Genter Altar: Sensationsfund bei Restaurierung

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Jan van Eycks Genter Altar ist ein Meisterwerk der Kunstgeschichte. Bei der Restaurierung stießen die Experten auf ein überraschendes neues Detail: ein Lamm mit menschlichem Antlitz. Das sorgt seitdem für Gesprächsstoff.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Mehr Mensch als Tier

    Links: das Lamm vor seiner Restaurierung. Zwar hat es vier Ohren (eins nur angedeutet), sieht ansonsten aber aus wie ein gewöhnliches Lamm. Rechts: der Lammkopf, den die Restaurierungsarbeiten zutage förderten: Mit seinen frontal im Kopf sitzenden Augen, der schmalen Schnauze und dem stierenden Blick hat er für viele etwas Menschliches – und sorgte deshalb für Aufruhr.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Die Anbetung des Lamm Gottes

    Eingebettet ist das Lamm in diese Szene im Mittelteil des Altars: die Seelenrettung der Menschheit. Sie entstammt einer in der Offenbarung des Johannes geschilderten Vision und zeigt Menschen aller Erdteile, die das Gotteslamm anbeten. Van Eycks Malweise mit ihrer bis in mikroskopische Details durchgehaltenen Wirklichkeitstreue war revolutionär. Warum er beim Lamm davon abwich, bleibt ein Rätsel.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Der Realität ganz nah

    Wie filigran und naturgetreu van Eyck die Vegetation darstellte, wurde ebenfalls erst dank der aufwendigen Restaurierungsarbeiten deutlich. “Botaniker können im Grunde jede einzelne Pflanze auf dem Bild identifizieren”, so Chef-Restauratorin Hélène Dubois. Diejenigen, die nicht bestimmt werden könnten, seien Übermalungen, also nicht von Jan van Eyck.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Farbenpracht wieder sichtbar

    Die Farben erstrahlen nach der Restaurierung in neuem Glanz. Leicht war die Abtragung der Übermalungen, welche van Eycks Original überdeckten, aber keineswegs. Jeder zu tiefe Kratzer hätte einen Schaden in Millionenhöhe anrichten können, so Hilde de Clercq, die an den Arbeiten beteiligt war. Doch es ging alles gut; nur fünf Prozent der originalen Farbe habe man nicht retten können.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Kopie ersetzt Original

    Die Tafel der “gerechten Richter” (Bild) wurde 1934 gestohlen. Heute ergänzt eine Kopie des Gemäldes den Altar. Ein Zoom auf das Bild unterstreicht van Eycks Talent zur naturgetreuen Darstellung einmal mehr. Umhänge, Pelze und Gesichter wirken täuschend echt.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Ausstellung “Eine optische Revolution”

    Vom 1. Februar bis zum 30. April präsentiert das Museum der Schönen Künste Gent eine der wohl kleinsten größten Ausstellungen überhaupt. Gerade mal 20 Werke können Jan van Eyck zugeordnet werden; die Hälfte versammelt das Museum in seiner Schau “Van Eyck. Eine optische Revolution”. Den restaurierten Altar können sich Besucher dann aus nächster Nähe ansehen.

    Autorin/Autor: Bettina Baumann


  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Mehr Mensch als Tier

    Links: das Lamm vor seiner Restaurierung. Zwar hat es vier Ohren (eins nur angedeutet), sieht ansonsten aber aus wie ein gewöhnliches Lamm. Rechts: der Lammkopf, den die Restaurierungsarbeiten zutage förderten: Mit seinen frontal im Kopf sitzenden Augen, der schmalen Schnauze und dem stierenden Blick hat er für viele etwas Menschliches – und sorgte deshalb für Aufruhr.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Die Anbetung des Lamm Gottes

    Eingebettet ist das Lamm in diese Szene im Mittelteil des Altars: die Seelenrettung der Menschheit. Sie entstammt einer in der Offenbarung des Johannes geschilderten Vision und zeigt Menschen aller Erdteile, die das Gotteslamm anbeten. Van Eycks Malweise mit ihrer bis in mikroskopische Details durchgehaltenen Wirklichkeitstreue war revolutionär. Warum er beim Lamm davon abwich, bleibt ein Rätsel.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Der Realität ganz nah

    Wie filigran und naturgetreu van Eyck die Vegetation darstellte, wurde ebenfalls erst dank der aufwendigen Restaurierungsarbeiten deutlich. “Botaniker können im Grunde jede einzelne Pflanze auf dem Bild identifizieren”, so Chef-Restauratorin Hélène Dubois. Diejenigen, die nicht bestimmt werden könnten, seien Übermalungen, also nicht von Jan van Eyck.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Farbenpracht wieder sichtbar

    Die Farben erstrahlen nach der Restaurierung in neuem Glanz. Leicht war die Abtragung der Übermalungen, welche van Eycks Original überdeckten, aber keineswegs. Jeder zu tiefe Kratzer hätte einen Schaden in Millionenhöhe anrichten können, so Hilde de Clercq, die an den Arbeiten beteiligt war. Doch es ging alles gut; nur fünf Prozent der originalen Farbe habe man nicht retten können.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Kopie ersetzt Original

    Die Tafel der “gerechten Richter” (Bild) wurde 1934 gestohlen. Heute ergänzt eine Kopie des Gemäldes den Altar. Ein Zoom auf das Bild unterstreicht van Eycks Talent zur naturgetreuen Darstellung einmal mehr. Umhänge, Pelze und Gesichter wirken täuschend echt.

  • Der Genter Altar: Meisterwerk mit abenteuerlicher Geschichte

    Ausstellung “Eine optische Revolution”

    Vom 1. Februar bis zum 30. April präsentiert das Museum der Schönen Künste Gent eine der wohl kleinsten größten Ausstellungen überhaupt. Gerade mal 20 Werke können Jan van Eyck zugeordnet werden; die Hälfte versammelt das Museum in seiner Schau “Van Eyck. Eine optische Revolution”. Den restaurierten Altar können sich Besucher dann aus nächster Nähe ansehen.

    Autorin/Autor: Bettina Baumann


Jan van Eycks Genter Altar ist fast 600 Jahre alt. Er ist seit jeher Forschungsgegenstand der Kunsthistoriker und wurde mehrfach restauriert. Man sollte meinen, nach all den Jahren seien alle Geheimnisse dieses Werks gelüftet, das in der Malerei wegen seiner wirklichkeitsgetreuen Darstellungen als revolutionär gilt. 

Dass die Annahme weit gefehlt ist, zeigten einmal mehr die Restaurierungsarbeiten der Universität Gent und zahlreicher weiterer Institutionen, die 2012 begonnen und inzwischen vollendet wurden. Im Zuge dessen gab es einen Sensationsfund.

Der Genter Altar ist rund vier mal fünf Meter groß und umfasst 26 Bildtafeln

Mehrfach übermalt 

Das Lamm, das im Zentrum des Altars steht und Jesus Christus symbolisiert – auch die “Anbetung des Lamm Gottes” genannt – wurde bei früheren Restaurierungen mehrfach übermalt. Und mehr noch: 70 Prozent des Altars zeigten schon lange nicht mehr genau das, was Jan van Eyck und dessen Bruder Hubert zwischen 1426 und 1432 erschaffen hatten. Die Restauratoren trugen Übermalungen aus fünf Jahrhunderten ab – und stießen erstmals auf das originale Lamm van Eycks. Das Überraschende: Es ähnelt mehr Mensch als Tier und scheint mit dem Betrachter zu interagieren.

Im Mittelpunkt des Altars: die Szene mit der Anbetung des Lamm Gottes

Till-Holger Borchert, Direktor der Städtischen Museen in Brügge und einer der Kuratoren der Genter Schau “Van Eyck. Eine optische Revolution” bezeichnete den Fund im DW-Gespräch als “spektakulär” und zog die Mona Lisa heran, um die Tragweite der Entdeckung zu veranschaulichen: “Man muss sich vorstellen, dass man sich ständig die Mona Lisa ansieht und plötzlich hat sie einen Bart.”

Die Leiterin der Restaurierungsarbeiten, Hélène Dubois, sagte in einem Interview mit “The Art Newspaper”: “Für jeden war es ein Schock – für uns, für die Kirche, für alle Forscher und fürs internationale Komitee, welches das Projekt begleitet.” Sie nannte die Darstellungsweise “comichaft”. Etwas Vergleichbares sei in der frühen niederländischen Malerei bisher nicht entdeckt worden. 

Lamm wird im Netz verspottet

Längst ist der menschelnde Lammkopf auch in Medien und Sozialen Netzwerken zum Gesprächsthema geworden – mit teils spöttischen Kommentaren.

“Hubert und Jan van Eyck konnten naturgetreu Hände malen (das ist kompliziert!), aber keine Lammgesichter… seht selbst”, twitterte dieser Nutzerin. Ein anderer User bezeichnete die Restaurierung als “Fehler” und witzelte: “Wer auch immer es übermalte, hatte vollkommen recht.” Auch zahlreiche Memes zu dem Lamm kursieren inzwischen im Internet sowie ein Twitter-Account namens “Ghent Mystic Lamb” – Urheber unbekannt.

Der die Malerei revolutionierte

Das Bildnis des Lamms zieht derzeit zweifelsohne die größte Aufmerksamkeit auf sich. Dabei sind die übrigen Ergebnisse der umfänglichen Restaurierung auch durchaus bemerkenswert: Die Farben auf dem Altar sind jetzt wieder kräftig und strahlend. Im wiederhergestellten ursprüngliche Zustand des Meisterwerks offenbaren sich viel mehr Details und eine größere Tiefenwirkung: Gesichter spiegeln den Seelenzustand der Menschen wider, Stoffe und Pelze wirken täuschend echt, Ritterrüstungen blitzen, Juwelen funkeln. Jan van Eyck stellte die Welt im 15. Jahrhundert in einem naturnahen, fast fotografisch genauen Realismus dar. Deshalb gilt er auch als Begründer der neuzeitlichen Malerei.

Im Museum der Schönen Künste Gent konnte man den Restauratoren über die Schulter gucken

Verschleppt, versteckt und zerteilt 

Die Geschichte des Altars, der der aus zwölf riesigen, teilweise doppelseitig bemalten Einzeltafeln besteht, ist ein wahrer Kunstkrimi. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er mehrfach zerteilt und verschleppt.

Aufgestellt wurde er 1432, und schon der Maler Albrecht Dürer fand einige Jahrzehnte später nur lobende Werke für das Werk und nannte es “überköstlich”. Im 16. Jahrhundert überlebte der Altar den Bildersturm der Calvinisten, die Gottes- und Heiligendarstellungen zu vernichten suchten. 200 Jahre später mussten jene Tafeln, die Adam und Eva abbilden, entfernt werden – angeblich, weil Kaiser Joseph II. ihre Nacktheit als anstößig empfand. 

Napoleon beschlagnahmte dann Anfang des 19. Jahrhunderts den Mittelteil des Altars und stellte ihn im Musée Napoléon, dem heutigen Louvre, aus. Nach der Niederlage bei Waterloo kam er wieder zurück nach Gent.

Ein Teil des Altars ist bereits in die St.-Bavo Kathedrale zurückgekehrt. Ab Oktober ist er dort vollständig zu sehen.

Rettung in letzter Minute 

1821 wurde ein großer Teil des Altars legal an den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. nach Berlin verkauft. Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland die Tafeln laut Versailler Vertrag zurückgeben.

Belgien vereinte die Tafeln schließlich wieder in der Genter St.-Bavo-Kathedrale. Doch dort wartete schon das nächste Abenteuer auf den Kunstschatz: 1934 wurden die Tafeln mit dem Bildnis Johannes des Täufers und des “gerechten Richters” entwendet. Letztere ist bis heute verschollen.

Zehn Jahre später führte die Geschichte des Altars in das österreichische Salzbergwerk bei Altaussee. Dorthin verschleppten die Nationalsozialisten Kunstwerke, die für das geplante “Führermuseum” in Linz zwischengelagert werden mussten. Auch Teile des van Eyck-Altars gehörten zu dieser Raubkunst. Nach Kriegsende drohte ihnen die Zerstörung, denn Hitler sah die geraubten Kunstwerke lieber vernichtet als in den Händen der sowjetischen Armee und erteilte noch vor der bevorstehenden Niederlage den Befehl, den Stollen zu sprengen – das Dynamit dafür war bereits an Ort und Stelle. Die Monuments, Fine Arts, and Archives Section der US-Armee, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Schutz von Kulturgütern abgestellt war, vereitelten den Plan noch rechtzeitig. Im Kinofilm “Monuments Men” (2014) wird dieses spannende Kapitel Zeitgeschichte nacherzählt.

Gerade noch gerettet: Die “Monuments Men” bergen die Anbetung des Lamm Gottes

Größte van Eyck Schau aller Zeiten 

Zum Abschluss der Restaurierungsarbeiten des Genter Altars in diesem Jahr würdigt die Region Flandern Jan van Eyck mit einem Themenjahr: “OMG! Van Eyck was here”, lautet das Motto. Den Höhepunkt bildet die Schau “Van Eyck. Eine optische Revolution” im Museum für Schöne Künste Gent (1. Februar bis 30. April). Sie versammelt so viele Werke des Künstlers an einem Ort wie keine Ausstellung je zuvor – zehn von 20; mehr Werke konnten van Eyck nicht zugeordnet werden. Außerdem werden rund 100 Werke aus seinem Atelier, Kopien verlorener Werke und Arbeiten seiner Zeitgenossen aus dem Spätmittelalter präsentiert. Höhepunkt aber ist der restaurierte Genter Altar mitsamt menschelndem Lamm.