich hatte das Bedürfnis, dabei zu sein. Für mich hat sie immer die Jugend vertreten, die nicht so leichtfüßig durchs Leben gehen konnte”, so die Mittfünfzigerin.

Lina Ben Mhenni 2011 auf einer Blogger Konferenz in Tunis

Bloggen und aufbegehren

Lina Ben Mhennis Tod hatte in Tunesien große Bestürzung und Anteilnahme ausgelöst. Bereits am Montag hatte Staatspräsident Kais Saïed der Familie Ben Mhennis persönlich kondoliert.

Ben Mhenni bloggte trotz der massiven Zensur und Gängelung von Oppositionellen unter der Diktatur bereits vor dem politischen Umbruch und setzte sich für Meinungsfreiheit ein. Mit ihrem Blog “A Tunisian Girl” wurde sie 2010/2011 auch international bekannt.

Als eine der ersten Bloggerinnen berichtete sie auf Englisch aus der zentraltunesischen Stadt Sidi Bouzid, wo die Aufstände des Arabischen Frühlings ihren Ursprung hatten. Für ihr Engagement für Presse- und Meinungsfreiheit wurde sie als Anwärterin auf den Friedensnobelpreis gehandelt und unter anderem 2011 bei den Weblog-Awards The Bobs der Deutschen Welle ausgezeichnet.

Lina Ben Mhenni bei der Preisverleihung am 20. Juni 2011 beim Global Media Forum in Bonn

Bibliothek im Gefängnis 

Auch als die erste Welle der Aufmerksamkeit nach den Protesten abgeschwächt war, engagierte sich Ben Mhenni weiter für gesellschaftliche und politische Anliegen. Als ihr bei einem Besuch in einem tunesischen Gefängnis die schlechte Ausstattung der Bibliotheken auffiel, organisierte sie eine Spendenaktion für Bücher. Zusammen mit ihrem Vater Sadok Ben Mhenni, einem ehemaligen politischen Häftling, und der Welt-Organisation gegen Folter OMCT sammelte sie so tausende Bücher für die Strafgefangenen.

Besonders am Herzen lag der Englischdozentin und Übersetzerin ihr Engagement für Organspenden. Aufgrund einer chronischen Erkrankung versagten bei ihr 2005 mitten im Studium beide Nieren. Nach zwei Jahren Dialyse erhielt sie 2007 von ihrer Mutter eine Spenderniere.

Demonstration 2011 in Tunis: Beim Arabischen Frühling spielten Frauen eine wichtige Rolle

“Das war sehr schwierig, denn ich stand ein Semester vor dem Abschluss und musste meine Prüfungen schreiben. Ich bin also vom Krankenhausbett in den Prüfungsraum” erinnerte sie sich an diese Zeit zurück. “Hätte ich nicht das Glück gehabt, dass meine Mutter mir eine Niere gespendet hat, wäre ich nicht die Person, die ich heute bin. Ich hätte nicht über die Ereignisse der Revolution berichten können. Die Spende hat mir erlaubt, zu leben. Sie hat mir eine zweite Chance gegeben.”

Obwohl sich der Gesundheitszustand Lina Ben Mhennis in den letzten Wochen stark verschlechtert hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, noch am Jahrestag der Revolution des 14. Januars wie jedes Jahr zur Mahnwache der Familien der Revolutionsopfer zu gehen. Nun ist die 36-Jährige am Montag (27.01.2020) in einem Krankenhaus der Hauptstadt Tunis gestorben.