Mein Europa: NGOs als Lieblingsfeind

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Populisten in Mittel- und Osteuropa beschuldigen NGOs, die nationale Einheit zu unterwandern und egoistische Interessen zu verfolgen. Sie wollen nicht, dass sich Bürger organisieren, meint Ivaylo Ditchev.

“Norweger, haut ab! Unsere Kinder sind nicht zu verkaufen!” In Sofia waren in den vergangenen Monaten immer wieder wutentbrannte Menschen mit Plakaten mit solchen Aufschriften zu sehen – eine Mischung aus Nationalisten, religiösen Fundamentalisten und erbitterten Gegnern eines neuen Gesetzentwurfs über Sozialleistungen in Bulgarien. Für ähnliche Aufregung hatten die vorgeschlagene “Strategie für das Kind” gesorgt (ein komplexes Maßnahmenpaket zum besseren Schutz von Kindern) und davor die Istanbul-Konvention (zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen). Letztere sehen viele Bulgaren als Weg zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen und des “dritten Geschlechts”.     

Auch diesmal gibt es den Verdacht, der Staat plane, die “traditionelle bulgarische Familie” zu zerstören. Doch was haben die Norweger damit zu tun? Mehrere NGOs, die an diesen drei Projekten beteiligt waren, erhielten Zuschüsse des EWR und Norwegens (“EEA and Norway Grants”). In diesem Kontext schockierte die Boulevardpresse die Bulgaren mit Horrorgeschichten darüber, wie der norwegische Kinderschutzdienst Barnevernet Familien die Kinder entreißt.                    

Bulgarien: Mobilisierung für “nationale Souveränität” 

Solche Muster wiederholen sich immer öfter. Der neue Populismus braucht Feinde und beschuldigt viele NGOs, die nationale Einheit zu unterwandern, egoistische Interessen zu verfolgen und öffentliche Programme zu privatisieren. Dabei geht es aber nicht um alle Nichtregierungsorganisationen, da sich gerade Eltern, Patrioten, Evangelikale und Traditionalisten oft selbst zu NGOs zusammenschließen. Die feindselige Haltung gilt jenen Organisationen, die aus dem Ausland gesponsert werden. Für diese “Verräter” gibt es in Bulgarien sogar neue beleidigende Begriffe wie “sorosoid” (für jemanden, der Geld von der Stiftung des US-Milliardärs George Soros annimmt und damit zu dessen “Diener” wird) oder “grantadija” – “Grant-Künstler” (jemand, der um “grants” – also Zuschüsse oder Stipendien – bettelt).      

In Bulgarien kämpfen nationalistische Parteien schon seit 2017 für ein Gesetz, dass es Richter-Verbänden verbieten würde, Gelder aus dem Ausland zu bekommen. Die 2019 vorgeschlagene Version des Gesetzes sieht vor, dass eine Finanzierung von außerhalb der EU (zum Beispiel von US-Sponsoren) illegal werden sollte. Die rechtsextreme und pro-russische Partei “Ataka” möchte sogar Berufsverbände im juristischen Bereich verbieten. Es fällt nicht schwer, in dieser neuen Mobilisierung zum Schutz der nationalen Souveränität ein Echo des Kampfes gegen sogenannte “imperialistische Ablenkungsmanöver” aus der Zeit der kommunistischen Diktatur zu erkennen. 

2012 unterzeichnete Putin ein Gesetz, das aus dem Westen finanzierte NGOs zwingt, sich als “ausländische Agenten” zu deklarieren. Es zielte nicht nur auf Organisationen mit politischen Aktivitäten, sondern auch auf humanitäre und zivilgesellschaftliche NGOs. Nicht nur die NGO des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny gilt inzwischen als “ausländischer Agent” – auch die russische Menschenrechtsorganisation “Memorial”, die an die Opfer des Kommunismus erinnert, wurde in die entsprechende Liste aufgenommen.   

Ungarn: Dämonisierung von Soros, Druck auf NGOs  

Anti-Soros-Plakate in Ungarn (2017)

In Ungarn schaffte es Premierminister Viktor Orban nicht nur, die Dämonisierung von George Soros in Osteuropa für seine Zwecke einzusetzen. Mit dem Gesetz zur Transparenz von ausländisch finanzierten Organisationen (2017) und der Sondersteuer von 25 Prozent für NGOs, deren Arbeit mit Migration zu tun hat, bot er auch der autoritären Führung der Türkei und der populistischen Regierung Italiens ein willkommenes Beispiel. Die kritischen Reaktionen der EU-Kommission hatten bislang keine Konsequenzen.

Selbstverständlich ist es problematisch, wenn NGOs Parallelstrukturen zu öffentlichen Institutionen bilden und soziale Einrichtungen privatisieren, wenn Menschen, die nicht für ein Amt gewählt wurden, Projekte für neue Gesetze vorbereiten, Proteste organisieren oder sich um die Bildung von besonders verletzlichen gesellschaftlichen Gruppen kümmern. Doch das Entstehen von NGOs in Osteuropa nach der Wende, in der schwierigen Übergangszeit der 1990er Jahren, war auch deshalb oftmals ein Schock, weil damals staatliche Institutionen zusammengebrochen waren und eine Reihe von öffentlichen Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen übernommen wurden. Für einige Intellektuelle waren solche Organisationen damals auch ein Weg, um Geld zu verdienen. Das gilt in der Theorie auch heute, aber mittlerweile überschreiten die Gehälter im privaten und staatlichen Sektor die Summen, die man im “dritten Sektor” verdienen könnte. Trotzdem hat das Thema Geld eine Art Trauma zurückgelassen, weil der Durchschnittsbürger viel Neid hegt gegen Englisch sprechende NGO-Leute mit Verbindungen zum Westen, für die das Leben im eigenen Land weniger hart scheint.            

Auf gemeinsame Werte einigen – dann sind die Geldquellen weniger wichtig

Es müsste einen Konsens darüber geben, welche Aktivitäten globale Sponsoren unterstützen: Dazu sollte zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit gehören. Wenn man sich auf gemeinsame Werte einigt, sollte es nicht so wichtig sein, woher das Geld kommt, gerade in der EU und dem Euro-Atlantischen-Raum. Doch Rechtsextremisten greifen gerade diese Werte der liberalen Demokratie an.   

Wenn sich Bürger in NGOs organisieren, werden sie zu einem Hindernis für autoritäre Politiker: nicht nur wegen dem, was sie konkret tun, sondern auch, weil sie die öffentliche Meinung im Ausland gegen lokale Autokraten mobilisieren. Ihr wichtigstes Ziel ist, die Macht in Schach zu halten. Aus diesem Grund wurden auch internationale NGOs nach der Wende in Osteuropa “importiert”. In den 1990er Jahren setzte man voraus, dass die ausländische Unterstützung mit einer nationalen kombiniert und graduell von Letzterer ersetzt wird. Leider gibt es aber auch heute in Bulgarien oder Rumänien kaum einheimische Geschäftsleute, die beispielsweise NGOs für Minderheiten unterstützen – stattdessen ziehen sie oft Fußball-Clubs oder folkloristische Festivals vor.  

Wieso ärgern sich Populisten so sehr über finanzielle Hilfen aus dem Ausland für NGOs, wenn dadurch der Mangel an Geldern aus dem Inland kompensiert wird? Sie wollen nicht, dass sich die Bürger organisieren. Die Philosophin Hannah Arendt schrieb, dass die totalitäre Herrschaft dann möglich ist, wenn eine Nation aus vereinzelten, entmutigten und misstrauischen Individuen besteht. Das gilt auch für die populistische Herrschaft.                       

Ivaylo Ditchev ist Professor für Kulturanthropologie an der Universität Sofia in Bulgarien. Er hat unter anderem in Deutschland, Frankreich und den USA gelehrt.