Kirchenstreit in Montenegro

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Wem gehören die Kirchengüter in Montenegro? Darüber wird seit Wochen juristisch und politisch gestritten. Bei dem Konflikt geht es aber nicht nur um Eigentumsverhältnisse, sondern auch um Fragen nationaler Identität.

Protest der Priester der Serbischen orthodoxen Kirche gegen das Gesetz

Stein des Anstoßes ist eine Bestimmung im neuen Gesetz über die Religionsfreiheit, das Ende Dezember vom montenegrinischen Parlament verabschiedet wurde. Danach sollen alle Objekte und Liegenschaften, die zurzeit der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC) in Montenegro gehören, dem Staat übertragen werden – wenn die Kirche nicht nachweisen kann, dass sie diese schon vor 1918 besaß.

Nach Lesart der Regierung in Podgorica kam es nach Ende des Ersten Weltkrieges im Rahmen der Gründung des Königreichs Jugoslawien zu einer gewaltsamen Besetzung Montenegros durch die serbische Armee. Diese Ansicht teilen auch viele montenegrinische Oppositionspolitiker.

Nach dieser Sichtweise wurde wenig später die bis dahin selbständige Montenegrinisch-Orthodoxe Kirche (MPC) dem Patriarchen der SPC untergeordnet, der seinen Sitz in der serbischen Hauptstadt Belgrad hat. Daher, so die Schlussfolgerung, seien auch die kirchlichen Besitztümer widerrechtlich an das serbische Patriarchat übergegangen.

Rechtliche Klarheit schaffen

“Mit dem neuen Gesetz wollen wir rechtliche Klarheit herstellen”, sagt der ehemalige Parlamentspräsident Ranko Krivokapic im DW-Gespräch. Vor 1918, so Krivokapic, waren kirchliche Güter im Besitz des Staates Montenegro, erst danach hätte man sie der Serbisch-orthodoxen Kirche geschenkt. Das solle jetzt korrigiert werden, denn “der Staat Montenegro will seine Kulturgüter beschützen. Es geht nicht, dass der Eigentümer der wichtigsten Kulturgüter in Montenegro aus einem anderen Staat kommt, wie in diesem Fall das serbische Patriarchat.”

Das gespaltene Land: Während die einen sich als Montenegriner verstehen…

Außerdem würde sich die SPC weigern, sich in Montenegro als juristische Person registrieren zu lassen – was andere Religionsgemeinschaften, etwa die Katholische Kirche oder die Muslimische Gemeinschaft, längst getan hätten.

Keine Grundbücher aus dem Mittelalter

Ganz anders sieht die Lage aus der Sicht der Serbisch-Orthodoxen Kirche aus. “Das Gesetz fordert, dass man das Eigentum für Kirchen und Klöster nachweist, die im 13. oder 14. Jahrhundert gebaut wurden. Aber die wurden der Kirche damals geschenkt oder gestiftet. Grundbücher, in denen das verzeichnet wurde, gibt es nicht”, sagt Bischof Grigorije Duric, Leiter der serbisch-orthodoxen Eparchie in Deutschland, im DW-Gespräch. Diese Bauten, so Duric, gehörten 1918 der Montenegrinischen Kirche – und seien damals im Einklang mit der orthodoxen Rechtsprechung an die SPC gegangen. “Politische Veränderungen im Laufe der Geschichte haben für die Kirche keine Bedeutung”, betont Duric.

“Formal geht es darum zu klären, wem was gehört – und nicht einen Eigentumsanspruch für sich zu realisieren”, sagt Lazaros Miliopoulos, Politikwissenschaftler an der Uni Bonn und Experte für Fragen der Orthodoxie. “Das ist in westlichen Ländern nicht anders.” Er kann das Bestreben Montenegros nach Klärung der Besitzverhältnisse nachvollziehen. Wichtig dabei sei aber, dass der Staat nicht einfach so Kirchen enteignen könne, ohne sie dafür zu entschädigen. “Das wäre mit den europäischen Rechtsnormen nicht vereinbar”, so Miliopoulos.

Nationale Identität

Entscheidend dabei wird sein zu klären, ob nach dem Ende des Ersten Weltkrieges “die Übergabe des Eigentums des damaligen montenegrinischen Metropoliten an die serbisch-orthodoxe Kirche unter Androhung von Gewalt und erpresserisch erfolgte – oder freiwillig.” Es gäbe Dokumente die belegen, dass der Metropolit damals protestiert habe – aber auch solche, die dieser These widersprechen.

…sehen sich die anderen eher als Teil der serbischen Nation.

Die ganze Auseinandersetzung hat aber auch eine politische Dimension: Montenegro ist in der Frage der nationalen Identität tief gespalten: Während sich ein Teil der Bevölkerung als Angehörige einer größeren serbischen Nation sieht, begreifen sich die anderen als eigenständige Angehörige eines montenegrinischen Volkes.

Bei dem umstrittenen Gesetz geht es daher “um die Bestätigung und die Verteidigung der montenegrinischen Identität”, meint Ranko Krivokapic. “Die Serbisch-Orthodoxe Kirche bestreitet die Existenz der Montenegriner – und damit auch die des montenegrinischen Staates. Das ist ein Problem. Sie sagen, das seien alles Serben. Das ist Teil der großserbischen Politik”. Für den Oppositionspolitiker würde man mit der Klärung der Frage des Kircheneigentums eigentlich den Prozess zu Ende bringen, der mit der 2006 erneuerten Unabhängigkeit Montenegros von Serbien begann. Ein Teil dieser Bestrebungen nach Selbständigkeit ist auch die (Neu-)Gründung einer Montenegrinisch-Orthodoxen Kirche (CPC), die sich als wahre Kirche der Montenegriner versteht und Anspruch auf alle  Kircheneigentümer im Land erhebt.

Religion wird instrumentalisiert

Auch Bischof Grigorije Duric sieht politische Absichten hinter dem Gesetz – allerdings ganz andere. Ihm zufolge versuche Montengros Präsident Djukanovic, “einen Zwischenfall zu provozieren, denn nur das kann ihn noch retten.” Djukanovics Beliebtheitswerte sind schlecht: “Alle wissen, dass er über alles in Montenegro herrscht, der Staat ist sein Privatstaat.” Gelänge es Djukanovic aber, sich als Retter der Nation darzustellen, würden sich viele Montenegriner wieder um den Präsidenten scharen, glaubt Duric. “Er will mithilfe der Religion Spannungen schüren. Das emotionalisiert Menschen, bringt sie dazu, sich die Köpfe einzuschlagen – und Djukanovic kann dann als Friedensstifter und einzige Lösung für das Land auftreten.”

Wem gehört die Auferstehungskathedrale in Podgorica?

Für die Orthodoxie sei eine enge Verbindung zwischen Kirche und Politik nichts ungewöhnliches, betont Lazaros Miliopoulos: “Es ist historisch begründet, dass diese Kirchen immer als nationale Kirchen gelten.” Während des Osmanischen Reiches waren sie auf politischer Ebene die Interessenvertreter der christlichen Völker gegenüber dem muslimischen Sultan. “Diese Tradition hat in Verbindung mit dem Nationalismus im 19. Jahrhundert dazu geführt, dass wir starke nationale kirchliche Traditionen in Südosteuropa haben, in Serbien genauso wie in Rumänien, Bulgarien oder Griechenland.” Daher bestehe immer die Gefahr nationalistischer Übertreibungen, wenn die Kirche ins Politische abgleitet, so der deutsche Politologe.

Miteinander reden

Miliopoulos ist überzeugt, dass ein Ausweg aus dieser Spaltung nur über Dialog erreicht werden kann. “Der Staat sollte sich mit den Kirchen an einen Tisch setzen und in einem Dialogformat versuchen, das Problem zu lösen, bevor man eine Art Kollektivierung oder Verstaatlichung der jetzt als unklar bezeichneten Kirchenbücher vornimmt.”

Viele Priester der Serbisch-orthodoxen Kirche beteiligen sich aktiv an den Protesten gegen das Gesetz

Das empfiehlt auch die Venedig-Kommission. Sie wurde nach dem Fall der Berliner Mauer vom Europarat gegründet mit dem Ziel, die osteuropäischen Staaten verfassungsrechtlich zu beraten. In einem Bericht der Kommission zur Frage des Kircheneigentums in Montenegro wird allen Beteiligten empfohlen, in den Dialog zu treten. “Der Ansatz ist eher, einen Prozess anzustoßen, der zu einem Übereinkommen führen kann – denn der Weg, der jetzt eingeschlagen Weg wird, führt sicher nicht dazu”, sagt Miliopoulos.