Cunmo Yin gewinnt Telekom Beethoven Competition

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Mit kraftvollem Anschlag und selbstbewusstem Auftreten überzeugte der 26-jährige Chinese die Jury beim Klavierwettbewerb. Er bewies, dass er neben dem großen Auftritt auch die leisen Töne beherrscht.

Vor Jahren sagte Kurt Masur einmal, man solle die musikalische Jugenderziehung in Deutschland nicht vernachlässigen, denn: “Es werden sechs Millionen Chinesen kommen”. Die Worte des inzwischen verstorbenen deutschen Dirigenten waren nicht als Drohung sondern als Mahnung gemeint. Inzwischen wirken sie prophetisch. Noch zutreffender wären sie allerdings gewesen, wenn er Südkoreaner und Japaner eingeschlossen hätte.

Beim Finale der 8. Internationalen Telekom Beethoven Competition am Samstag (14.12.2019) in Bonn waren Asiaten unter sich, und das war beim Auftakt des Klavierwettbewerbs zehn Tage zuvor fast schon abzusehen: Von den 23 Teilnehmern kamen 13 aus Asien: aus Südkorea (7), China (3), Japan (2) und Taiwan (1).

In Asien spielt die (klassische) Musik

Sollte die Zukunft der Klassik in Asien liegen, dann ist sie, wenn man vom Abschlusskonzert dieses Klavierwettbewerbs ausgeht, wortwörtlich in guten Händen. Drei völlige unterschiedliche Künstlertypen beweisen dies: Yuto Takezawa, 22, aus Japan; die Südkoreanerin Shihyun Lee, 28, und der erstplatzierte Cunmo Yin, 26, aus China. Zusammen mit dem Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan präsentierten sie drei Interpretationen von Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens, die nicht unterschiedlicher hätten sein können.

Und dennoch: Während der Pause war bei den mit tausend Zuschauern ausverkauften Telekom Forum immer wieder ein klischeehafter Satz zu hören: “Asiaten können Beethoven nicht richtig interpretieren”. Diese Besucher haben vielleicht nicht richtig zugehört, denn fantasievoller, persönlicher, wärmer und intelligenter kann man Beethovens Fünftes Klavierkonzert kaum gestalten als Shihyun Lee es getan hat.

Sie war ganz bei der Musik, und für diesen Zuhörer war jeder Augenblick ein Genuss, vor allem im zweiten, ruhigeren Satz. “In der Partitur schreibt Beethoven dort, wo das Solo beginnt, ‘dämmernd'”, sagte Lee nachher, “und ich habe mich darauf konzentriert.” Man fieberte: Sie hat zwar dreimal verhauen und spielte an einigen wichtigen Stellen nicht genau mit dem Orchester zusammen. Aber diese Poesie! Dürfen solche kleinen Macken so schwerwiegend sein? Offenbar waren waren sie es: Shihyun Lee gewann “nur” den dritten Preis und damit €10.000.

Ganz bei der Musik: Shihyun Lee

Ehe die Entscheidung fiel, waren viele der Meinung: Der Japaner wird’s. Und tatsächlich gewann Yuto Takezawa mit großem Abstand den mit €3.000 dotierten Publikumspreis. Bei Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 erwies sich er als ein voll ausgereifter Meister der Tasten, im musikalischen Gefühlshaushalt zwar streckenweise etwas unterkühlt, dennoch nuanciert – und technisch ohnehin makellos. Es reichte für den mit €20.000 dotierten zweiten Preis der Jury.

Cunmo Yin mit DW-Musikredakteur Rick Fulker

Cunmo Yin verlässt Bonn mit einem Preisgeld von €30.000 und dem Status des strahlenden Siegers. Es war sein erster großer Musikwettbewerb. “Manchmal träumte ich während der zehn Tage nachts von dieser oder jener Melodie”, sagte Yin hinterher, sichtlich erleichtert. Woran habe er aber während des Spiels gedacht? “Nur: mit dem Orchester zusammen zu spielen, Spaß zu haben und selber zu genießen. Das ist das Wichtigste.”

Lang Lang bekommt Konkurrenz

Viele im Publikum fühlten sich an Lang Lang erinnert. Wie bei seinem berühmten Landsmann scheint die Musik aus Cunmo Yin wie selbstverständlich zu fließen. Er legte Beethovens Drittes Klavierkonzert mit virtuosem Bravour hin und vergaß dabei nie, dass er in Nahaufnahmen auf dem großen LED-Schirm zu sehen war: Wie auch bei Lang Lang wirken Mimik und Gestik etwas exaltiert, ein wenig aufgesetzt.

Für die drei Preisträger stehen bereits über 40 Konzertverpflichtungen in elf Ländern fest. Neben den Jury- und Publikumspreisen wurden auch weitere vergeben: Etwa der Schumann-Preis und der Beethoven Haus Preis (beide gingen an Yuto Takezawa).

Die drei Preisträger mit dem Juryvorsitzenden und künstlerischen Leiter des Wettbewerbs Pavel Gililov

Keine Kompromisse in der Jury

Äpfel mit Birnen vergleichen, über Geschmack kann man nicht streiten: Bei einem Musikwettbewerb fallen einem diese deutsche Sprichworte ein, denn: Wie kann man bei dieser Kunst, wo es stark auf die Individualität ankommt, Musiker miteinander vergleichen und gegeneinander aufwiegen?

Und wie kann eine Jury überhaupt zu einem Konsens kommen? “Wir reden nicht miteinander darüber” war die überraschende Antwort von Jurymitglied Ilona Schmiel, Intendantin der Zürcher Tonhalle. “Denn wir haben, ob Veranstalter, Manager oder Pädagoge, völlig verschiedene Hintergründe und Perspektiven. Und der Geschmack wird dabei natürlich auch eine Rolle spielen.” Also keine Diskussionen in der Jury, keine Konsensbildung, keine Kompromissentscheidungen, sondern einfache Punktevergabe.

Bildet die starke Beteiligung von Asiaten an der Telekom Beethoven Competition denn auch tatsächlich die derzeitige Klassikwelt ab – oder vielmehr, die zukünftige? Denn es geht hier schließlich um junge Musiker. “Im Klaviersegment schon”, sagte Ilona Schmiel, “in den anderen Bereichen nicht.” Oder noch nicht, wenn man die vorzügliche musikalische Grunderziehung in asiatischen Ländern bedenkt, die motivierten Eltern, die Selbstdisziplin und der immense Ehrgeiz, den viele asiatischen Jugendlichen haben.

Am Ende des Wettbewerbs: Freude und Erleichtung

Nach der Preisverleihung durfte Cunmo Yin ein letztes Mal ans Klavier. Er spielte zwei kurze Stücke von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Lieder ohne Worte. Ruhig, konzentriert, intim, ohne aufgesetzte Gestik: Diesmal gab er nicht den großen, sondern den innigen Künstler. Das kann er auch.