Sanchez de Toca: “Vatikansportler wollen einfach nur dabei sein”

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Der Vatikan will zwei weitere Sportverbände gründen. Der Sportbeauftragte des Vatikans, Monsignore Melchor Sanchez de Toca, erläutert im DW-Interview die Sportpläne des Kirchenstaats und die Motive dahinter.

Der Vatikan rüstet sportlich auf. Nachdem der Kirchenstaat bereits Anfang 2019 den Leichtathletikverband “Athletica Vaticana” gegründet hatte, sollen jetzt Verbände für Taekwondo und Judo folgen. Fernziel sei unter anderem die Teilnahme an Olympischen Spielen, sagt Monsignore Melchor Sanchez de Toca, der Sportbeauftragte des Vatikans, im DW-Interview. Der Vatikan hat gut 500 Staatsbürger: neben dem Papst, der Staatsoberhaupt ist, Kardinäle, Priester, Nonnen und Angestellte des Kirchenstaats.

DW: Sie sind nicht nur selbst Läufer, sondern auch der Sportbeauftragte des Vatikan. Welche Rolle spielt der Sport in Ihrem persönlichen Leben und im Alltag des Kirchenstaats?

Monsignore Melchor Sanchez de Toca: Ich bin bestenfalls ein Amateurläufer mit einer bescheidenen Vergangenheit im Modernen Fünfkampf. Sport ist im Leben eines jeden Menschen wichtig. Die positive Wirkung ist im Vatikan-Dokument “Sein Bestes geben” aus dem Juni 2018, gut beschrieben: Sport ist eine Schule von Tugenden und Werten, die perfekt zur christlichen Vision des Menschen passen. In einigen Epochen wurde Sport und körperliche Aktivität nicht nur im Christentum, sondern auch in anderen Religionen misstrauisch betrachtet. Wenn man jedoch bedenkt, dass der Mensch aus Seele und Körper besteht, kann der Sport dabei helfen, die Vollkommenheit des Menschen zu erreichen. Oder wie es Irenäus, ein christlicher Schriftsteller und Denker des 2. Jahrhunderts, formulierte: “Die Ehre Gottes ist der lebendige Mensch.”

Sanchez de Toca (r.) bei der IOC-Session im Februar 2018 in Südkorea

Wie viele meiner Kollegen und andere Menschen auf der ganzen Welt versuche ich, dies in mein tägliches Leben zu übersetzen: Meine Lauf-Routine und Übungen, kombiniert mit etwas Schwimmen, Wandern und Klettern, gehören ebenso zu meinem Leben wie persönliche Meditation, das Lesen der Messe oder der Besuch der Beichte. Wie für viele Menschen ist es jedoch auch für mich nicht einfach, lange Trainingseinheiten in den Alltag zu integrieren: Wenn man für einen Marathon trainiert, muss man zwei oder drei Stunden freischaufeln, um Kilometer abzureißen, und das ist nicht einfach.

Wie professionell und hart trainieren Vatikan-Sportler?

Nicht alle haben das gleiche Niveau und die gleichen Ziele. Einige unserer Athleten sind wirklich stark, besonders die Frauen. Andere laufen nur zum Spaß. Jeder versucht, die Trainingseinheiten in seinen Familien- oder pastoralen Plan einzupassen. Manche trainieren lieber sehr früh am Morgen, andere in der Mittagspause, wieder andere am Abend. Wir haben Trainer, die individuelle Trainingsprogramme erstellen, die auf Alter, Leistungsfähigkeit und Ziele zugeschnitten sind.

Seit Januar 2019 gibt es mit “Athletica Vaticana” einen Leichtathletikverband mit Ihnen an der Spitze, jetzt sollen zwei weitere Verbände folgen. Warum braucht der Vatikan überhaupt Sportverbände?

Athletica Vaticana wurde als Leichtathletikverband geboren. Wir wollen jedoch auch andere Sportgruppen fördern. Das Endziel ist ein Olympisches Komitee [des Vatikans – Anm. d. Red.], dafür müssen mindestens fünf international anerkannte Verbände existieren. Fünf sind jedoch das absolute Minimum. Wir möchten einfach den Sport, alle Disziplinen fördern, unter den Einwohnern und Angestellten des Vatikans.

Es überrascht, dass der Kirchenstaat mit Taekwondo und Judo nun ausgerechnet zwei Kampfsportarten für seine neuen Verbände auswählt. Was steckt dahinter?

Taekwondo ist ein Sport, der Disziplin, Selbstkontrolle und große Flexibilität erfordert. Taekwondo gehörte früher, wie auch Judo, zum Trainingsprogramm der Vatikanischen Gendarmerie. Es ist nicht für den Kampf oder als Selbstverteidigungstechnik gedacht, sondern einfach als Sport.

Eine Laufgruppe des Vatikan trainiert vor dem Petersdom

Gibt es aus Ihrer Sicht für Vatikan-Sportler als Repräsentanten des Papst-Staates eine besondere moralische Verpflichtung, z.B. zu Fair Play und Anti-Doping?

Ich würde sagen, jeder Athlet sollte die Prinzipien des Fair Play und der Ehrlichkeit respektieren, so wie es im Olympischen Eid festgeschrieben ist. Ich sollte hinzufügen, dass auch wirtschaftliche und Sicherheitsfragen ein vorrangiges Anliegen sind. Und ja, für die Athleten des Vatikans gibt es aufgrund dessen, was sie repräsentieren, ein starkes Bewusstsein für moralische und ethische Verpflichtungen.

Wie realistisch sehen Sie die Chance, dass in absehbarer Zeit Vatikansportler bei Sportgroßereignissen wie Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften mithalten können?

Unser Ziel ist es nicht, Medaillen zu gewinnen oder auf dem Podium zu stehen, sondern einfach an einigen internationalen Wettbewerben teilzunehmen, insbesondere an solchen mit kulturellem oder spirituellem Mehrwert. Das heißt an Olympischen Spielen, den Mittelmeerspielen, den Spielen der kleinen Staaten Europas [mit Teilnehmern wie Andorra, San Marino, Liechtenstein und Monaco – Anm. d. Red.] – ernsthaft und ehrlich, wetteifernd und unser Bestes gebend, aber ohne jede Erwartung, zu gewinnen.

Papst Franziskus ist bekanntlich Fußballfan und glühender Anhänger des argentinischen Vereins Club Atletico San Lorenzo. Erlebt der Sport im Vatikan unter diesem sportbegeisterten Papst einen Aufschwung?

Die Aufforderung von Papst Franziskus, “hinauszugehen”, hat zweifellos die Präsenz in Bereichen gefördert, die zu anderen Zeiten weit von der Kirche entfernt schienen. Aber unsere Arbeit begann eigentlich schon unter Papst Benedikt. Und wir dürfen Papst Johannes Paul II. nicht vergessen, der selbst ein Sportler war [In seiner Jugend war Johannes Paul II. Fußballtorwart, später begeisterter Skifahrer – Anm. d. Red.]. Wir spüren eine große Kontinuität in der Unterstützung, die die Päpste schon im vergangenen Jahrhundert dem Sport gewährt haben.

Papst Franziskus (l.) mit IOC-Präsident Thomas Bach

Die Betonung, die Franziskus nicht nur auf das “Hinausgehen”, sondern auf das “Hinausgehen in die Randbereiche” gelegt hat, ermutigt uns – und mit uns meine ich die ganze katholische Kirche und nicht nur den Vatikan, der dies meist symbolisch tut -, nicht nur in den großen Sportarten präsent zu sein, sondern auch in all jenen, in denen die Menschen nach irgendeiner Art von Sinn suchen.

Wir befinden uns also in der Nachfolge des Heiligen Paulus und seiner Areopag-Rede [an nicht-gläubige Griechen in Athen – Anm. d. Red.] an diejenigen, die einen “unbekannten Gott” suchen, wie es in der Apostelgeschichte heißt (Apg 17,23). Im Kern versuchen wir einfach, das Licht des Evangeliums weiterzugeben, im Dienste der Würde jedes einzelnen Menschen. Besonders der Ärmsten und Bedürftigsten, einschließlich der Migranten und der misshandelten und missbrauchten Menschen, die im Sport einen Weg zu einem “unbekannten Ziel” finden können: Das ist der Weg, den wir teilen wollen.

Der spanische Geistliche Monsignore Melchor Sanchez de Toca arbeitet als Staatssekretär im Päpstlichen Kulturrat. Als Sportbeauftragter des Vatikans hält der 53-Jährige seit langem Kontakt zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und anderen Sportorganisationen. Sanchez de Toca ist auch Präsident der “Athletica Vaticana”, des im Januar 2019 gegründeten Leichtathletik-Verbands des Vatikans.

Das Interview führte Stefan Nestler.